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Leserbrief zum Artikel 'Wo der Buddhismus gewaltsam wird' von Anna Sawerthal erschienen in der U\W 107.

Sehr geehrte Frau Sawerthal,

danke für Ihren ausführlichen Artikel zur Problematik ‚Gewaltsamer Buddhismus‘. Er scheint zwar gut recherchiert zu sein, lässt jedoch einige Aspekte unberührt. Ich selbst bereise seit 1974 Thailand, ich wohne dort permanent seit sechs Jahren und arbeite seit acht Jahren in Myanmar.
Warum Sie Thailand mit Myanmar und Sri Lanka offenbar in einen Topf werfen, ist unerfindlich und Sie lassen dazu auch eine Begründung missen. Es mag zwar richtig sein, dass es auch in Thailand fundamentalistische Richtungen gibt, jedoch ist gerade die Politik (die derzeitige Militärdiktatur) sehr bestrebt, diese Gruppierungen keinen Einfluss gewinnen zu lassen. Dass sich extremistische Anführer aus anderen Ländern in Bangkok zu einer Konferenz treffen, lässt wohl keinen Rückschluss auf buddhistischen Fundamentalismus in Thailand zu. Ich wäre Ihnen daher verbunden, wenn Sie Beispiele aufzählen könnten, an denen erkennbar ist, dass in Thailand radikale beziehungsweise fundamentalistische buddhistische Gruppierungen die Unterstützung der Politik beziehungsweise Staatsführung genießen und einen großen Zulauf erhalten.

In Myanmar liegt die Sachlage anders. Es erscheint Ihre Kritik durchaus berechtigt. Allerdings ist zu bedenken, dass in Myanmar wahrscheinlich mehr als 50% der in den Klöstern lebenden ‚Mönche‘ niemals als solche ordiniert wurden, sondern die Klöster sind praktisch soziale Auffanglager für minderbemittelte männliche Einwohner, die sich einfach die Haare scheren, die Robe anziehen und im Tempel aufgenommen werden. Ich kann nicht sagen, ob die von Ihnen genannten Mönche jemals eine Ordination erhalten haben. Die Hetzpropaganda einiger Mönche gegen Muslime im Allgemeinen und Rohingya im Besonderen ist natürlich eine unglaubliche und dem Dharma diametral entgegengesetzte Handlungsweise, die diese Menschen wohl selbst zu verantworten haben. Die gesamte Rohingya-Problematik basiert auf reaktionären politischen Bewegungen, vor allem innerhalb des Militärs, die die genannten Mönche als ‚klerikales Zugpferd‘ für ihre Hetzkampagne gegen den Islam im Allgemeinen einspannen, und dass auch die De-facto-Staatsführerin Aung San Suu Kyi dies einfach ‚geschehen ließ‘, ist damit erklärbar, dass sie nach wie vor in vielen Bereichen ihrer Politik vom Militär abhängig ist. Dass die Welt hier mit Aberkennung von Ehrenzeichen, Ehrenbürgerschaften und sonstigen Auszeichnungen reagiert, hilft der Sache keineswegs. Und der drohende Zeigefinger der UNO, dass es sich hier ‚vielleicht um einen Völkermord‘ handeln könne, nützt überhaupt nichts. Solange keine Maßnahmen gesetzt werden, sind dies zahnlose Reaktionen. Für eine internationale Stärkung der Demokratie in diesem Land wird eine Schwächung Aung San Suu Kyis kaum helfen, die würde nur dazu führen, dass das Militär wahrscheinlich früher als später wieder die Macht übernimmt und das Volk mangels internationaler Anerkennung ihrer Staatsführerin sukzessive wieder von ihr abrücken wird. Ob ein Sieg des reaktionären Teils des Militärs im Sinne der internationalen Staatengemeinschaft liegt, bleibt dahingestellt. Führer, die eine Radikalisierung wollten, haben sich immer schon irgendeiner alten Überlieferung oder Schrift bedient, um die Rechtfertigung ihres Handelns nach außen zu beweisen, das ist nichts Neues. Und das Rohingya-Problem kann kaum damit gelöst werden, dass einige wenige 1.000 von den 700.000 Vertriebenen wieder ins Land zurückkehren, die anderen wollen gar nicht. Die UNO sollte Möglichkeiten finden, die Heimatlosen aus den Auffanglagern wegzubringen und anzusiedeln, wo sie ihr eigenes Land bestellen und ihr Überleben sichern können. Die Kosten der Auffanglager in Bangladesch werden bereits kurzfristig die Kosten einer solchen Ansiedlung übersteigen. Die Frage ist natürlich immer wo, beziehungsweise welches Land bereit ist.

Ich nehme an, dass es Ihnen bei der Verfassung des Artikels bewusstgeworden ist, dass sämtliche von Ihnen genannten drei Länder dem Theravada-Buddhismus zugewandt sind. Weiters ist in allen drei Ländern der Buddhismus zur ‚Staatsreligion‘ erklärt. Daraus folgt, dass zumindest in Myanmar und Sri Lanka sich der Staat der Religion bemächtigt, um Minderheiten auszugrenzen. Dies macht letzten Endes den Buddhismus zum Politikum, was wiederum völlig den Grundsätzen des Dharma widerspricht. Wenn Sie Ihr Augenmerk auf Mahayana-Länder legen, nehmen wir Japan und Korea als Beispiele, dann sehen Sie, dass auch dort Buddhismus zur am weitesten verbreiteten Religion gehört, jedoch nicht vom Staat als ‚einzig wahre Glaubensrichtung‘ okkupiert wird. In Japan wird der Buddhismus neben den anderen Hauptreligionen (Shinto- und auch Christentum) in von der Politik völlig getrennten, eigenständigen Organisationen praktiziert (Reiner Land Buddhismus, Zen, Nichiren, …). Es wird wohl kaum einem japanischen Ministerpräsidenten oder einem Regierungsmitglied einfallen, den Buddhismus als Zugpferd für seine politischen Ambitionen einzuspannen. Ebenso ist die Entwicklung in Korea durchaus dem Toleranzprinzip des Buddhismus entsprechend. Seit dem Koreakrieg hat eine Vielzahl von US-amerikanischen Missionaren Eingang ins Land gefunden und gerade im städtischen Bereich die Mehrzahl der Bevölkerung zum Christentum ‚bekehrt‘. Wenn Sie von einem höheren Gebäude auf die Stadt Seoul hinunterschauen, sehen Sie fast an jedem Eck ein beleuchtetes Kreuz, was den Hinweis auf eine kleine Kirche oder Kapelle in diesem Gebäude gibt. Spricht man dort mit Mönchen des größten Ordens in Korea, Jogye Jong, so wird man erfahren, dass diese Mönche es durchaus akzeptieren, dass der Großteil der städtischen Bevölkerung nunmehr sich zum Christentum bekennt, die Domäne der Buddhisten – vor allem des koreanischen Seon (Zen) – liegt in den ländlichen Gebieten. Auch hier wird staatlicherseits nicht das Geringste unternommen, um gegen diese Konvertierung der städtischen Bevölkerung vorzugehen. Vielmehr wird das dem Buddhismus inhärente Toleranzprinzip befolgt und man lässt die – vor allem jugendliche – Bevölkerung ihren eigenen Weg gehen.
Aber auch in den Mahayana-Ländern, die von kommunistischen Regimen beherrscht werden wie Vietnam oder China, ist wohl keine fundamentalistische Bewegung innerhalb der mittlerweile auch durchaus wiedererwachten Klöster und Buddhismus-Praktizierenden erkennbar.

Zum Schluss noch ein Wort zu Lama Ole Nydahl:
Man kann es nur befürworten, dass die Staatsanwaltschaft Kempten die Äußerungen dieses ‚Lehrers‘ als strafrechtlich nicht relevant befand. Wäre es nämlich anders gekommen, so wäre Ole Nydahl wohl zum ‚Märtyrer‘ aufgestiegen und er hätte noch mehr Zulauf bekommen, als er ohnehin schon hat. Lehrer wie Ole Nydahl hat es immer gegeben und wird es immer geben. Er verbreitet seine extremen Ansichten seit Jahrzehnten und hat eben eine Gruppe von Anhängern (vor allem Frauen), die ihn verehren und ihm praktisch alles abnehmen und glauben, was er von sich gibt. Auch hier sehe ich kaum einen ‚Ruck zum Fundamentalismus‘ in Europa, Harlekine beziehungsweise Außenseiter wie Ole Nydahl geben zumindest Anlass zu Diskussionen, was auch für die Entwicklung des Buddhismus durchaus positiv zu sehen ist. Der Buddhismus ist noch eine junge Pflanze in Europa, die mit einigen Stürmen rechnen muss, bis sie zum Baum wird.

Name des Verfassers der Redaktion bekannt.

 

Sehr geehrter Leserbrief-Schreiber,

herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Beobachtungen und informierten Schilderungen, die sich in weiten Teilen mit meinem Verständnis der Lage decken. Es war nicht meine Absicht, spezifische politische und religiöse Dynamiken verschiedener Länder in einen Topf zu werfen. Viel eher erachte ich es als wichtig, auf verschiedene religiös-politische Tendenzen in Bezug auf den Buddhismus in den erwähnten Fallbeispielen aufmerksam zu machen. Dass die sich je nach Land unterscheiden, versteht sich von selbst. Dass aber in den Ländern Politik mit Buddhismus gemacht wird – teilweise aggressive –, versteht sich ebenfalls. Ich denke, es ist legitim, das darzustellen.
Was die Frage von Mahayana- versus Theravada-Buddhismus betrifft, würde ich nicht allzu schnelle Schlüsse ziehen. Bhutan, das ‚Vajrayana-Königreich‘, folgt einer Strömung des Mahayana-Buddhismus. Dynamiken der Ausgrenzung, insbesondere der nepalesisch-stämmigen Bevölkerung im Süden des Landes, wurden und werden auch hier beobachtet.
Ich freue mich über weiteren Austausch, besten Dank für Ihr Interesse,

Anna Sawerthal