In der abendländischen Philosophie spielt die Eudaimonie eine große Rolle, die Lehre vom gelingenden Leben. Zentral ist, Seelenruhe zu entwickeln, im Einklang mit seinen Werten zu leben und mit anderen verbunden zu sein.
Die Eudaimonie, die Lehre vom glücklichen, gelingenden Leben, hatte in der abendländischen Philosophie ihren Höhepunkt in der Antike. Dort wurde alles Wesentliche dazu in einer Tiefe und Breite ausgesprochen, die bis zum heutigen Tag nicht wieder erreicht wurde. Hinzu kommt, dass seit Kant in der ethischen Diskussion eine Pflichtenlehre vorherrscht. Danach ist für das gelingende Leben entscheidend, dass der Mensch seine Pflicht erfüllt, die ihm die Vernunft vorgibt. Ob er dadurch glücklich werde, ist unerheblich. Was er tut, solle er um der Pflicht willen tun, nicht um ein glückliches Leben zu erlangen. Allerdings erweise er sich eben dadurch, wie Kant hinzufügte, würdig, ein glückliches Leben zu führen.
Demgegenüber fragte die Antike, was das letzte Ziel im Leben eines Menschen sei, das selbst nicht mehr Mittel für ein weiteres Ziel sei. Die Philosophen sahen es in einem glücklichen Leben. Alle anderen Ziele, Güter und Zwecke werden nur angestrebt um dieses einen letzten Ziels willen. Nach dem damaligen Verständnis bezeichnete „Glück“ vor allem eine dauerhafte „Wohlgemutheit“, Zufriedenheit, Seelenruhe und heitere Gelassenheit, die das Ergebnis richtiger Lebensführung auf der Grundlage ethischer Werte und Haltungen war. Für die Philosophen der Antike war die Ethik mithin eine Glückslehre, das „Glück“ ihr eigentlicher Gegenstand, Maßstab für ein gelungenes wie auch „gutes“ Leben. Die Lebensweise und der Seelenzustand, der mit „Glück“ beschrieben wurde, war für die Griechen ein Zustand, der weitgehend frei war von negativen Affekten wie Ängste, Sorgen, Zorn, Wut, Ärger, Neid, Eifersucht, Gier, Stress, Unruhe, Unausgeglichenheit etc. Diese wurden als „Krankheiten“ der Seele bezeichnet, sodass die praktische Philosophie, die nach den ethischen Prinzipien suchte, um sich von diesen zu befreien und ein gemeinverträgliches Leben zu führen, neben einer Glückslehre zugleich Seelenheilkunde war.
In der Antike legte man Wert auf die Psyche
Schon früh wandelte sich bei den Griechen die Vorstellung vom Glück. Ursprünglich wurde es in äußeren Gütern wie Besitz, Ansehen, Gesundheit und großer Familie gesehen und war so Synonym für Reichtum und gutes Gelingen. Es hing damit weitgehend vom Zufall, von günstigen Umständen und dem Schicksal ab. Eine entscheidende Wendung setzte mit dem Vorsokratiker Heraklit ein, der das Glück in der Seele, im Charakter, in den inneren Werten und Haltungen verortete und damit ganz in die Macht des Einzelnen stellte. Der Mensch wurde zum Gestalter seines Schicksals, zum seines Glücks eigenen Schmied. So konnte er sagen: „Der Charakter eines Menschen ist sein Schicksal.“ Ihm folgte Demokrit, ein Zeitgenosse des Sokrates: „Das Glück liegt nicht in Herden und Ländereien, sondern in der Seele.“ Dementsprechend bedeutet das griechische Wort „eudaimonia“ wörtlich „in sich einen guten Dämon haben, von einem guten Gott beseelt sein“. Sokrates und Platon zogen die Konsequenzen aus diesen Ansätzen und forderten, sich selbst und den göttlichen Funken in sich zu erkennen, den Seelenhaushalt in Ordnung und die innerseelischen Kräfte, rationale wie irrationale, in einen harmonischen Ausgleich zu bringen. Wem das gelinge, der führe ein glückliches Leben. Diese Auffassung blieb maßgebend für die Ethik der gesamten Antike.
Man lebt für sich, wenn man für andere lebt
Dabei war man weit davon entfernt, das Glück und ein gelingendes Leben auf den persönlichen Nutzen zu reduzieren, was ihnen später die Anhänger der Pflichtenethik vorwarfen. Unter den innerseelischen Kräften, die zum Ausgleich gebracht werden müssen, hielten die griechischen und römischen Philosophen das Streben, mit anderen Menschen in Liebe und Eintracht verbunden zu sein, für andere da zu sein und ihnen Gutes zu tun, für eines der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen, ohne dessen Befriedigung kein Leben gelingen könne. Man lebe nur dann wahrhaft für sich, wenn man für andere lebe, sagte Seneca.
Dieser Aspekt wurde auch ins Feld geführt, wenn es um die intensiv geführte Diskussion um die Abgrenzung von „Lust“ und „Glück“ ging. Einige Philosophen wie Aristippos und seine Schüler identifizierten „Lust“ und „Glück“, sodass Glück in einer optimalen Lustbilanz bestand. Epikur hielt zwar auch die „Lust“ für das höchste Gut, grenzte sie aber ausdrücklich von der bloßen sinnlichen Befriedigung von Bedürfnissen ab. Nicht die „Lust der Schlemmer“ gewähre dauerhaftes Glück und höchste Freude, sondern maßvolle Lust, Bescheidenheit, Einfachheit und periodische Enthaltsamkeit. Im Übrigen lebe nur derjenige glücklich, der zugleich besonnen, vernünftig und gerecht lebe, und wer so lebe, der führe auch notwendig ein glückliches Leben.
Hier deckte sich die Auffassung Epikurs mit derjenigen Platons, Aristoteles und der Stoiker, die meinten, nur ein tugendhaftes Leben führe zum Glück. Äußere Güter bedürfe es dafür nicht, soweit nur das Notwendige zum Überleben vorhanden sei. Großer Besitz könne ein angenehmer Begleiter des Lebens sein, sei aber kein Garant für ein glückliches Leben. Es komme darauf an, welchen Gebrauch man von ihm mache. Für viele Menschen ist er eher ein Hindernis auf dem Weg zum wahren Glück. Dieses sei nicht bloß ein Gefühlszustand, sondern „Lebensfülle“ und beruhe auf einem Tun, dem besonnenen, vernünftigen, gerechten und tapferen, mithin tugendhaften Verhalten. Das Glück könne man nicht im direkten Zugriff erlangen, sondern sei die Frucht einer solchen „weisen“ und verantwortlichen Lebensführung. Jeder sei so glücklich, wie er es sich durch „gutes“ und gemeinverträgliches Leben verdient habe. Dazu gehört nach den Stoikern auch, dass man seine inneren Anlagen ausbilde und entfalte. Man müsse „naturgemäß“ leben, und das hieße, in Übereinstimmung mit der äußeren und seiner inneren Natur. Man müsse sich in den natürlichen Lebenskreislauf einfügen, an seinem Fortbestand mitwirken und dabei gleichzeitig sein individuelles Potenzial verwirklichen.
Selbstgenügsam und heiter leben
Wie kann man sich ein solches gelingendes Leben vorstellen, das sowohl naturgemäß als auch tugendhaft ist? Bei allen Unterschieden in der Begründung herrschte unter den Philosophen der Antike Einigkeit über die wesentlichen Kriterien eines gelingenden Lebens. An erster Stelle stand die Erlangung der Seelenruhe, der inneren Ausgeglichenheit, einer Grundstimmung heiterer Gelassenheit, die von äußeren Zufällen nicht erschüttert werden könne. Sie erreiche man durch innere Unabhängigkeit, durch die Fähigkeit, an nichts Äußerem zu haften und alles loslassen zu können, selbstgenügsam, „autark“ und autonom zu leben. Wer sich selbst genüge – so die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Worts „autarkeia“ –, der sei auch im hohen Maße widerstandsfähig, resilient und leide weder unter einem Mangel an etwas noch unter der Gier nach immer mehr. Deshalb bleibe er weitgehend frei von negativen Affekten wie Angst, Zorn, Neid und Gier.
Zu dem gleichen Ergebnis kamen die sogenannten Skeptiker, die die Möglichkeit bezweifelten, in irgendeiner Frage zu „wahrer Erkenntnis“ zu gelangen. Auch sie strebten ein glückliches Leben und Seelenfrieden an, meinten aber, dieses dadurch erreichen zu können, dass sie auf jedes Urteil verzichteten. Für wen es weder Gutes noch Schlechtes gibt, der nimmt alles so, wie es kommt, vermeidet damit jede Aufregung und bewahrt vollkommene Seelenruhe.
Reflexion führt zum Glück
Ein wichtiges Kriterium für ein gelingendes Leben war es ferner, stimmig zu leben, das heißt sein Denken, Sprechen, Fühlen, Wollen und Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Durch kontinuierliches Lernen, Üben und entsprechendes Handeln forme man seine inneren Einstellungen und Haltungen. „Einstimmig leben“ nannte es der Begründer der stoischen Philosophie, Zenon von Kition. Wo der Mensch leide, da leide er an innerer Zwietracht und ungelösten innerseelischen Konflikten. Insbesondere werde er sich häufig untreu und lebe nicht so, wie er eigentlich leben wolle. Er verkenne das, was ihm dauerhaft guttut, und laufe stattdessen den falschen Gütern hinterher wie Reichtum, Ruhm, Macht und gesellschaftliches Ansehen. Sich selbst zu betrügen, sei von allem das Schlimmste, sagte Sokrates.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 126: „So gelingt Dein Leben"
Schließlich brauche es Einsicht in die Werte, die nährend und zu anhaltender Freude führen, sowie in die Unwerte, die Leiden hervorrufen. Weisheit sei es, diese Einsicht zu erlangen, beharrlich umzusetzen und stets nach der besten Einsicht zu leben. Das hat viel damit zu tun, in allem Maß und Mitte zu wahren, mit anderen Worten ein „tugendhaftes“, das heißt gutes, besonnenes und gerechtes, Leben zu führen. Dieses Ziel, die Haltung eines weisen Menschen, wird nach Seneca durch Übung, Gewöhnung und kontinuierliches Betätigen erreicht. Man erwirbt das dafür notwendige Wissen durch philosophische Reflexion. Dann prägt man es sich so ein, dass es nicht mehr verloren werden kann, und schließlich wendet man es an. Durch die Übung wird es zu einem „Habitus“, einem Bestandteil des Charakters. Durch Übung könne man alles erreichen, alles an sich verändern. Man ist weder Sklave seines Erbguts noch seiner Prägungen. Die natürlichen Eltern könne man sich nicht aussuchen, sagte Seneca, wohl aber die geistigen.
Die höchste Weisheit aber war für die Alten die Fähigkeit, zu lieben, das heißt jederzeit mit jedem und allem in Resonanz, das heißt in nährender und beglückender Verbindung, sein zu können. Tiefe und wahre Freundschaft galt ihnen daher als eines der höchsten Lebensgüter. Sie verwirklichten sie in ihren philosophischen Schulen, die häufig enge Lebensgemeinschaften waren. In der Liebe und Freundschaft sahen sie die Wurzeln der Lebensfreude, des glücklichen, gelingenden Lebens. Man wird nur glücklich, sagte Seneca, wenn man andere Menschen glücklich macht.
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