Zwei säkulare Buddhisten und eine traditionsübergreifende Buddhistin sprechen darüber, wie sie Buddhismus leben.
Wie beeinflusst Buddhismus Ihr Leben?
Anna Brychcy: Er ist untrennbar mit meinem Leben verbunden. Das Studieren von frühbuddhistischen Schriften fordert immer wieder meinen Verstand heraus. Viele Techniken der Geistesschulung und Herzöffnung fließen auch in meine Trainings und Coaching in der Wirtschaft ein. Auch durchzieht der Buddhismus meinen Alltag, in dem ich versuche, mehr Freude und Verbundenheit in den Beziehungen zu anderen Menschen und mir selbst zu kultivieren – das macht das Leben reicher.
Eva-Maria Glatz: Säkularer Buddhismus ist ein entscheidender Teil meines Lebens geworden. Ich kann besser mit Schmerz umgehen und bin gelassener geworden. Ich halte es mit dem Begriff „Care“ – Fürsorge und Sorgfalt –, den Stephen Bachelor geprägt hat. Dem möchte ich mich annähern.
Thomas Hamann: Als Leiter einer buddhistischen Gruppe wird mein Leben auf ganz praktische Art vom Buddhismus bestimmt. Außerdem prüfe ich alle Lebensentscheidungen auch, aber nicht nur, nach buddhistischen Kriterien.
Was hat Buddhismus der Moderne zu sagen?
Brychcy: Aus dem Buddhismus lernen wir, dass es einen mittleren Weg zwischen gierigem Konsum und dogmatischem Verzicht gibt, dass sich die Krisen unserer Zeit nur gemeinsam mit mehr Weisheit und mehr Mitgefühl bewältigen lassen, dass wir hinter die eingefahrenen Muster in uns selbst und in der Gesellschaft schauen und uns heilsam engagieren können.
Glatz: Aus dem Buddhismus lernen wir bedingungslose Gewaltfreiheit im persönlichen Leben und in der Politik sowie das Streben nach einem einfachen Leben – dazu gehört Konsumverzicht und die Erkenntnis, dass wir Teil der Natur sind, die uns umgibt.
Hamann: Der Buddhismus zeigt uns, wie wir werteorientiert leben, Stress verringern und mit weniger zufrieden sein können. Eine buddhistische Gemeinschaft kann der Vereinsamung in modernen Gesellschaften entgegenwirken.
Passen Buddhismus und gesellschaftspolitisches Engagement zusammen?
Brychcy: Mit tiefer Einsicht für die Ursachen des Leidens, mit mutigem Blick darauf, wie wir zu leidvollem Handeln beitragen, und mit dem Wiederentdecken der kostbaren Ressourcen wie Wohlwollen, Mitfreude, Gleichmut, Anstrengung führt die buddhistische Praxis ganz natürlich dazu, sich gesellschaftlich zu engagieren. Jede und jeder auf seinem individuellen Weg und mit unterschiedlichen Möglichkeiten.
Glatz: Säkularer Buddhismus und gesellschaftliches Engagement passen unbedingt zusammen, beides brauchen wir in Zeiten wie diesen noch mehr als sonst.
Hamann: Als säkularer Buddhist richtet sich mein Mitgefühl auch auf die gesellschaftlichen Ursachen von Leid. Daher gehört das aktive Engagement, um Leid auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu beseitigen, für mich zum Weg.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 123: „Buddha heute"
Brauchen wir die buddhistische Lehre, wenn wir MBSR und Psychotherapie haben?
Brychcy: Psychologie, MBSR oder yogische Praxis sind wundervolle Heilmittel. Sie beinhalten wichtige Aspekte, die im Buddhismus kaum repräsentiert sind, etwa die psychologische oder körperliche Verfasstheit der Praktizierenden. Der Buddhismus birgt auch Risiken wie Personenkult oder spirituelle Weltflucht. Aber er trägt auch zu Transformation und zum Frieden bei.
Glatz: Wir brauchen beides. MBSR und Psychotherapie verfolgen zumindest implizit ein Ziel, zum Beispiel besser leben zu lernen. Säkularer Buddhismus ist absichtslos.
Hamann: Wir brauchen den Buddhismus, weil er eine umfassende Orientierung für das eigene Leben bereitstellt, eine praktische Lebensphilosophie. Das wollen und können Methoden mit begrenzteren Zielen nicht bieten.
Wie sieht Ihre persönliche buddhistische Praxis aus?
Brychcy: Eine fließende Mischung aus formaler Sitzmeditation, Gehmeditationen nach Thich Nhat Hanh und die Kultivierung der vier Brahma Viharas im täglichen Leben. Seit Kurzem widme ich mich einem Paramita-Programm, in dem für jeweils ein bis zwei Wochen jede der sechs Vollkommenheiten - Geben, Ethik, Geduld, Tatkraft, Sammlung und Weisheit - intensiv studiert, reflektiert und auf das eigene Tun im Alltag angewendet wird.
Glatz: Ich bin Teil einer kleinen Gruppe, die jede Woche zum Meditieren zusammenkommt. Zusätzlich sitze ich mehrmals in der Woche.
Hamann: Ich meditiere täglich und beschäftige mich mit der buddhistischen Lehre – aus Interesse und weil ich für den Freien Buddhismus e. V. ständig neue buddhistische Themen aufbereite und unterrichte.
Anna Karolina Brychcy, Dipl.-Psychologin, arbeitet als Trainerin und Coach in einer systemischen Beratung in Köln. Sie ist im Vorstand der Deutschen Buddhistischen Union und als Meditationslehrende aktiv. Seit 2004 praktizierend, mit starken Wurzeln in der Samatha- und Vipassana-Praxis.
Eva-Maria Glatz, Studium der Psychologie, Arbeit als Sozialmanagerin im öffentlichen Dienst. Mutter und Großmutter, zwei Buchveröffentlichungen über Familiengeschichte und Autobiografisches. Nach einem Schlaganfall im Jahr 2016 halbseitig gelähmt.
Thomas Hamann ist Vorsitzender des Vereins Freier Buddhismus e. V. www.freierbuddhismus.de
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