„Religion darf unfreiwillige Armut nicht seligsprechen, sonst ist sie damit einverstanden, dass die Erde eine Hölle ist." (Dr. B.R. Ambedkar) Was soll man aus buddhistischer Sicht zu Geld schreiben? Ein Versuch des Buddhologen und U&W-Kolumnisten Alois Payer.
Zu Buddhas Zeit betraf Geldwirtschaft nur einen kleinen Sektor der Wirtschaft und der Bevölkerung. Das wäre nur von historischem Interesse. Zu Geld und Gier wurde in der letzten Zeit so viel gesagt, dass mir nichts Neues dazu einfällt. Im Ursprungsland des Buddhismus gibt es viele, die des Geldes wirklich bedürften, die Unberührbaren, die Dalit. Ihr charismatischer Führer, Dr. Bhimrao Ramji Ambedkar (1891-1956), der ‚Vater der indischen Verfassung', sah für die Dalit keine Zukunft innerhalb der hinduistischen Gesellschaft. Er suchte darum für sie nach einer neuen Religion. Dazu stellte er 1950 vier Anforderungen an eine Religion der Zukunft auf:
- Jede Gesellschaft braucht eine Moral, die sie zusammenhält. Religion im Sinne von Moral muss also das leitende Prinzip jeder Gesellschaft bleiben.
- Religion im Sinne des eben genannten Prinzips muss mit der Vernunft (Wissenschaft) übereinstimmen, sonst kann sie in einer modernen Gesellschaft nicht bestehen, sondern wird lächerlich.
- Religion als Norm der sozialen Moral muss die grundlegenden Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit anerkennen.
- Religion darf unfreiwillige Armut nicht seligsprechen, sonst ist sie damit einverstanden, dass die Erde eine Hölle ist.
Diese Kriterien erfüllt nach Dr. Ambedkar unter allen großen Religionen nur der Buddhismus: „[Buddha] lehrte als Bestandteil seiner Religion soziale Freiheit, geistige Freiheit, ökonomische Freiheit, politische Freiheit, Gleichheit zwischen Mann und Mann sowie zwischen Mann und Frau. Es wäre schwer, einen religiösen Lehrer zu finden, der sich mit Buddha messen könnte, dessen Lehren so viele Aspekte des sozialen Lebens eines Volkes umfassen; dessen Lehren so modern sind; dessen Hauptanliegen war, dem Menschen Erlösung in diesem Leben auf Erden zu geben und diese ihm nicht in einem Himmel nach seinem Tod zu versprechen." Gewiss, Ambedkars Sicht des Buddhismus ist einseitig. Er sieht Buddhismus aus der Perspektive einer Religion für die Massen. Aber auch Gotama Buddha ist nicht durch Nordindien gezogen und hat dabei den Massen die vier edlen Wahrheiten um die Ohren geschlagen. Trotzdem hatte Buddha auch den Massen viel zu sagen.
Mit seinem vierten Kriterium greift Ambedkar frontal den Jesus der Seligpreisungen an, von dem so gerne auch Menschen schwärmen, die sonst von den Christentümern nicht viel halten. In der Fassung des Lukasevangeliums (6,21): „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden." Und die neidgeleitete Drohung (6,24f.): „Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten. Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern." Wie wohltuend anders klingen da Buddhas Mitfreude und Mitgefühl: „Mögen alle Wesen erlangtes Wohlergehen nicht verlieren. Mögen alle Wesen vom Leid befreit werden." Wie wichtig für Buddha allgemeiner Wohlstand ist, sieht man im Cakkavattisutta des Dīghanikāya: Dort wird in einer Abfolge von Ursache und Wirkung geschildert, wie Diebstahl, Lüge, Mord und alle Arten von Unheil allmählich über die Menschheit gekommen sind, weil ein Herrscher, ein Inhaber staatlicher Gewalt, es versäumte, den Wohlfahrtsstaat dadurch aufrechtzuerhalten, dass er durch Hilfe zur Selbsthilfe dafür sorgt, dass es keine Armut gibt. Armut bedingt Diebstahl usw.
Zu Recht schrieb 1934 der spätere burmesische Ministerpräsident U Nu, dass Gier, Hass und Trug, die nach der buddhistischen Lehre Ursachen des Leidens sind, mit wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten zusammenhängen. Deshalb seien wirtschaftliche Reformen nötig. Die Zahl jener, die noch Werke buddhistischer Frömmigkeit tun könnten, sei durch die kapitalistische Konzentration des Reichtums eingeschränkt worden; so sei der Kapitalismus für die Abwendung vom Buddhismus verantwortlich: Erst wenn die Menschen wirtschaftlich gesichert sind, können sie über die Vergänglichkeit materieller Werte meditieren. Die Eindämmung des wirtschaftlichen Existenzkampfes soll die buddhistische Frömmigkeit wachsen lassen, so dass soziale Reformen nur wirtschaftliche Mittel für ein buddhistisches religiöses Ziel zu sein hätten. So recht U Nu hat, so blauäugig sind seine Aussagen. Ein Blick auf die Welt zeigt, dass menschliche Gier unendlich anpassungsfähig ist. Sie ist, wie Buddha erkannt hat, die Grundtriebfeder unseres unerlösten Daseins. Gier ist eine, wenn nicht die wichtigste Triebfeder von biologischer Evolution und menschlichem Fortschritt. Wir sehen unseren Wohlstand stets als nicht ausreichend an. Mehr, mehr, Besseres, Besseres – so lautet unser Leitspruch. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass giergetriebener Kapitalismus alle Krisen, wirtschaftliche und politische Katastrophen überlebt und zu neuen Formen mutiert.
Damit will ich keineswegs Fortschrittsfeindlichkeit und Kulturpessimismus das Wort reden. Ich bin froh, dass wir in Europa keine Hungersnöte mehr haben, dass auch unsere Armen in einem Wohlstand leben, von dem mein Vater als Kind Ende des 19. Jahrhunderts nicht einmal träumen konnte. Es ist Grund zur Freude, dass die Globalisierung den Benachteiligten dieser Erde die Chance gibt, im Wohlstand aufzuholen. Falls aber die Diagnose in den vier edlen Wahrheiten stimmt, dann werden wir nie ein Paradies auf Erden schaffen. Die Großversuche im 20. Jahrhundert, ein Paradies auf Erden zu schaffen, endeten vermutlich notwendigerweise in Terror und Massenmord. Wie Buddha erkannt hat, lässt sich der ‚Neue Mensch' nicht heranzüchten. Erlösung vom Leiden ist ein mühsamer und langwieriger Weg, den jeder einzeln zu gehen hat und den wenige gehen.
So viel zu Armut und Wohlstand in der Sicht des Buddhismus.
Ein paar Bemerkungen zum Umgang mit Geld. Im Vyagghapajjāsutta des Aṅguttaranikāya nennt Buddha vier Dinge, die einem Sohn aus guter Familie im gegenwärtigen Leben zu Wohl und Glück gereichen, nämlich, „dass er fleißig ist, dass er wachsam ist, dass er gute Freunde hat, dass er ein ausgewogenes Leben führt". „Was bedeutet, dass er ein ausgewogenes Leben führt? Da kennt ein Sohn von Familie Einkünfte und Ausgaben und richtet sein Leben ausgewogen ein: nicht zu üppig, nicht zu karg, wissend: ‚So werden meine Einkünfte die Ausgaben übertreffen und nicht werden meine Ausgaben die Einkünfte übertreffen.' Wie ein Wäger oder ein Wägergehilfe, wenn er die Waage vor sich hält, weiß, um wie viel sie sich gesenkt hat oder um wie viel sie in die Höhe geht.... Wenn dieser Sohn von Familie, wenn er geringe Einkünfte hat, ein üppiges Leben führt, dann sagt man von ihm, dass er seinen Besitz auffrisst wie ein Feigenesser. Wenn aber dieser Sohn von Familie, wenn er große Einkünfte hat, ein miserables Leben führt, dann sagt man von ihm, dass dieser Sohn von Familie den Tod eines armen Schluckers sterben wird."
Und wo bleibt die Askese, die Entsagung, die freiwillige Armut? Wenn man als Buddhist Entsagung üben will, trainiert man in den zehn Übungspunkten der asketischen Sittlichkeit. Der zehnte Übungspunkt lautet: ‚Enthaltung vom Entgegennehmen von Gold und Silber' (d.h. vom Umgang mit Geld). Dies nicht nur, weil Geld zur Zeit Buddhas ein Luxusartikel war. Geld bedeutet den freien Erwerb von Gütern und Dienstleistungen, das möglichst freie Verfügenkönnen über Güter und Menschen. Geld bedeutet Macht. All dies ist Zunder für unsere Gier. Wenn wir unsere Gier nicht nur auf ein ‚erträgliches' Maß herunterschrauben wollen, sondern Gier und selbst geschaffenes Leiden voll zu überwinden versuchen, dann ist es ratsam, auf die Möglichkeiten, die Geld bietet, zu verzichten. Nur sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass man ohne Geld nicht tausend andere Möglichkeiten findet, Gier auszuleben und zu pflegen. Buddhistische Mönche aller Zeiten und Länder geben dazu genügend Anschauungsmaterial.
es ist eine von Ihnen sehr gut gemachte Aufklärung über Gier und Geld.
Buddha nannte seine Lehre den mittleren Pfad
zwischen den Extremen, und das aus eigener Erfahrung.
Das eine Extrem, Gier nach immer mehr,
das andere Extrem als Hungerasket fast gestorben, verursachte selbstgemachtes
Leiden.
Die Praktizierung des mittleren Weges,
verursacht weniger selbstgemachtes Leiden,
das ist eine Weisheit, die überprüfbar ist auf
seine Wirkung.
Mit freundlichen aberglaubensfreien buddhistischen Grüßen