Wie oft stehen Eltern vor Herausforderungen, die sie sich im Traum nicht denken konnten. Wie oft kommen sie an ihre Grenzen im täglichen Miteinander. Allen Erziehungsexperten zum Trotz entspricht unser spontanes Verhalten in schwierigen Alltagskonflikten dem Repertoire der eigenen Eltern.
Das ist meist nicht beglückend. Bis wir unsere alten Verhaltensmuster in Achtsamkeit wiegen können und innere und äußere Entwicklung in Einklang sind, ist es ein langer Weg. Eltern brauchen viel Mitgefühl für sich selbst, um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überbrücken. „Eltern zu sein heißt offenbar, immer wieder keine Ahnung zu haben – immer wieder vor einem neuen Rätsel zu stehen", schreiben Katharina Martin und Lienhard Valentin (www.mitkindernwachsen.de). Eltern sind wohl beraten, wenn sie sich Kraft und Inspiration durch eine eigene spirituelle Praxis holen. Ein paar Zeilen oder Seiten in einem stärkenden Buch lesen, einmal am Tag auf dem Meditationskissen aufatmen – und sei es nur für fünf Minuten –, das tut gut, das hilft, die Verbindung zu den eigenen inneren Quellen zu halten. „Kontemplative Erziehung ist Lernen durchtränkt mit Achtsamkeit, Einsicht und Mitgefühl für sich selbst und andere, fein geschliffen durch die Praxis der Sitzmeditation und andere Formen kontemplativer Disziplin." So steht es auf der Website der Naropa Universität (www.naropa.edu).
In dem Familienkurs, der jedes Jahr Ende Juli im Meditationszentrum Beatenberg stattfindet, gibt es Zeiten der Stille für Eltern und Kinder gemeinsam und Zeiten der Stille für beide Seiten allein. Als eine Teilnehmerin ihrem siebenjährigen Sohn sagt, wohin die Reise sie führen wird, antwortet er: „Mama, ich habe mir schon immer mal gewünscht, in die Berge zum Meditieren zu fahren!" Schrittweise werden die Kinder in kurzen Phasen an achtsames Wahrnehmen und Meditation herangeführt. Tagsüber spielen sie in Gruppen, während die Eltern Zeit haben zum stillen Sitzen, abends, wenn die Kinder schlafen, gibt es einen Vortrag für die Eltern. Es ist immer wieder ein großes Staunen bei allen Beteiligten, mit wie viel Begeisterung und Lerneifer die Kinder am Kurs teilnehmen.
„Wie ist es den Tibetern nur möglich, ihre Kinder schon in frühen Jahren an die Meditation heranzuführen?", habe ich Tsoknyi Rinpoche gefragt. Seine 18-jährige Tochter befindet sich zurzeit im 3-Jahres-Retreat. „Man kann nur mit dem eigenen Interesse der Kinder mitgehen", meint der Vater von zwei Töchtern. „Man muss die Fragen der Kinder tiefgründig beantworten, sie wollen verstehen, sie sind auf natürliche Weise mitfühlend. Wenn sie Vater und Mutter meditieren sehen, wollen sie es auch lernen. Niemals mit Druck erziehen. Meditation ist doch eine Herzensangelegenheit."