An der Tür meines Arbeits- und Meditationszimmers hängt eine Kalligraphie von Thich Nhat Hanh mit dem Satz: „One Buddha is not enough“. Welche nützliche Botschaft entdecken wir in diesen Worten?
Seit einigen Jahren erleben wir eine massive Ausbreitung von verblendeten Ansichten und politischen Handlungen, die eine riesige Gefahr für unser friedliches Zusammenleben in Freiheit und ein gerechtes Miteinander ist. Wenn wir diesem Treiben etwas Wirksames entgegensetzen wollen, brauchen wir wahrlich viele Buddhas. Wo aber sollen sie herkommen?
Es gibt in der Welt zwei Arten von Verblendung, auch Unwissenheit genannt.
Die erste besteht darin, nachweisbare Erscheinungen und Erkenntnisse zu leugnen, sogar das Gegenteil zu behaupten. Der Grund liegt im Versuch, eigene Interessen wahrzunehmen oder bedingungslos einem „Führer“ zu folgen. Ein krasses Beispiel ist die Leugnung des Klimawandels. Solches ist leicht zu durchschauen, aber es ist schwer mit diesen Menschen zu diskutieren.
Die zweite Art ist schwer zu erkennen, denn sie ist tief in unserem Lebensprogramm verankert. Jedes menschliche Wesen kann sich nur entwickeln, indem es dem grundlegenden Diktat des Begehrens (nach sicherer Existenz) und der Ablehnung (jeder Bedrohung) unbewusst folgt. Die stärkste Ursache für die derzeitigen negativen Entwicklungen ist die Tatsache, dass ein überwiegender Teil der Menschen gelernt haben, das eigene Wohl um jeden Preis an die erste Stelle zu setzen.
Wenn wir das Ziel, ein von diesen Trieben „freier“ Mensch zu sein, anstreben, müssen wir zuerst unser Leben in einer Gemeinschaft auf den Boden von Vernunft und Frieden aufbauen.
Fragen wir uns, was wir konkret tun können, um in diesen Zeiten der wieder aufkommenden Sehnsucht nach autoritären Strukturen nicht den Mut zu verlieren und beharrlich für ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Zusammenleben zu arbeiten. Wir dürfen auf diese Strömungen nicht mit den gleichen Mitteln von Aggression, Hass und verengten Sichtweisen reagieren.
Wir können und müssen bei uns selbst anfangen, im Bewusstsein unseres kostbaren Lebens und der Aufgaben, die wir hier auf diesem Planeten erkennen sollten.
Im Wissen um das Leiden, dass wir und die anderen immer wieder in die Welt setzen, sollte uns die Botschaft, dass ein Buddha nicht genug ist, aus der geistigen Dämmerung erwachen lassen. Wir haben einen Auftrag – und das ist kein Computerspiel.
Werfen wir einen Blick auf uns, wie sind wir ausgestattet und gerüstet, welche Qualitäten sind in uns. Du wirst sehen, es sind viel mehr und sie sind viel stärker, als du gedacht hast. Darum stehe auf, sei dir nur deines Herzens, deines Denkens und Fühlens bewusst und sage dir: Ich möchte heute so durchs Leben gehen, will mich so verhalten, mit guter Absicht und Ausrichtung, dass ich möglichst wenig Schaden anrichte und möglichst hilfreich bin.
Warum? Weil ein Buddha in der Welt (von heute) eben nicht genug ist. Gehe aufmerksam, bewusst und mitfühlend durch Raum und Zeit, jeden Tag, jede Minute. Schaue über den Horizont der eigenen Interessen hinaus in die Weite, mache dir bewusst, dass dein Geist nicht an diese Welt gebunden ist.
Du meinst, das ist zu schwierig, dein Geist folgt dir nicht, du kannst es nicht, du bist zu sehr in die Gesellschaft, die Arbeit, die Familie, die Sorgen, die endlosen Kämpfe, das Versorgen des alternden Körpers und in die Ansichten eingebunden. Nein, wenn du meinst, du musst perfekt sein, so ist das nur eine andere Art von Verblendung. Du brauchst das gar nicht anzustreben. Du siehst, dass Menschen, die unrecht denken und handeln, im Grunde unwissend sind. Wenn du erkennst, dass dein Geist oft auch in Ansichten gefangen ist, kannst du ohne Hass und mit Mitgefühl das schädliche Denken und Verhalten anderer sehen und benennen.
Du kannst dich davon abwenden und versuchen, in eine andere Richtung zu gehen.
Die Erwachten fallen nicht einfach vom Götterhimmel, du bis jetzt hier, du bist dran, es ist deine Chance. Vielleicht denkst du immer noch, dass du nicht gemeint bist, weil es dir an meditativer Erfahrung fehlt, an Kenntnis der guten Lehren, an Ernsthaftigkeit und Charisma, an Selbstbewusstsein und Ausbildung, dann möchte ich dir sagen: Wenn du deine Schwächen kennst, ehrlich und ohne Verurteilung, dann hast du schon alles, was du brauchst, das ist deine Ausrüstung.
Vielleicht glaubst du mir nicht, aber ich habe dich beobachtet und gesehen, dass dein höheres Bewusstsein schon da ist.
Ich habe gesehen, wie du in ein Krankenzimmer gegangen bist und mit deiner vollen liebevollen Präsenz für die im Koma liegende Bekannte da warst.
Ich habe mitbekommen, wie an dem letzten Abend in der übenden Gemeinschaft deine Erzählung ein Licht der Liebe in die Herzen aller zauberte.
Ich durfte zuhören, wie du deiner Cousine am Telefon mit einfühlsamen Worten einen Weg zur Akzeptanz aufzeigen konntest.
Ich habe erlebt, wie du deine Bedürfnisse ohne Ärger und mit großer, freundlicher Klarheit zum Ausdruck bringen konntest.
Lass uns zusammen jeden Morgen tief atmen und den Wind in den Blättern des Ahorns begrüßen. Lass uns die körperlichen Schmerzen und den emotionalen Wahnsinn verständnisvoll ertragen, lass uns zugleich für Körper und Geist mit guter Nahrung sorgen.
Lass uns mit liebevollen und klaren Worten den gefährlichen, schädigenden Ansichten entgegentreten, doch wenn nicht die rechte Zeit dafür ist, lass uns mit liebevollen Gedanken schweigen.
Vergiss nicht: Was die Buddhas in die Welt gebracht haben, das Rad ihres Wissens, ist nicht verloren gegangen, es ist noch da, doch wir sind verantwortlich, dass es weiter in Bewegung gehalten wird.
Hören wir nochmals auf Thich Nhat Hanh: „Der Buddha lebt in dir, was einen Buddha ausmacht ist die Energie der Achtsamkeit, des Verstehens und des Mitgefühls.“
Komme bitte jetzt, nachdem du das gelesen hast, mit Körper, Atem und Gefühlen in Kontakt, erfahre dein Bewusstsein in der Gegenwart, verstehe, dass das Erwachen gar nicht von dir getrennt ist, schaue in die Erscheinungen hinein und erfahre ihre unsagbare Schönheit und ihre unfassbare Vergänglichkeit.
Das Licht des Buddha ist eine Realität, die du in diesem Moment in dir spüren kannst. Dieses ist wirklich, alles andere ist ein Traum.
Bilder © Unsplash.com



