Richard Davidson hat 1974 die Meditation für sich entdeckt. Als Neurowissenschaftler beschäftigt er sich mit ihren Auswirkungen auf das Gehirn.
Erinnern Sie sich noch, als Sie anfingen zu meditieren?
Das war vor vielen Jahren, um genau zu sein, 1974.
Vor 48 Jahren also. Wie kam es dazu?
Ich habe auf der Universität ein paar Menschen getroffen, die eine unglaubliche Ausstrahlung hatten, sehr präsent, wenn man sie sah. Sie waren sehr herzlich und freundlich, das war wunderbar. Sie faszinierten mich, und ich wollte sie kennenlernen. Das tat ich und stellte fest, dass sie alle meditierten. Also habe ich dann auch selbst begonnen. Ich musste einfach.
Und wie ging es weiter?
Ich habe auf der Universität Psychologie und Neurowissenschaft studiert. Nach meinem zweiten Jahr beschloss ich, nach Indien zu reisen, um dort tiefer in die Meditationspraxis einzutauchen. Die Reise hat mein Interesse verstärkt. Nach meiner Rückkehr in die USA wollte ich als Forscher wissen, wie Meditation im Gehirn wirkt.
Wurde dieses Projekt unterstützt?
Es wurde mir dort sehr schnell klargemacht, dass Meditation kein Forschungsgebiet ist und dass ich mir ein anderes Feld suchen müsse. Das tat ich. Allerdings meditierte ich weiter. Für mich, als Privatvergnügen. Fast 20 Jahre lang. 1992 habe ich den Dalai Lama kennengelernt. Er war es, der mich ermutigte, mich auch als Forscher mit der Materie zu befassen.
Sind Sie bis heute mit dem Dalai Lama befreundet?
Oh ja, ich sehe ihn etwa viermal im Jahr, erst kürzlich wieder.
Und was haben Sie als Forscher über Meditation herausfinden können?
Wir konnten zeigen, dass das Gehirn sich durch Meditation verändert. Das Gehirn ist sehr formbar, Neuroplastizität ist der Fachbegriff dafür, damit es sich an Situationen anpassen kann. Die Meditationspraxis, haben unsere Forschungen gezeigt, erzeugt eine Art von Wohlbefinden. Das ist eine Fähigkeit beziehungsweise eine Kompetenz, die allein durch regelmäßiges Üben erzeugt wird.
Haben Menschen, die ihr Leben positiv sehen, eine andere Hirnstruktur als Menschen, die es negativ betrachten oder depressiv sind?
So einfach ist das nicht zu sagen, aber sie haben schon andere strukturelle Merkmale im Gehirn.
Können diese strukturellen Unterschiede durch Meditation verändert werden?
Wir denken, dass es schon möglich ist. Nur wie viel verändert werden kann und wie lange es braucht, sind Fragen, die noch offen sind und weitere wissenschaftliche Untersuchungen erfordern. Nur eines kann ich mit Sicherheit sagen: Meditation wirkt sich auf unser Gehirn aus. Das konnten wir in Studien zeigen.
Kann Meditation auch ohne Ethik das Wohlbefinden steigern?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, Achtsamkeit mit Ethik zu verbinden. Die Achtsamkeitsübungen entstanden ja auch in einem ethischen Rahmen, und wenn man es authentisch unterrichten will, geht es nicht ohne Ethik. Achtsamkeit ohne Ethik kann schon hilfreich sein, aber nur bis zu einem sehr begrenzten Level.
Was braucht der Mensch noch für sein Wohlbefinden?
Ein weiterer wichtiger Schlüssel zu einem glücklichen und zufriedenen Leben ist es, sich für andere einzusetzen. Freundlichkeit, Großzügigkeit und Mitgefühl spielen dabei eine zentrale Rolle. Wenn wir diese Eigenschaften kultivieren und uns anderen gegenüber so verhalten, macht es einen selber zufrieden und glücklich.
Woran forschen Sie aktuell?
In unserem Institut ‚Center for Healthy Minds‘ arbeiten 100 Personen an vielen Studien. Wir arbeiten mit Schulen, Polizei und Eltern zusammen, um herauszufinden, wie Wohlbefinden kultiviert werden kann. Auch in verschiedenen Arbeitsumgebungen messen wir, wie Wohlbefinden entsteht und wie die verschiedenen Bevölkerungsschichten auf unser Meditationsprogramm reagieren.
Wie genau arbeiten Sie mit Polizisten?
Polizisten leiden unter Stress und Angst. Wir wollen den Stress reduzieren und ihnen helfen, sich besser auf die jeweiligen Situationen in ihrem Polizeialltag einzustellen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Minderung von Angst. Angst führt dazu, dass Polizisten gewisse Situationen falsch interpretieren. In den USA ist das derzeit ein großes Problem und hat dazu geführt, dass unschuldige, nicht bewaffnete Menschen von der Polizei erschossen wurden.
Und wie profitieren Kinder von Ihrer Arbeit?
Bei ihnen geht es, zusätzlich zur Reduktion von Stress, darum, wie bestimmte Denkschemata, die vorteilhaft für ihre Entwicklung sind, aufgebaut werden können. Wir wollen die Kapazitäten der Kinder stärken. Sie sollen sich besser konzentrieren können. Auch die Fähigkeit, Empathie zu fühlen, ist ein Ziel. Es sind alles Elemente von emotionaler Intelligenz.
Wie oft sollte man meditieren oder Achtsamkeitsübungen machen, um den Stresslevel zu reduzieren?
Mit Kindern hat sich in unserer Forschung gezeigt, dass 90 Minuten pro Woche in einem Zeitraum von zwei Wochen schon viel verändern. Es geht aber darum, dass sie auch danach weiterüben. Daran scheitert es oft. Die Wirkung lässt nach, auch das haben wir in unseren Studien gesehen.
Spielt die Meditationsdauer auch eine Rolle?
Eine große offene Frage ist, ob die Dauer der Meditation ausschlaggebend ist. Das hängt immer davon ab. Wenn ein Anfänger täglich 15 Minuten praktiziert, ist es besser, 15 Minuten auf einmal am Stück zu meditieren oder vielleicht dreimal fünf Minuten oder fünfmal für drei Minuten? Darauf hätten wir gerne eine Antwort. Meine momentane These ist, dass es von Person zu Person sehr unterschiedlich sein kann. Es gilt herauszufinden, wer von welchen Praxismustern am meisten profitiert.
Eine individuell angepasste Meditationsdauer?
Ja, denn eine fix vorgegebene Dauer passt nicht für alle. Falls Sie jemanden treffen, der sagt, er hätte die perfekte Form zu meditieren, wäre ich sehr skeptisch. Bei meinen Vorträgen frage ich oft: „Welche ist die beste Form der Meditation? Es ist die Meditation, die Sie tatsächlich auch durchführen.“
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 104: „Wie Gelassenheit geht"
Wie oft meditieren Sie?
Ich meditiere jeden Tag zwischen 30 Minuten und eineinhalb Stunden, je nach Tagesprogramm.
Fotos © Chris Zvitkkovits