Meditation und Achtsamkeit bieten einen Weg, innere Stille und Ruhe zu finden – selbst inmitten von Lärm und Trubel.
In unserer hektischen, von Reizen überfluteten Welt sehnen sich viele Menschen nach Ruhe und Stille. Diese Sehnsucht nach Stille ist allerdings nicht neu.
In vielen Religionen und spirituellen Traditionen spielt die Suche nach Stille und die Stillepraxis seit jeher eine wichtige Rolle. Schon die sogenannten Wüstenväter im frühen Christentum zogen sich in die Einöde zurück, um dort in Askese innere Stille zu finden.
Auch im jüdischen Glauben, im Islam, im Buddhismus und in anderen religiösen Traditionen versuchen Menschen, durch Rückzug und stille Praxis, aber auch durch Reflexion, Rezitation, Gesang oder Tanz mehr bei sich und damit auch bei ihrem Gott anzukommen.
Interessanterweise berichten Praktizierende verschiedener Glaubensrichtungen von ähnlichen Erfahrungen in der Stille, auch wenn sie diese unterschiedlich interpretieren.
Auch jenseits der religiösen Traditionen gibt es verschiedene Möglichkeiten, mehr in die innere Ruhe und Stille zu kommen
Dafür gibt es Übungen ohne Bewegung, etwa stille Sitzmeditation in der Mindfulness-Based Stress Reduction, kurz MBSR, und autogenes Training, oder Übungen in der Bewegung wie etwa Tai-Chi, Qigong, Hatha-Yoga, Gehmeditation oder meditativer Tanz.
Stille ist nicht gleich Stille
Wer schon einmal in einem perfekt schallisolierten Raum war, weiß: So etwas wie die absolute Stille gibt es nicht! Irgendwann hört man das eigene Blut in den Ohren rauschen.
Selbst Menschen, deren Hörnerv durchtrennt wurde, berichten von diesen inneren Geräuschen. Was es gibt, sind verschiedene Formen von relativer äußerer Stille, beispielsweise in der Natur oder an stillen Orten in der eigenen Wohnung oder in Kirchen und Bibliotheken in Großstädten.
Manche nutzen auch Noise-Cancelling-Kopfhörer, um auf Knopfdruck mehr äußere Ruhe zu haben.
Innere Stille hingegen ist ein Zustand geistiger Ruhe, der unabhängig von äußeren Umständen erreicht werden kann.
Geübte Meditierende können sich sogar inmitten einer sehr lauten Umgebung mit dieser Art der Stille verbinden. Der Zustand innerer Stille geht über ein bloßes Sich Beruhigen und Entspannt Sein hinaus und wird von erfahrenen Meditierenden als ein hellwacher und präsenter Bewusstseinszustand beschrieben, in dem Vordergrund und Hintergrund des Bewusstseins verschmelzen.
Nach Studienergebnissen von Piron (2003) und meiner eigenen Erfahrung wächst innere Stille mit der Tiefe der Meditation. Wer mehr in Kontakt mit innerer Stille kommen möchte, sollte also etwas Geduld und Ausdauer mitbringen.
Stufe eins: der Umgang mit Hindernissen
Wer mit Meditation beginnt, wird zunächst wahrscheinlich nicht gleich innerer Stille, sondern eher Rastlosigkeit, Langeweile, Müdigkeit sowie Motivations- und Konzentrationsproblemen begegnen.
Stille kann durchaus herausfordernd sein.
Tipp: Wenn bei der Meditation Themen aufsteigen, die überwältigend scheinen, ist es ratsam, sich professionelle Begleitung zu suchen.
Stufe zwei: Erste Entspannung setzt ein
Wer weiter übt, wird bemerken, dass der Atem sich beruhigt und Wohlbefinden entsteht. Viele Praktizierende berichten von wachsender Geduld und Momenten innerer Ruhe.
Tipp: Wer im Alltag immer mal wieder bewusst den Atem spürt, kann diese Augenblicke innerer Ruhe erneut erleben.
Stufe drei: Der Geist wird konzentrierter
Diese innere Ruhe ist die Basis von Achtsamkeit, Bewusstheit. Der sogenannte „innere Beobachter“ wird trainiert.
Es entstehen Einsichten in eigene innere Prozesse, die innere Mitte wird gestärkt.
Tipp: auch im Alltag eine Situation mal wie von außen betrachten. Oft entstehen dann bereits mehr Abstand, Gelassenheit und innere Ruhe.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 130: „Stille"
Stufe vier: Essenzielle Qualitäten wachsen
Mit der Zeit können sich durch die Meditationspraxis immer mehr Klarheit und damit auch Qualitäten wie Freundlichkeit, Vertrauen und Dankbarkeit entfalten.
Tipp: Diese Qualitäten helfen auch in alltäglichen Situationen, ruhiger und gelassener zu bleiben.
Stufe fünf: Nichtgetrenntsein wird erlebt
Wenn die Oberfläche eines Sees sich beruhigt und das Wasser klar wird, kann man den Grund des Sees sehen. Auf die gleiche Weise sammelt sich das Bewusstsein, und Geistesruhe und Gedankenstille entstehen.
Auch Einssein und Transzendenz werden erfahrbar.
Tipp: Diese Zeiten der Stille sind immer ein Weg und nicht geradlinig. Nach Momenten der Glückseligkeit können auch wieder schwierige Phasen kommen, in denen beispielsweise ganz alte, tiefe Verletzungen hochkommen. Das ist normal. Bleib trotzdem dran!
Die Praxis der Stille kann unser Leben bereichern und uns helfen, inmitten des Alltagslärms Frieden und Klarheit zu finden.
Sie hat die Kraft, das ständige Gedankenkreisen zu unterbrechen und uns zu uns selbst zurückzuführen. In dieser inneren Ruhe und Präsenz können wir nicht nur zu uns selbst finden, sondern vielleicht auch eine Verbindung zu etwas Größerem entdecken, das über uns hinausgeht.
Kurzanleitung meiner persönlichen Stillepraxis
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In einer aufgerichteten und gleichzeitig entspannten Sitzhaltung ankommen.
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Die Kontaktpunkte des Körpers mit dem Boden und der Sitzgelegenheit wahrnehmen.
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Das innere Erleben bemerken, ohne sich darin zu verstricken: Gedanken, Emotionen, Impulse.
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Die Aufmerksamkeit auf die Körperempfindung des Atems richten, ohne den Atem dabei zu verändern.
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Die Aufmerksamkeit sich auf den gesamten Körper ausdehnen lassen und Körperempfindungen wahrnehmen.
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Nun auch Geräusche in die Wahrnehmung ein beziehen, ohne danach zu suchen. Dabei werde ich mir auch meines Ohrgeräuschs bewusst. Auch ohne Tinnitus hat jeder Mensch nämlich hochfrequente, pulsierende Ohrgeräusche. Ajahn Amaro nennt sie „Sound of the Universe“.
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Über die inneren und äußeren Klänge verbinde ich mich mit dem Universum, und mir wird bewusst, dass ich Teil dieses unendlichen Raums bin. In dieser Weite verweile ich ohne festen Fokus. Herrlich!
Illustration © Ursache\Wirkung