Es gibt keinen Ärger im Buddhismus. Es hat keinen zu geben. In den beiden Zeremonien zur Laienordination, die eine in den Zen Peacemaker Orden, die andere in die Rinzai-Zen-Linie meines Lehrers Genjo Marinello, klingt das so: „Ich gelobe, Ärger in Weisheit umzuwandeln“ (Zen Peacemakers).
„Ich werde für meinen Geistesfrieden sorgen und mich nicht von Ärger leiten lassen“ (Rinzai-Zen). Ich habe andere Varianten gelesen, die mir mal mehr, mal weniger kompatibel mit meinen Vorstellungen erscheinen. Am ehesten schmecken mir diejenigen Interpretationen des neunten von insgesamt zehn Gelübden, die ich mit westlicher Psychologie vereinbar finde, also vielleicht auch vereinbar mit meinem kleinen Geist. Wer weiß?
Diese psychologischen Erkenntnisse haben uns aus meiner Sicht gezeigt, dass es keine negativen und keine positiven Gefühle gibt. Es gibt sie einfach, wie es Bäume, Windräder und Kerzen gibt. Sie können unterdrückt werden, so dass sie gar nicht mehr wahrnehmbar sind für den, der sie hat. Sie können dann implodieren oder explodieren, eines Tages, und unsere Mitmenschen spüren wahrscheinlich mehr von diesen unterdrückten Gefühlen, als uns lieb sein kann.
Sie machen uns zu Menschen – wie vieles andere auch. Einen Menschen, der nicht mehr lachen und weinen kann, der vielleicht von sich sagt „Ich kann nichts mehr fühlen“, diesen Menschen würden wir bedauern.
Und was ist mit Ärger? Nun, erst einmal zeigt mir Ärger, dass ich lebendig bin. Dass etwas nicht stimmt, für mich nicht stimmt. Und da ‚stimmig’ von Stimme kommt und mit meinem Einklang mit mir selber und der Umwelt zu tun hat, höre ich besser darauf. In der Zeit, in der ich mich in anonymen Selbsthilfegruppen aufgehalten habe, übten wir alle, dass wir für unsere Gefühle selbst verantwortlich sind. Ich erinnerte mich, dass ich als Kind für das Ausdrücken von Ärger hart bestraft wurde. Also tat ich so, als wenn ich keinen mehr hätte – wie alle schlauen Kinder. Ebenso verfuhr ich mit anderen schwierigen Gefühlen wie Trauer und Angst. Die waren auch nicht angesagt.
Zurück zum Ärger und zu Buddha, zu Herrn Shakyamuni. Was er selber dazu wörtlich gesagt hat, weiß ich nicht. Dass aber im Zustand von Ärger, Zorn, Wut, wenn der Bauch hart ist und das Herz zusammengezogen, kaum mit weisen Entscheidungen und Handlungen zu rechnen ist, leuchtet mir ein.
Manche der buddhistischen Ahnen müssen in ‚kalpas’, in unvorstellbaren Zeiteinheiten, gedacht haben. Ich erinnere mich, gehört und gelesen zu haben, dass der Geistesfrieden für ganze ‚kalpas’ hin ist, wenn wir unseren Ärger ausagieren. Das ist, wie einen Stein mit übelsten Energien in einen glasklaren See zu werfen: Wir hören das hässliche Geräusch und sehen die groben und immer feiner werdenden Ringe sich ausbreitender Energie die Wasseroberfläche entlanggleiten, sehen, wie sich diese am Ufer brechen und in kaum mehr wahrnehmbarer Weise das Land auf der gegenüberliegenden Seite des Globus beeinflussen.
Man könnte auch sagen, es werden Samen gepflanzt, die irgendwann plötzlich aufgehen. Und zwar auch und vor allem im eigenen Herzen neben dem Schaden, den mein blinder Ärger an anderen angerichtet hat. Auch das leuchtet mir ein.
Es gibt schon gute Gründe, und der Umgang mit schwierigen Emotionen gehört definitiv dazu, warum ich versuche, täglich zwei Stunden zu sitzen (‚Zazen’), und ferner anstrebe, viermal im Jahr längere Schweige-Retreats zu besuchen. Ich kann nicht vor mir selber davonlaufen. Mich ablenken, mich betäuben – was oft dasselbe ist –, oberflächlichen Gelüsten nachjagen, Beschäftigungen, die bei näherer Betrachtung einem Tag, verbracht in Achtsamkeit und Stille, meist nicht gerecht werden können.
Ja, auf dem Kissen sitzend, begegne ich dem Ärger und der Frustration. Ich begegne Orten, wo Therapien und Ausbildungen nicht hingelangt sind und ich nachbessern muss und möchte. Buddha zum Beispiel hat in unnachahmlicher Weise dargelegt, wie wir die Welt nach unseren Wünschen formen möchten und die anderen Wesen auch, die in der Welt sind. Sehr schmerzhaft habe ich dies sehen müssen und fühle mich keinesfalls befreit. Da mir selten gelingt, eigentlich nie, dass Dinge laufen, wie ich es gerne hätte, damit ich Geistesfrieden finde und glücklich bin, erlebe ich Frustration und Ärger. Beides schmerzt, und weil es schmerzt, kann ich noch ärgerlicher werden. Diese unglückselige Kette kann meiner Ansicht nach zu Kriegen führen. Denn ich rede mir ein, dass mein Leben glücklicher, gelungener verliefe, wenn das oder der Andere verschwinden würde.
Da haben wir es. Für ‚kalpas’ könnte mein Weg vergiftet sein und bleiben, wenn ich nicht übte, in verschiedenster Weise Emotionen zuzulassen und loszulassen, oder diese in langem Sitzen beginnen, sich von alleine zu verwandeln. Da wir nie isoliert sind, auch wenn wir das fälschlicherweise annehmen, kann so viel mehr an Luft und Licht in die Angelegenheit kommen; mehr Raum zum Atmen und Schauen steht zur Verfügung, und alles verändert sich. Es geht ja gar nicht mehr um mich, dieses kleine Selbst.
Mein Aufbäumen hat also wenig Sinn. Ich versuche, die verschiedenen Auslöser und Anlässe für Wut und Ärger kennenzulernen und ihre Botschaft zu prüfen. Manchmal kann ich diesen Zwischenraum einlegen, manchmal nicht. Und obwohl es im Zen nichts zu erreichen gibt, weil alles schon längst da ist, koste ich manchmal von dem Frieden, der wir sind. Nur leider nicht für ewig. Wir müssen schon etwas dafür tun.
Oder lassen?