Selbst unter chronischen Rückenschmerzen leidend, musste Nina Olsson einen langen, beschwerlichen Weg gehen, bevor sie Linderung erfuhr. Als Neurocoachin beschäftigt sie sich damit, wie bestimmte Gehirnnetzwerke, die bei Schmerz involviert sind, durch bewusstes Denken verändert werden können.
Akuter Schmerz ist zunächst ein vom Gehirn ausgesandtes Alarmsignal an den Körper: „Hier ist Gewebe verletzt! Sofort reparieren!“ Ohne dieses Signal wären wir akut bedroht. Der Thalamus bewertet zunächst den Schmerz emotional hinsichtlich seiner Erträglichkeit. Dann verteilt er den Schmerzimpuls an weitere Gehirnregionen: limbisches System, Hypothalamus, Hypophyse, somatosensorischer Cortex, präfrontaler Cortex.
Chronischer, immer wiederkehrender Schmerz, etwa am Rücken, hat jedoch in vier von fünf Fällen keine medizinische Ursache mehr. Die ursprüngliche Verletzung, wie ein eingeklemmter Nerv oder ein Bandscheibenproblem, ist längst verheilt. Die offizielle Diagnose lautet dann „unspezifischer Schmerz“. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Therapeuten nicht mehr so recht wissen, was sie machen sollen, um den Patienten zu helfen. In der Schulmedizin konzentriert sich die Behandlung auf den Körper; der Kopf, das Mentale wird nicht einbezogen. Das liegt auch an den Patienten selbst, denn die wenigsten haben Zeit und die Bereitschaft, sich mit ihrem Schmerz bewusst auseinanderzusetzen. Viele verlangen immer stärkere Schmerzmittel und weitere Physiotherapie; am Ende wird sogar zu einer Operation geraten. Wie oft schon habe ich gehört oder gelesen: „Bei Rückenschmerzen geht man zum Neurochirurgen!“ Statistische Erhebungen der Krankenkassen zeigen allerdings, dass Operationen an der Wirbelsäule selten das erhoffte Ergebnis zeigen. Die Schmerzen bleiben. Oft liegt die Ursache für chronische Rückenschmerzen am sogenannten Schmerzgedächtnis. Einfach erklärt ist ein chronischer Schmerz ohne erkennbare Ursache eine Erinnerung. Erinnerungen können weder durch Medikamente noch durch eine Operation gelöscht werden. Das Schmerzgedächtnis ist die fälschliche Erinnerung an einen Schmerz. Es entsteht durch einen Irrtum des Gehirns: Wird ein Schmerz aufgrund einer Verletzung intensiv und lang anhaltend wahrgenommen, gewöhnt sich das Gehirn daran, den Schmerzalarm auszusenden.
Erinnerungen überschreiben
Unser Gehirn ist ein Energiesparfuchs und arbeitet nur gerade so viel wie unbedingt nötig. Vieles wird „auf Automatik“ gestellt, denn das Gehirn hat schon genug damit zu tun, unseren Körper am Leben zu erhalten. So kann es passieren, dass der Alarm weiterhin ausgesendet wird, obwohl das verletzte Gewebe längst verheilt ist. Das Gehirn hat sich den Schmerz gemerkt. Die gute Nachricht: Eine Erinnerung kann überschrieben werden. Erinnerungen sind in unserem Kopf. Und genau dort müssen wir sie auch ändern. Den Prozess dazu haben amerikanische Neurowissenschaftler entdeckt, allen voran Joseph LeDoux.
Neue schmerzfreie Bewegungsmuster abspeichern
Eine traumatische Erinnerung wird schrittweise aus dem Gedächtnis hervorgeholt, durch bewusstes Denken positiv verändert und in dieser veränderten Form abgespeichert. Dies geschieht so oft, bis die vollständige ursprüngliche Erinnerung in neuer Form in unserem Gedächtnis gespeichert ist. Der Fachausdruck hierfür ist „Memory Reconsolidation“, die Rückverfestigung einer Erinnerung.
Um das Schmerzgedächtnis dauerhaft zu überschreiben, brauchen wir eine Kombination aus neuer Denkweise und schmerzfreien Mikrobewegungen, also das Zusammenspiel von Kopf und Körper. Die Gedanken fokussieren sich weg vom Schmerz auf ein stark emotional positives Ereignis. Gleichzeitig bewegt sich der Körper, bewegt sich die Wirbelsäule schmerzfrei.
Auch wenn die Bewegung mikroskopisch klein ist, ist sie dennoch schmerzfrei. Dieses neue Bild speichert das Gehirn nun ab und legt es über die alte Erinnerung an den Schmerz, der ursprünglich einmal von einer „falschen“ Bewegung ausgelöst worden war. Je öfter und länger wir diese kombinierte Übung praktizieren, desto eher kann die veraltete Erinnerung überschrieben werden.
Ein einziges Wort, wird es ausgesprochen oder nur gedacht, hat die Macht, körperlichen und emotionalen Stress zu beeinflussen.
Negative Gedanken und Worte haben die Ausschüttung von sogenannten Stresshormonen im Blut zur Folge, die nicht nur zerstörerisch auf unsere Zellen wirken, sondern die Wahrnehmung von Schmerz verstärken.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 125: „Geist & Gehirn"
Nicht über Schmerz sprechen
Positive Gedanken und Worte können die Stresshormone neutralisieren und somit die Wahrnehmung von Schmerz reduzieren. Je öfter es gelingt, negative Gedanken und Worte zu vermeiden, desto weniger empfindet man Schmerz. Doch wie lassen sich schmerzverstärkende Gedanken erkennen?
Hier kommt die Selbstbeobachtung ins Spiel. Unser Gehirn ist plastisch, es kann sich verändern. Und Veränderung können wir zum Teil durch bewusstes Denken herbeiführen. Im Fall der Schmerz- und Stressvermeidung ist es gut, wenn man aufhört, über den Schmerz zu sprechen. Denn durch das Reden erfährt man keine Erleichterung, im Gegenteil.
Schmerzfreie Erinnerung
Man kann auch sein Umfeld bitten, sich nicht mehr nach dem Befinden zu erkundigen. Wenn es gelingt, wäre es am besten, sich über gar nichts mehr zu beschweren: nicht über sich selbst, die anderen oder das Wetter. Nichts wird sich durch das Klagen ändern, außer der Schmerz: Dieser wird stärker. Außerdem schadet man damit dem Gehirn.
Damit das Gehirn nun dazu bereit ist, ein schmerzfreies Erlebnis als neue Erinnerung abzuspeichern, brauchen Sie eine Bewegung, die wider Erwarten nicht wehtut. Durch bewusstes Denken zum Beispiel kann man eine neue Erfahrung zulassen: Eine Bewegung, die in der Vergangenheit schmerzhaft war, kann in der Gegenwart schmerzfrei ausgeführt werden.
Die ersten wichtigen Schritte, die Ihnen helfen, Ihr eigener Therapeut zu werden.
Übung 1:
Nehmen Sie ein Gummiband und ziehen Sie es über Ihr Handgelenk wie ein Armband. Sobald Sie sich dabei ertappen, sich zu beschweren, ziehen Sie an dem Gummi. Anfangs werden Sie vielleicht eine geringe Rötung der Haut bemerken, weil Sie so oft ziehen. Aber bereits nach einer Woche werden Sie Ihre Worte bewusster wählen.
Übung 2:
Wählen Sie zum Hören ein rhythmisches Musikstück, das Sie in gute Laune versetzt. Am besten eins, das schöne Erinnerungen weckt. Stellen Sie sich hüftbreit auf. Beugen Sie nun abwechselnd das rechte, dann das linke Bein, als ob Sie am Strand gehen würden. Ihr Becken bewegt sich dadurch einmal nach rechts, dann nach links und wieder nach rechts.
Folgen Sie dem Rhythmus der Musik und steigern Sie langsam den Grad der Bewegung, aber immer nur so weit, wie es schmerzfrei möglich ist. Vermeiden Sie, sich nach vorne oder hinten zu bewegen. Ihre Lendenwirbelsäule mag lieber Seitwärtsbewegungen.
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