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Was ist eigentlich Mitgefühl? Die Antwort ist vielleicht verblüffend: Es ist weniger ein Gefühl, als eine innere Haltung. Sie findet ihren Ausdruck in einem uneingeschränkt gutenWillen gegenüber sich selbst und der Welt. Wie kann Mitgefühl uns helfen, dass wir nicht von den Eindrücken überwältigt werden?

Weises Mitgefühl (auf Pali: karuna) kann spontan entstehen oder auch graduell, wenn wir den Mut finden, uns mit der Tatsache des Leids und seinen Ursachen auseinanderzusetzen und feststellen müssen, dass es die Lebenswirklichkeit vieler Menschen und Tiere prägt, obwohl wirklich niemand leiden will. Sich für diese Wahrheit in uns selbst und anderen zu öffnen, ist gar nicht so einfach. Schnell kann man sich schier geflutet fühlen von einer Welle der Emotionen. Wie kann Mitgefühl uns helfen, dass wir nicht von den Eindrücken überwältigt werden?

Ein mitfühlender Mensch befindet sich zwar in feiner, empathischer Resonanz mit dem, was ihn umgibt. Aber er oder sie lässt sich nicht mitreißen von den Ereignissen und Emotionen. Er ist trotz großer Anteilnahme am Geschehen tief verankert in einer wohlwollenden, hilfsbereiten Haltung gegenüber dieser verrückten, brutalen, gierigen, zärtlichen, blühenden, schönen, lachenden, weinenden Welt. Mitgefühl und Empathie werden oft verwechselt, sie sind jedoch unterschiedlich. Empathie ist unsere natürliche Fähigkeit, uns für die emotionale Lage eines anderen Lebewesens auf der gleichen emotionalen Wellenlänge zu öffnen. Ähnlich wie wir durch Musik in eine feine Resonanz versetzt werden, können wir durch die Gefühle einer anderen Person in eine empathische Resonanz und damit in eine emotionale Schwingung kommen. Man nimmt den emotionalen Ton der anderen Person in sich selbst auf und schwingt in der gleichen Tonlage. Dies funktioniert mit sämtlichen Emotionen, sowohl mit angenehmen als auch mit unangenehmen.

Menschen mit einem ausgeprägten empathischen Einfühlungsvermögen können sich schnell in die emotionale Lage einer anderen Person einfühlen. Wenn sie zum Beispiel mit jemandem zusammen sind, der sich gerade über etwas sehr freut, dann spüren sie diese Freude selber auch bald. Wenn dagegen schlechte Stimmung etwa bei einem Team-Meeting ist, zu dem sie hinzukommen, nehmen sie auch dies durch ihre empathische Resonanz rasch wahr. Empathisches Einfühlungsvermögen ist bei allen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Fähigkeit zur Empathie ist jedoch eine natürliche Fähigkeit, die sich im Laufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte herausgebildet hat. In welchem Ausmaß es einem Menschen als feines soziales Instrument tatsächlich zur Verfügung steht, ist davon abhängig, wie intensiv es im Laufe seiner persönlichen Lebensgeschichte durch Erziehung und Erfahrung eingeübt und genutzt wurde.

Empathische Resonanz kann aber auch zu einer emotionalen Überflutung und Überforderung führen, wenn man nicht stark im Mitgefühl verankert ist. Dies betrifft vor allem die engagierten Mitarbeiter in helfenden und sozialen Berufen, wie Ärztinnen, Feuerwehrleute, Sozialarbeiter oder Psychotherapeuten, die intensiv mit Menschen in akuten oder chronischen Leidenszuständen arbeiten. Ähnliches erleben manchmal auch Menschen, die einen schwerkranken Freund oder Angehörige pflegen. Aversion, Abstumpfung, Zynismus oder Erschöpfung und Depressionen können die Folge sein. Um dies zu verhindern, bedarf es eines hohen Maßes an Resilienz – der Fähigkeit, sich in relativ kurzer Zeit von einer emotionalen Kraftanstrengung wieder zu regenerieren. Mitgefühl als Haltung und innerer Raum stärkt die Resilienz. Es ist eine grundlegende Lebenseinstellung hinter dem Denken, Sprechen und Handeln. Sie ist auch völlig unabhängig von unserer momentanen Gefühlslage.

Mitgefühl ist als Haltung zutiefst friedlich und auch friedensstiftend. Aber es ist nicht nett oder gar konturenlos. Denn Mitgefühl gibt nicht nur den Impuls, aktiv zu helfen, sondern ermutigt uns auch, klar Stellung zu beziehen gegen Hass, Grausamkeit und Ausbeutung. Mitgefühl und Empathie stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Wir brauchen Empathie, um uns in das Leiden eines anderen Lebewesens einfühlen zu können. Doch Empathie muss in der unabhängigen Haltung des Mitgefühls verankert sein, damit man sich nicht im Leiden verstrickt und schließlich erschöpft abwendet.

Jiddu Krishnamurti sagte es einmal so: „Wahres Mitgefühl ist immer stark, und die wahrhaft Starken sind voller Zärtlichkeit.“

Tineke Osterloh

Tineke Osterloh

Tineke Osterloh lebt in Hamburg und unterrichtet seit mehr als 15 Jahren buddhistische Meditation und Weisheitslehren. Sie hat übers 25 Jahre Vipassana-, Metta-, und Zen-Meditation praktiziert und hat in dieser Zeit vier Jahre in buddhistischen Meditationshäusern in England und Südafrika gelebt. ...
Kommentare  
# mariann glas 2015-11-29 18:14
So schön... !
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# Waltraud fritzsche 2017-04-05 11:06
Danke für diesen klärenden artikel
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