Stille und Schweigen werden nicht immer positiv empfunden, denn die Absicht formt die Qualität. Erfahre mehr über die Macht des Schweigens.
Zeiten der Stille sind wesentlich und gehören zum Menschsein dazu. Sich der Stille gewahr zu werden, heißt, mit ihr in Beziehung zu treten.
Durch die Stille kann man dem eigenen Herzen, Körper und Geist auf neue Weise zuhören.
Die Fähigkeit zur Stille gibt neue Perspektiven. Diese stille Präsenz ist nicht stumm, sie bringt etwas in uns zum Klingen, das körperlich fühl bar ist. Sie öffnet den Raum für unsere Resonanzfähigkeit, wie der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa in seinem Buch „Resonanz“ erklärt: „Ich höre auf das, was da ist, und antworte in einer Weise, die mich verändert, und zwar auf eine nicht vorhersehbare Weise, und die ergebnisoffen ist.“
Beginnt man zu meditieren, wird man zunächst von seinen eigenen Vorstellungen über die Stille enttäuscht werden
In der Stille, wenn die Dinge draußen nicht so laut und störend sind, wird es einfacher, zuzuhören und zu fühlen, was im Inneren los ist. In der Stille wird man bemerken, wie laut es in einem ist.
Stille ist nicht gleich Stille: Stille kann friedvoll sein. Stille kann zweifellos auch erschreckend, unheilvoll oder spannungsgeladen sein.
Stille ist also nicht gleich Stille. Schweigen ist nicht gleich Schweigen.
Es ist wichtig, zwischen einer Stille, die befreit, und einer Stille, die gefangen hält, zu unterscheiden.
Das negative Schweigen ist ohne Widerhall, es erzeugt im Gegenüber den Schmerz, nicht gehört zu werden. Und es gibt ein Schweigen aus Angst vor Bestrafung, Gewalt und Scham.
Bei einem Kontaktabbruch in Beziehungen oder Familien herrscht „Funkstille“.
Der Begriff „Funkstille“ kommt aus der Schifffahrt. Wenn ein Schiff in Not ist, müssen die anderen den Funkverkehr einstellen, um sicherzustellen, dass die Notsignale des in Not-Geratenen gehört werden. Übertragen auf den Kontaktabbruch sendet es die Botschaft: Hörst du in meinem Schweigen meine Not?
Eisiges Schweigen ist quälend
Kein Wort, keine Erklärung, kein Gespräch. Hier bedeutet Schweigen auch Macht.
Schweigen wird benutzt, um andere Menschen zu bestrafen oder zu ignorieren. Es droht mit einem Beziehungsverlust und die Angeschwiegenen wissen oftmals nicht, warum geschwiegen wird.
Besonders drastisch wirkt sich das auf die Entwicklung von Kindern aus, die zur Bestrafung und Konfliktvermeidung von ihren Eltern tagelang angeschwiegen wurden.
Menschen mit diesem Erfahrungshintergrund erleben verständlicherweise die Stille und das Schweigen, wie beispielsweise in einem Retreat, nicht nur positiv.
Unsere Absicht wirkt sich wesentlich auf die Wirkung der Stille und des Schweigens aus.
Es gibt ein Schweigen, das lauscht, es hört hin und stellt sich dem, was gerade geschieht und da ist.
Und es gibt ein negatives Schweigen, das sich abschottet, das wegschaut, dass Konflikte sowie unangenehme Gefühle vermeiden will. Wir können uns fragen, ob wir unser Schweigen anderen und uns selbst aufnötigen, weil wir Angst haben, zu sprechen.
Um anderen wirklich zuhören zu können, braucht es eine Offenheit und Stille im eigenen Geist.
Das spürt ein Gegenüber unmittelbar und fühlt sich gesehen und gehört. Wohlwollendes Schweigen geht mit einer stillen Präsenz einher, die wir als angenehm empfinden, wie das entspannte Schweigen mit guten Freunden.
Diese Stille und dieses Schweigen brauchen wir.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 130: „Stille"
Foto © Unsplash.com
