Meditiert wurde nicht nur Asien. Bereits die antiken Griechen schätzten die Kontemplation.
„Wir haben gehört, dass Sokrates (...) auch die Gewohnheit hatte, folgendes zu tun: Oft stand er (...) den ganzen Tag und die ganze Nacht, von einem Sonnenaufgang zum anderen, ohne mit den Augen zu zwinkern, unbeweglich, die Füße auf demselben Fleck, das Antlitz und den Blick auf einen Fixpunkt gerichtet, in Nachdenken versunken, als wären sein Geist und seine Seele vom Körper getrennt.“
Auch wenn das Mutterland der Meditation Asien ist, so gibt es, wie das Zitat nahelegt, eine abendländische Tradition der Meditation. Diese Tradition ist philosophisch geprägt und hat ein anderes Verständnis von Meditation. Dieses weist aber interessante Berührungspunkte mit den eher spirituell ausgerichteten Meditationspraktiken in Asien auf.
Schon das Sokrates-Zitat benennt wesentliche Bestandteile der meisten Meditationsweisen in Orient und Okzident: Versunkenheit, Konzentration auf eine Sache, Stille und Bewegungslosigkeit, Dauer und Nachdenken. Der Aspekt des Denkens ist ambivalent. Bestimmte Meditationen streben an, dass man an nichts mehr denkt, leer wird wie etwa im Zen, dass „die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen“, wie es in den Yogasutren des indischen Gelehrten Patanjali (ca. 3. Jh. v. u. Z.) heißt. „Sein Leib ist starr wie trockenes Gebein, wie tote Asche ist des Herzens Stille (...) zu Ende ist das Denken und das Sehnen“, liest man bei dem chinesischen Philosophen Zhuangzi (4. Jh. v. u. Z.).
Die indogermanische Sprachwurzel des Wortes „Meditation“ bedeutet nachdenken, nachsinnen, auch studieren und etwas einüben. Der geläufigste Begriff für Meditation im Indischen ist „dhyana“ und geht auf die Wurzel „dhya“, nachdenken, zurück. Als transkribiertes Fremdwort wurde daraus im Chinesischen „ch’an“, im Japanischen „zen“. Schließlich kann das Wort für die bedeutendste indische Meditationsform, Vipassana, mit „Einsicht“ übersetzt werden im Sinne eines klaren Bewusstseins dessen, was gerade passiert. In allen Traditionen treffen wir folglich auf eine innere Verwandtschaft von Meditation und philosophischem Denken.
Auch wenn das Mutterland der Meditation Asien ist, so gibt es eine abendländische Tradition der Meditation.
In der westlichen Tradition verband sich mit Meditation von Anfang an die Vorstellung von Sammlung und Umkehr. Es ging laut Platon um die innere Loslösung von den Verstrickungen im Äußeren und die Zuwendung zu sich selbst, um eine Verständigung mit dem eigenen Selbst. Der Geist sollte sich vom Lärm der weltgebundenen Akte ab- und zum „denkenden Betrachten des Ewigen“ hinwenden, meinte der römische Bischof und Kirchenlehrer Augustinus (354–430 n. u. Z.). Der Meditierende zieht seine Aufmerksamkeit von der Vielheit der sinnlichen Eindrücke ab. Er konzentriert sich auf die „Einheit“, die ein einzelner Gegenstand, das Selbst, das Sein im Ganzen oder das alles umfassende Göttliche sein kann, beschreibt Plotin (205–270 n. u. Z.) den Zustand.
Diese Abkehr vom Äußeren, Weltlichen, Sinnhaften und die Konzentration auf das eigene Innere, die Selbsterfahrung als waches Ruhen in sich trifft ein Wesensmerkmal auch der fernöstlichen Meditation. „Wenn der Geist von den Sinnen losgelöst ist, erreicht man den Gipfel des Bewusstseins. Geistesbeherrschung führt zur Weisheit. Übe Meditation“, heißt es in den Upanishaden, dem philosophischen Teil der altindischen Veden. „Nichts sinnen, nichts denken: so erkennst du den rechten Weg (Dao)“, schreibt der chinesische Philosoph Zhuangzi (ca. 365–290 v. u. Z.). Wie in der westlichen Philosophie und christlichen Religion geht es hier um die Überwindung der Gebundenheit im Weltlichen. Das Ziel sind Distanzierung und Loslösung vom Alltag, das Freiwerden vom Triebhaft-Leiblichen, die Einsicht und Weisheit, die Aufgabe des Wollens, ähnlich wie auch Buddha es gelehrt hat. In der Meditation gelangt der Yogi „in seine Wesensidentität“, so Patanjali, wie der Hindu, wie die Sufis und die christlichen Mystiker zum Göttlichen, „Brahman“, das sie im eigenen Selbst finden, „Atman“, und mit dem sie in der Meditation eins werden.
Solches Meditieren deckt sich mit Platons Verständnis von Philosophie als einem „Sterben Lernen“, nämlich einem sich Lösen vom Körperlichen und vollständigen Aufgehen in einem geistigen Schauen dessen, was ist, den „ewigen Ideen“.
In allen Formen von Meditation in Ost und West ist mit dieser zeitweisen Abkehr vom weltlichen Getriebe, der Versenkung in die Geborgenheit im eigenen Innern und der Konzentration auf das „Eine“ ein starker ethischer Aspekt verbunden. Das Leiden an der Welt soll überwunden und vollkommenes Glück erfahren werden. „Leiden, Gemütsstörung, Körperschwäche, unnatürliches Ein- und Ausatmen sind die Begleiterscheinungen eines zerstreuten Geistes. Um diese Hindernisse zu beseitigen, [soll man] die Konzentration auf die Einheit üben“, so Patanjali weiter. In der Bhagavadgita, einem bedeutenden indischen Lehrgedicht, lesen wir: „Wen nicht berührt die Außenwelt (...) der findet in sich selbst das Glück.“ Dass hier die Meditation gemeint ist, wird ein paar Zeilen später klar: „Dem äußeren Sinneneindruck fern, mit starrem, unverwandtem Blick, den Atem durch der Nase Spalt, bald vorwärts stoßend, bald zurück (...) von Gier, Furcht, Zorn sich hat befreit (...) der ist erlöst für alle Zeit“: erlöst von dem Leiden in und an der Welt.
Der Zen-Buddhismus brachte zu Bewusstsein, dass man bei jeder Tätigkeit, selbst beim Aufräumen, Geschirrspülen, Saubermachen, wenn wir uns nur mit voller Hingabe, Achtsamkeit und Konzentration in sie versenken, meditieren und Gutes schaffen kann. Buddha hat in drei Gliedern seines „achtfachen Pfades“, der den Weg zu einem gleichmütigen, leidfreien Leben weist, den befreienden und praxisorientierten Aspekt der Meditation hervorgehoben. „Samadhi“, wörtlich „Einspitzigkeit“, fordert zur geistigen Sammlung und Konzentration in einem unzerstreuten Geistes auf, der bei einem Objekt verharren soll. „Vayama“ meint Übung und praktische Anwendung und deutet an, dass wir bei jeder Tätigkeit meditieren können. „Sati“ schließlich steht für Achtsamkeit, die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment hellwach und präsent zu sein.
In der Versenkung kommt der Meditierende zur Ruhe, wird klar, sammelt und bewahrt seine mentale Energie.
Besonders der Buddhismus betont den praktischen Aspekt der Meditation, auf den auch die westliche Vorstellung einer philosophischen Meditation abzielt. Es geht in der Meditation darum, ein klares Bewusstsein davon zu erhalten, wer man ist, woher man kommt und wonach man streben soll. In praktizierter liebender Güte, in Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut verwirklicht sich in jedem Menschen die „Buddha-Natur“. Schon die Upanishaden fordern uns auf, „tätiges Handeln mit Meditation zu verbinden“. In der Versenkung kommt der Meditierende zur Ruhe, wird klar, sammelt und bewahrt seine mentale Energie. Er wendet sich mit diesem Bewusstsein wieder der Welt zu, um dort das als wertvoll Erkannte zu realisieren. In der Ruhe liegt die Kraft. In dem Tun aber Glück und Erfüllung.
In dieser Vorstellung von Meditation ist es die richtige Balance zwischen der „vita contemplativa“, der inneren Sammlung, und der „vita activa“, dem Wirken in der Außenwelt, die das Leben gelingen lässt. Die Vorstellung der Griechen war, dass der Mensch in sich selbst durch Selbsterkenntnis, Nachdenken und Übung ein philosophisches Bewusstsein heranbildet. Dieses gibt dem tätigen Menschen in uns Orientierung und Rat. Er lebt und wirkt in der Welt, aus einer Distanz heraus, die frei ist von weltlicher Gebundenheit. Er hat das Wesentliche des Lebens und die übergeordneten Werte im Blick. So bewahrt es ihn vor Fehltritten und selbstschädigendem Verhalten. Dieser Philosoph im Menschen schöpft seine Kraft und Einsicht aus einem tiefen Verstehen von sich, der Welt und den Mitmenschen. Dieses erlangt er im konzentrierten Denken und Sinnen, in regelmäßiger Meditation, in der Helle und Wachheit eines erweiterten Bewusstseins.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 117: „Meditation"
Das ist zusammengefasst das, was ich aus den antiken Weisheitstexten aus Ost und West über Meditation für mich gelernt habe und was ich versuche, in meinem Leben umzusetzen, zu üben und zu praktizieren. Was mir Gutes und Beglückendes geworden ist, verdanke ich diesem regelmäßigen Wechsel von Tätigkeit und Rückzug. Ohne Meditation im Sinne eines periodischen Rückzugs, einem Stillwerden, Zur-Ruhe-Kommen, In-sich-Kehren, einer Sammlung und einem Nachdenken hätte ich keine Fortschritte auf meinem Weg erzielen können. Ich schätze an der Meditation beide Seiten und versuche, sie in meinen Übungen zu verbinden: die philosophische Besinnung der westlich geprägten Art des Meditierens einerseits mit dem Leerwerden in den mehr körper- und atembetonten Formen der östlichen Meditation andererseits. Ich bin das Pendel zwischen einem stillen Nachdenken und einem gedankenlosen Versunkensein.
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