Über einen mutigen Umgang mit sich selbst und den aktuellen politischen Verhältnissen.
Es gibt zwei wesentliche Antriebe des Menschen: Angst und Liebe. Entweder wir agieren aus Angst, was uns in die Flucht treibt oder zu Angriffen motiviert. Oder wir handeln aus Liebe und wenden uns den Dingen und Wesen in mitfühlender Weise zu. Und auch diese Zuwendung kann von Angst oder Liebe geprägt sein: Die Angst, nicht genug zu bekommen, macht uns gierig und besitzergreifend und richtet häufig Schaden an. Ein liebevolles Vertrauen wiederum schafft lustvoll-freudige Begegnungen und fördert Frieden.
Was die Angst schürt
Das Aufbauschen der Gefahren, die uns heute durch die sogenannten Terroristen drohen, schürt Angst. Die mediale Berichterstattung bringt Gewalt und ihre Opfer nahezu in Echtzeit in unsere Wohnzimmer. Nutznießer unserer Angst wie Waffenhändler, Verkäufer von Versicherungen, Datensammler der Behörden und Geheimdienste sowie alle Zulieferer und indirekten Profiteure des militärisch-industriellen Komplexes sind an einer überdimensionalen Angstmache durchaus interessiert. Dabei war die Gefahr, durch Mord oder in einem Krieg umzukommen, für uns Weltbürger noch nie so gering wie heute.
Die Gewaltspirale
Das Kuriose bei der Angstmache ist, dass die Verängstigten und die Angstmacher sich gar nicht als solche empfinden. Ein tieferer Blick in die Psyche der schlimmsten Gewalttäter zeigt, dass alle sich in der einen oder anderen Hinsicht als Opfer empfinden. Im Namen der Notwehr versuchen Aggressoren Angriffe zu legitimieren. Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Angriff des hoch gerüsteten Deutschland auf das fast wehrlose Polen. Hitlers Worte hierzu waren: „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.“ Als hätte Deutschland sich gegen Polen verteidigen müssen. Auch bei Dschihadisten findet man eine tätertypische Opferhaltung. Sie empfinden ihre Religion, den Islam, als von einer christlich-jüdischen Weltherrschaft unterdrückt. Hinter Israel sehen sie das Weltjudentum und die Weltmacht USA stehen, die umliegenden Länder sind demnach Opfer einer Übermacht. Während das kleine Israel sich selbst gegenüber den zahlenmäßig und von der Landgröße her überlegenen Arabern vorkommt wie David gegenüber Goliath. Außerdem wirkt für die Israelis, wie könnte es anders sein, der Schock des Holocaust noch nach. Dort waren sie tatsächlich in krasser Weise Opfer.
Suche nach Feindbildern
Sollte eine Seite mal ganz vernichtet sein, dann sucht sich der Aggressor einen neuen Feind. Die Türken etwa hatten im Ersten Weltkrieg die Armenier so weit vernichtet, dass von diesen keinerlei Gefahr mehr ausging. Für den Erhalt ihrer Identität als Bedrohte brauchten sie nun neue Feinde. Als solche boten sich die Araber, die Russen und die Griechen an, überall dort konnte man leicht an traditionelle Feindbilder anknüpfen, das vereinfachte die Legitimation von Angriffen.
Noch offensichtlicher ist es im Falle der NATO nach 1989: Plötzlich fehlte der Feind! Diese militärische Allianz hatte nun ja keinen Zweck mehr und kostete Unmengen an Geld, eigentlich hätte sie sich auflösen müssen. Binnen weniger Jahre jedoch fand sich ein neuer Feind: die ‚Achse des Bösen‘. Für George W. Bush waren dies, gemäß seiner Rede zur Lage der Nation vom Januar 2002, vier Monate nach 9/11, die Länder Irak, Iran und Nordkorea. Es wurde der Begriff des Terroristen geschaffen, der sich auch für innenpolitische Gegner in vielen anderen Ländern gut eignete – und man hatte einen neuen Feind.
Entscheidung, zu vertrauen
Wie groß ist die Gefahr nun wirklich und was können wir tun, damit die Liebe anstelle von Panik ‚eskaliert‘ und regelrecht zu einer Massenbewegung wird, die exponentiell anschwillt? Vor den Gefahren die Augen zu verschließen ist keine friedensförderliche Lösung. Wichtig ist, reale Gefahren einschätzen zu lernen. Nur dann sind wir imstande, uns frei von Angst und Panik den Chancen auf Liebe und Freude zuzuwenden, die uns von überall her zuwinken. Derzeit leben ungefähr 1,6 Milliarden Muslime auf der Welt. Die Zahl der Selbstmordattentäter ist zwar keineswegs unbedenklich, doch prozentual relativ gering. Die Gefahr, durch einen Verkehrsunfall ums Leben zu kommen (weltweit gab es 2010 laut WHO 1,24 Millionen Verkehrstote) ist vermutlich tausendmal größer, als außerhalb Syriens in die Schusslinie eines Dschihadisten zu geraten. Ganz gleich, in welcher Kultur wir leben, welcher Religion wir uns zugehörig fühlen oder wie wir unsere Kindheit verbracht haben, wir können zwischen Angst und Liebe wählen. Die aktuelle politische Situation bietet eine gute Gelegenheit, sich dieser Option bewusst zu werden. Eine achtsame, einfühlsame und reife Haltung lässt uns erkennen, wo Glück und Erfüllung zu Hause sind: in einer angstvollen oder in einer liebevollen Lebenseinstellung? Diese Erkenntnis ist die Grundlage für Liebe, Vertrauen und Frieden. Wir haben die Wahl.
Liebe ist ansteckend
Nicht nur Hass und Verachtung sind ansteckend, auch Liebe und Vertrauen können ansteckend sein. Um Frieden zu schaffen brauchen wir ein Vertrauen wie das des jüdischen Arztes und Psychotherapeuten Viktor Frankl, als er nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern der Nazis nach Wien zurückkehrte – zurück in die Gesellschaft, die ihn ausgeliefert und den größten Teil seiner Familie vernichtet hatte. Jeder von uns hat dieses Urvertrauen in sich, egal, wie oft es missbraucht und enttäuscht wurde. Einige von uns hatten das Glück, überwiegend Vertrauen spüren zu dürfen. Andere erlebten vor allem Konflikte und Misstrauen. Aber bei allen ist das Urvertrauen noch da. Der völlige Verzicht auf das Urvertrauen wäre ein größerer Verlust als alles, was man an Enttäuschungen mit Menschen erleben kann. Erinnern wir uns an Viktor Frankl: Er hatte nicht nur den Mut zur Versöhnung, sondern noch viel mehr. Seine Kernbotschaft ist, dass uns erst das Finden eines Sinns den Mut zum Leben gibt, den Mut zum Versöhnen und Verzeihen, zur Liebe und zum immer wieder neu Aufstehen und neu Beginnen. Wir selbst sind es, die diesen Sinn kreieren müssen. Er wird uns nicht zugewiesen von irgendeiner äußeren Instanz, von der wir dann ja doch wieder abhängig wären.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 95: „Keine Angst"
Alles Private ist politisch
Die Trennung zwischen Privatleben und Politik ist heute mehr denn je eine künstliche. Unser Bedürfnis nach einem Intimleben, das wirklich intim ist, führt dazu, dass wir dieses verstecken. Die Geheimdienste aber haben reichlich Daten aus unserem Privat- und Intimleben, spätestens dann, wenn sie uns aufgrund irgendeiner politisch relevanten Äußerung oder Aktivität ‚auf dem Schirm‘ haben – Whistleblower wie Julian Assange und Edward Snowden haben das unter höchstem persönlichen Einsatz eindrucksvoll belegt. Dieses Intimwissen über uns macht uns erpressbar. Politische, wissenschaftliche oder künstlerische Karrieren können unter Umständen durch die gezielte Veröffentlichung eines solchen Wissens schnell beendet sein. Das Wissen um diese Möglichkeit macht Angst und ist vermutlich ein Grund für die vielen faktisch unwahren und dennoch ‚mainstreamkompatiblen‘ Aussagen so manch eines Politikers oder Wirtschaftsführers. Heute, in Zeiten von Facebook und Twitter, gilt das mehr denn je. Und das Politische bestimmt unser Privatleben, das sowieso.
Mut zur Liebe
Nicht nur zwischen Nationen, nationalen Verbänden, Ethnien, Religionen und politischen Gruppierungen ist Angst kein guter Ratgeber. Die Angst vor Ablehnung beim Äußern von Wünschen und Mitteilen von Gefühlen ist der Hauptgrund, warum auch Beziehungen einschlafen und zum erotischen Flachland werden. Die Angst, in der Liebeswerbung zurückgewiesen zu werden, führt zwar noch nicht zum Krieg, aber sie verhindert all jene Dinge, die uns glücklich machen. Das gilt gleichermaßen für die Anbahnung neuer Kontakte wie für die Bewältigung alltäglicher Herausforderungen innerhalb einer bestehenden Beziehung. Liebe braucht eben nicht bloß gute Gedanken, sondern auch eine ordentliche Portion Mut.
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