Ist Meditation ein geeignetes Mittel zur Vorbeugung von Demenz und zin weiterer Folge des Wohlbefindens älterer Menschen?Martine Batchelor, eine international bekannte, erfahrene Meditationslehrerin, war dazu an einem Forschungsprogramm beteiligt und stellt sich den Fragen der U\W.
Das europäische Forschungsprogramm Medit-Ageing, koordiniert vom französischen INSERM, „Institut National de la Santé et de la Recherche Médicale“, unter der Leitung von Gaël Chételat, wollte eine Antwort auf die Frage finden: Beugt Meditation Demenz vor? Ebenfalls beteiligt waren das Neuroscience Research Center in Lyon, das University College London sowie die Universitäten Lüttich und Genf. Die „Age-Well-Studie“ untersuchte die Auswirkungen eines 18-monatigen Meditationstrainings auf bestimmte Gehirnstrukturen. An der Studie haben 136 gesunde Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter teilgenommen. Die Forscherinnen und Forscher maßen die Auswirkungen des Meditationstrainings auf das Gewebevolumen und die Durchströmung bestimmter Hirnregionen wie der Insula und des anterioren cingulären Kortex.
Mit Durchströmung wird ein physiologischer Prozess bezeichnet, der die Versorgung eines Organs mit den für seinen Stoffwechsel erforderlichen Nährstoffen und Sauerstoff sicherstellt. Die miteinander verbundenen Regionen der Insula und des anterioren cingulären Kortex sind an der Selbstwahrnehmung sowie an der Verarbeitung und Regulierung von Aufmerksamkeit, Emotionen und Empathie beteiligt. Aus früheren Studien weiß man, dass sie besonders auf Meditation reagieren. Bei jungen Erwachsenen konnte bereits gezeigt werden, dass Meditation sowohl strukturelle, etwa in Bezug auf das Volumen, als auch funktionale Veränderungen dieser Strukturen bewirken kann. Besonders deutliche Veränderungen konnten im Gehirn von erfahrenen Meditierenden mit mehreren Tausend Stunden Meditationserfahrung nachgewiesen werden. So ist das Volumen der grauen Substanz bei diesen Personen größer als bei Menschen gleichen Alters, die nicht meditieren. Die graue Substanz ist ein wichtiger Bestandteil des Zentralnervensystems und bestimmt maßgeblich dessen Funktionen. Mit der grauen Substanz werden besonders die Intelligenzleistungen des Gehirns in Zusammenhang gebracht. Sie steuert sämtliche Wahrnehmungsprozesse und motorischen Leistungen des Menschen. Auch der Glukosestoffwechsel, ein physiologischer Prozess, der für eine gute Gehirnfunktion unerlässlich ist, ist deutlich erhöht. Um das Auftreten von Demenz bei älteren Menschen zu verhindern, konzentrierte man sich bislang in erster Linie auf die Verbesserung der Lebensweise. Dazu gehören kognitive Stimulation, körperliche Aktivität, gesunde Ernährung und ein moderates Herz-Kreislauf-Training. Spezielle Präventivmaßnahmen für sogenannte psychoaffektive Faktoren wie Depression, Stress und Angst, die häufig mit Demenz einhergehen, gibt es jedoch bislang nicht. Als vorteilhaft bei der Bewältigung von Depression, Stress und Angst hat sich jedoch mentales Training wie beispielsweise die Achtsamkeitsmeditation erwiesen.
Die U\W befragte Martine Batchelor.
U\W: Wie war die Studie aufgebaut?
Martine Batchelor: Die Teilnehmenden wurden in drei Gruppen eingeteilt. Mithilfe der Kontrollgruppen konnte man den potenziellen Nutzen der Meditation mit anderen Formen der Intervention vergleichen.
Die erste Gruppe praktizierte Meditation nach bestimmten Vorgaben, die zweite Gruppe, die „aktive Kontrollgruppe“, absolvierte ein Englischtraining, während die dritte Gruppe, die „passive Kontrollgruppe“, an keiner Intervention teilnahm.
Martine, worin genau bestand Ihre Aufgabe?
Martine Batchelor: Zunächst habe ich einen Teil des Leitfadens für das 18-monatige Programm der Meditationsgruppe entwickelt. Dabei griff ich auf ein bestehendes Programm zurück, das für eine frühere Studie entworfen worden war.
Was umfasste das Programm?
Batchelor: Der von mir organisierte Teil des Meditationsprogramms lief über neun Monate und konzentrierte sich auf Achtsamkeitsmeditation. Die andere Hälfte des Meditationsprogramms war mehr auf die Praxis der liebenden Güte und des Mitgefühls ausgerichtet. Ich habe Meditationssitzungen geleitet, die über 18 Monate hinweg einmal wöchentlich für zwei Stunden stattfanden.
Hatten Sie weitere Aufgaben in der Studie?
Batchelor: Ich gehörte zu den 30 erfahrenen Meditationsexpertinnen und -experten, darunter auch
Matthieu Ricard, buddhistischer Mönch, studierter Molekularbiologe und offizieller Französischübersetzer für den Dalai Lama, die die gleichen Tests durchliefen wie die Senioren, um die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen festzustellen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 125: „Geist & Gehirn"
Zu welchen Ergebnissen gelangte die Studie?
Batchelor: Nach 18 Monaten konnten die Forschenden nachweisen, dass Meditation die Fähigkeit steigerte, Aufmerksamkeit und Emotionen zu regulieren. Es ließen sich jedoch keine signifikanten Veränderungen des Volumens oder der Durchströmung des cingulären Cortex und der Insula in der Meditationsgruppe im Vergleich zu den Kontrollgruppen feststellen.
Was bedeutet das?
Batchelor: Die Tatsache, dass keine anatomischen Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen beobachtet wurden, könnte darauf hinweisen, dass Meditation vor allem das Volumen jüngerer und plastischerer Gehirne verändern kann. 18 Monate Meditationstraining scheinen jedoch nicht auszureichen, um die Auswirkungen des Alterns zu mildern. Die Ergebnisse der Durchströmungsmessung zeigen aber einen Trend zugunsten der Meditation. Es könnte interessant sein, hier eine Untersuchung über einen längeren Zeitraum sowie mit einer größeren Bevölkerungsstichprobe zu unternehmen.
Gab es noch weitere interessante Ergebnisse?
Batchelor: Bei den Verhaltensmessungen wurden signifikante Unterschiede zwischen der Meditationsgruppe und der Englischlerngruppe festgestellt. Die Teilnehmenden der Meditationsgruppe wiesen eine bessere Regulierung der Aufmerksamkeit und ihrer sozialen und emotionalen Fähigkeiten auf. Hier zeigt sich der tatsächliche Nutzen der Meditationspraxis für die geistige Gesundheit älterer Menschen.
Wie geht es weiter?
Batchelor: Das Forschungsteam wird eine Nachbeobachtung der Teilnehmenden über vier Jahre durchführen, um die Langzeiteffekte zu untersuchen. Um noch besser zu verstehen, wie Meditation wirkt, werden außerdem weitere Untersuchungen und spezifischere Messungen und Analysen durchgeführt.
Martine Batchelor ist eine international tätige Meditationslehrerin, ehemalige buddhistische Nonne und Autorin zahlreicher Bücher. Sie lebt in Frankreich.
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