Erleuchtung bleibt selbst nach einem mehrtägigen Meditations- und Schweige-Retreat selten. Doch ein paar Tage im Seins-Modus statt im Aktivmodus sind eine Bereicherung. Stille aushalten - ein Selbstversuch im oberösterreichischen Mühlviertler Hügelland.
Da gibt es diesen Witz, wo der eine dem an deren rät, doch in sich zu gehen, und der antwortet: „War ich schon, ist auch nichts los!“
Das ist nur ein Witz – aber wenn man sich als wenig Geübter bemüht, ins Meditieren „hineinzukommen“, wäre genau das ein erwünschter Zustand. Der sich aber leider nicht einstellt, denn kaum hat man sich, was schwer genug ist, in den Schneidersitz hineingezwirbelt, hält die Augen fest geschlossen und versucht, sich in sich selbst zurückzuziehen, schaltet der eigene Geist auf „Party“.
Beschwichtigend zu hören, dass es versierten Meditierenden nicht viel anders geht.
Ich befinde mich im Meditationsraum des Kleebauer Hofs, eines wuchtigen, sorgsam restaurierten und als Retreat-Center adaptierten Gehöfts in der Mühlviertler Hügellandschaft in Oberösterreich.
Der Programmleiter Bernhard Hötzel erzählt, wie er einmal den Vorsteher eines buddhistischen Klosters in Tibet fragte, wann denn der Geist in der Meditation endlich zur Ruhe kommen würde: „Darauf fingen alle zu lachen an, und er wunderte sich, dass ich überhaupt auf die Idee kam, dass irgendwann Ruhe wäre. "Wenn das der Fall ist, bist du tot!", rief er und lachte weiter.
Bernhards Anekdote nimmt der Sache ein wenig von ihrem Ernst, denn immerhin haben wir, vier Frauen und zwei Männer aus Österreich und Deutschland, uns zu einem fünftägigen Schweige-Retreat hier eingefunden.
Und wer mit Meditation – und erst recht mit Schweigen – wenig vertraut ist, dem kann davor schon ein bisschen bange werden.
Da tauchen Fragen auf wie:
Wie komme ich mit der Zeit zurecht, die ich mehr oder weniger nichts tuend, mit geschlossenen Augen und unbequem sitzend verbringe?
Wie mit Unruhe, Ungeduld oder Langeweile umgehen?
Wie schalte ich die Gedanken ab, beziehungsweise soll ich das überhaupt?
Und wie halte ich mein Mitteilungsbedürfnis in Schach?
Letztendlich ist es aber halb so schlimm, denn das Tagesprogramm schafft so etwas wie ein Geländer, an dem wir uns entlanghangeln können, ohne Gefahr zu laufen, in dem Ozean an Zeit unterzugehen. Und Bernhard navigiert uns fürsorglich und umsichtig durch die einzelnen Etappen.
Nach der „aktiven Morgenmeditation“, das heißt einer Stunde des buchstäblichen Wachrüttelns des Körpers durch Schüttel- und Tanzbewegungen zu sanfter Musik, gibt es Frühstück und anschließend Meditations-Sessionen, die nach längstens einer halben Stunde von Pausen unterbrochen werden.
In den einzelnen Sequenzen werden Meditationstechniken aus der Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR, nach Jon Kabat-Zinn sowie aus dem Zen erprobt.
Dazu gehört das „Hineinfallen ins freie Gewahrsein“, wie Bernhard es nennt, das mit dem Aufmerken auf den durch die Nase strömenden Luftzug beginnt und sich auf die Achtsamkeit auf alles, was vorfällt, ausdehnt.
Wenn es gelingt, wird der Meditierende so etwas wie der Besucher in der Werkstatt des eigenen Geists, seiner eigenen Sinne, und sieht ihnen gewissermaßen bei der Arbeit zu. Wenn nicht, bleibt er dort Erfüllungsgehilfe: Er steckt im Modus des Funktionierens fest.
Bei den von Bernhard „auf die Aspekte Meditieren“ genannten Techniken wird abwechselnd auf die eigenen Gefühle, Gedanken und Geräusche und auf die „liebende Güte“ fokussiert.
Die Gefühle: Das geht ja noch, auch wenn es sich dabei vor allem um wütende Protestsignale aus der Knie- und Hüftregion handelt.
Bei den Gedanken ist es schwieriger, zumal ich sie unwillkürlich als das Hindernis identifiziert habe, das mich davon abhält, zu Ruhe und Klarheit zu gelangen.
Aber das ist ein Missverständnis, so Bernhard: „Komplette Ruhe ist nicht das Ziel. So, wie unser Herz schlägt, blubbert unser Geist. Wenn wir meditieren, tut er das auch, aber wir können Zeuge des Blubberns wer den. Unsere Gedanken sind nun einmal da.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 130: „Stille"
Im besten Fall gelingt es uns, sie ,stehen zu lassen‘ und die in ihnen enthaltenen Bewertungen nicht aufzugreifen.“ Bei der liebenden Güte wiederum schicken wir demjenigen Menschen unsere Liebe und unser Mitgefühl, der uns spontan als unser Nächster in den Sinn gekommen ist.
Eine zur MBSR zählende Technik ist der „Body Scan“, bei dem wir mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegend von Bernhard durch die Körperregionen geleitet werden und diese fokussieren sollen.
Es ist die Übung, die den einen oder die andere von uns immer wieder zum Eindösen bringt, weil das Gewahrsein irgendwann in Richtung Totalentspannung hinübergleitet. Das ist zwar angenehm, aber nicht im Sinne des Erfinders, denn „Entspannung ist die Voraussetzung für Meditation – nicht ihr Ergebnis!“, so Bernhard.
Auch einfache Yoga- und Atemübungen, „rituelles Tee trinken“ und Gehmeditationen sind eingeplant.
Bei Letzteren setzen wir bedächtig einen Schritt vor den anderen und murmeln dabei innerlich „Hier, jetzt, hier, jetzt“ oder etwas in der Art.
Wie wir da unsicheren Schritts im Gänsemarsch durch den Innenhof des Kleebauer Hofs und durch den Gang ins Freie wandeln, könnten wir die Yogini-Gruppe, die gleichzeitig hier ist, ein wenig an ferngelenkte Zombies erinnern.
Aber die wissen ohne hin schon, dass wir die Seltsamen sind, die beim Essen an ihrem Tisch vor sich hin schweigen und den Blickkontakt meiden. Denn das gehört auch dazu.
Apropos Schweigen: Wozu eigentlich dieses verschärfte Format des Retreats inklusive Schweigen, frage ich Bernhard, täte es Meditation allein nicht auch?
„Nein, denn so fallen wir vom meditativen, nach innen gewendeten Modus nicht gleich wieder ins Reden, ins ,Außen‘, zurück, sondern bleiben für die Dauer des Retreats dar in. Dadurch versuchen wir, vom Tun- in den Seins-Modus überzugehen. Du kannst diese spezielle Erfahrung durchaus als eine Begegnung mit dir selbst sehen.“
Vielleicht sollte ich nicht von mir auf andere schließen, aber das meiste, was ich bei Tisch in die Runde hineingesagt hätte, war bei näherem Hinsehen ohnehin entbehrlich.
Das Sprechbedürfnis ziehen zu lassen, war jedenfalls leichter als die Gedanken in der Meditation. Wie ich selbst beim Schweigen dreinsah, weiß ich nicht, aber die anderen Teilnehmer kamen mir wie Schauspieler vor, die noch nach dem passenden Gesichtsausdruck für ihre Rolle suchten.
Das In-sich-gekehrt-Sein, in dem wir ja alle völlig ungeübt sind, hatten wir anscheinend noch nicht drauf, und so schauten wir alle ein wenig gequält und märtyrerhaft vor uns hin. Man hätte lachen können – tat es aber natürlich nicht.
Asanas und Pranayamas, verschiedene Meditationsformen – all das sind bekannte Techniken aus der Yoga- und der hinduistischen Philosophie beziehungsweise dem Buddhismus. In der MBSR werden sie aber nicht zu spirituellen Zwecken angewandt, sondern zur Stressreduktion oder zum Runterkommen.
Aber obwohl sie säkular ausgerichtet ist, fokussiert sie doch letzten Endes genauso auf den Kern der Lehre Buddhas: die Achtsamkeit.
Das sagt nicht der Schreiber dieser Zeilen, sondern soll der Buddha selbst in dieser überlieferten Geschichte gesagt haben: Als ein Mönch darüber klagte, dass er sich die mehr als 200 Mönchsregeln nicht merken, geschweige denn sie befolgen könne, fragte der Buddha ihn, ob er wenigstens eine behalten könne.
Als der Mönch das bejahte, sagte der Buddha: „Sei achtsam.“
Die Achtsamkeitspraxis von der Meditation aufs ganze Leben auszuweiten oder das zumindest zu versuchen – das ist ein guter Plan.
Und so wechsle ich in den Pausen vom Modus der Meditation in den der Kontemplation. Die Landschaft rund um den Kleebauer Hof macht es mir leicht: Vom Schwimmteich aus öffnen sich herrliche Blicke auf rollende Hügel mit Wiesen, Waldstücken und Höfen darauf.
Tagsüber erquicke ich mich immer wieder im Teich, einem Refugium von Frische und Normalität in diesem mörderisch heißen Sommer, nachts lege ich mich auf die übergroße Pritsche, betrachte das funkelnde Himmelsgewölbe und bilde mir ein, tatsächlich die Milchstraße sehen zu können. Für Menschen, die auf dem Land leben, ist das vielleicht nichts so Besonderes, für mich Städter schon.
Beim letzten Einzelgespräch mit Bernhard fasse ich meine Meditationserfahrungen so zusammen: „So ganz im Hier und Jetzt zu sein, das schaffe ich nie! Satori, Nirwana, Erwachen und so weiter, das alles ist und bleibt mir verschlossen – wie die Chinesische Mauer!“
„Dort hin musst du auch gar nicht“, sagt er, „die Erleuchtung ist der ,Masterclass‘ vorbehalten. Wenn du den Führerschein gemacht hast, kannst du auch nicht gleich in der Formel 1 mitfahren.
„Und du, Bernhard, hast du sie erlangt?“, frage ich ihn. „Aber nein. Ich strebe kein Ziel an. Vergiss das Erwachen. Versuch einfach einmal, dir selbst ein wenig näherzukommen, von der Peripherie in Richtung deines Kerns zu gelangen. Erkenne ein bisschen mehr, wer du bist und warum du so bist. Suche nicht unbedingt den Sinn, spüre stattdessen dein Lebendigsein. Das reicht doch fürs Erste, oder?“
Transparenzhinweis:
Diese Reise erfolgte auf Einladung des auf spirituelle Reisen spezialisierten Linzer Reisebüros indigourlaub, www.indigourlaub.com.
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