Der deutsche Unternehmer Bodo Janssen stellt in seinen Betrieben die Menschen und nicht den Gewinn in den Mittelpunkt. Und das funktioniert.
Der Dokumentarfilm ‚Die stille Revolution‘ baut auf Ihrem Unternehmen auf. Es ist die Geschichte eines radikalen Umbruchs. Wie kam es dazu?
Ich habe unser Familienunternehmen Upstalsboom, eine Hotel- und Ferienwohnungsgruppe, nach dem Tod meines Vaters übernommen. Die Firma schrieb Gewinne. Alles ist in bester Ordnung, dachte ich. Doch dann initiierte ich eine Mitarbeiterumfrage. Das Ergebnis war vernichtend. Vor allem für mich. Meine Mitarbeiter waren mit mir als Geschäftsführer absolut unzufrieden. Sie wollten einen neuen Chef.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich hatte zwei Möglichkeiten: Die Ergebnisse der Umfrage in einer Lade verschwinden zu lassen oder etwas zu verändern. Ich entschied mich für Letzteres.
Und dann?
Wie man so schön sagt: „Der Fisch fängt am Kopf zu stinken an.“ Das war in meinem Fall also ich selbst. Mir wurde klar: Wenn ich motivierte Mitarbeiter, weniger Krankenstände und weniger Personalfluktuation will, muss ich handeln. In den darauffolgenden eineinhalb Jahren habe ich mich immer wieder für mehrere Tage in ein Kloster zurückgezogen. Pater Anselm Grün, ein Benediktinermönch, wurde einer meiner Mentoren. Diese Aufenthalte waren für mich eine Zeit der Stille und des Klarwerdens. Ich merkte schnell, dass Reflexion produktiver als Aktion ist. Ich habe darüber nachgedacht, was im Leben wirklich wichtig ist.
Und was ist wichtig im Leben eines Chefs?
Sich selbst gut zu kennen. Um andere Menschen zu führen, muss man sich selbst führen können. Wer als Führungskraft etwas verändern will, muss zunächst erst einmal bei sich selbst anfangen. Führung ist eine Dienstleistung, kein Privileg. Wenn meine Mitarbeiter gestresst sind, ist es meine Aufgabe, für Ruhe zu sorgen. Ich muss vorleben, was ich von ihnen erwarte.
Wie wirkten sich diese Erkenntnisse aus?
Ich habe meinem Unternehmen und somit auch meinem Leben eine neue Richtung gegeben. Menschen waren nicht mehr Mittel zum Zweck für den wirtschaftlichen Erfolg, vielmehr war das Unternehmen Mittel zum Zweck für den Erfolg bei den Menschen. Oder für den ‚Menschenerfolg‘ oder den menschlichen Erfolg.
Klingt fast religiös ...
Ich bin kein Freund von Konfessionen, die behaupten, sie hätten die einzig wahre Weltanschauung beziehungsweise eine Universallösung. Für mich sind Ursache und Wirkung relevant. Es funktioniert einfach nicht, die Welt in Richtig und Falsch beziehungsweise in Gut und Böse einzuteilen. Alle Menschen sind unterschiedlich, jeder hat verschiedene Ansichten, doch die meisten wollen Gelassenheit, innere Zufriedenheit und Glück finden.
Und wie geht das?
Ich habe mich mit vielen Religionen beschäftigt, um zu erfahren und zu lernen, wie dieser Weg gehen könnte. Ganz egal, ob im Buddhismus, im Hinduismus oder im Christentum: Es gibt überall interessante Ansätze. Gemeinsam ist ihnen aber ein Grundsatz: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“ Es geht somit immer um gelingende Beziehungen. Selbst im Gehirn geht es um diese gelingenden Beziehungen – nämlich jene zwischen den Synapsen. Gute Verbindungen, Vernetzung: Diese Faktoren zählen.
Wie haben Sie Ihre neu gewonnene Weltsicht weitergegeben?
Ich habe mit meinen Mitarbeitern im Unternehmen darüber geredet, aber auch außerhalb des Klosters interessante Ansätze gefunden: Corporate Happiness, zum Beispiel, und die Psychologie, Philosophie, Mythologie und Neurobiologie. Aus all diesen Einflüssen habe ich ein Curriculum für meine Mitarbeiter entwickelt, also die Möglichkeit, die ich selbst genutzt habe.
Für das gesamte Personal?
Genau, da gibt es bei uns auch keine Begrenzung. Die Mitarbeiter nutzten diese Möglichkeit auch. Ziel ist es, den Grad der Selbstbewusstheit innerhalb des Unternehmens deutlich zu erhöhen. Wer sich selbst gefunden hat, hat nichts mehr zu verlieren. Wer sich selbst gefunden hat, weiß auch, wo persönliche Grenzen liegen. Starke Menschen in gelingenden Beziehungen: Das ist unser Ziel.
Gibt es auch Mitarbeiter, die das Angebot nicht annehmen?
Ja, viele, aber natürlich nicht alle. Es ist ja auf freiwilliger Basis, schließlich lässt sich so etwas ja nicht verordnen. Jene Mitarbeiter, die an den Seminaren teilgenommen haben, sind aber meist sehr begeistert und strahlen das auch aus.
Wie wirkt sich die Selbstbewusstheit im Alltag aus?
In einem extrem hohen Maß an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Jeder kann eine Entscheidung treffen, vorausgesetzt, er berät sich mit seinen Projektkollegen. Ich werde nicht mehr gefragt, ob wir ein neues Hotel bauen. Die Mitarbeiter entscheiden und ich bekomme die Verträge und setze die Unterschrift darunter. Wir hatten dieses Jahr 50 Prozent Wachstum. Selbstverantwortung kann sogar bedeuten, dass Mitarbeiter in bestimmten Bereichen selbst ihre Gehälter bestimmen, auch die ihrer Teamleiter.
Welche Aufgaben bleiben für Sie?
Den wesentlichen Teil meines Tages verwende ich dafür, dass Menschen mit sich selbst und untereinander in gelingende Beziehungen kommen können. Es ist meine Aufgabe, Menschen im Unternehmen zu stärken. Dafür verwende ich gut 80 Prozent meiner Zeit. Früher war das anders, da habe ich 80 Prozent meiner Zeit mit Zahlen verbracht. Geborgenheit, Sicherheit, Nähe und Ermutigung: Das sind die besten Voraussetzungen, um Dinge in Bewegung zu bringen.
Führt sich das Unternehmen also quasi von selbst?
Wir befinden uns in einem Wandlungsprozess, der bis Ende 2018 abgeschlossen sein soll. Wir wollen das Unternehmen in eine Stiftung umwandeln, um dadurch eine gute Grundlage für die nächste Generation und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu schaffen.
Was bringt das den Mitarbeitern?
Die Mitarbeiter werden einen wesentlichen Anteil an der Steuerung der Stiftung haben. Darüber hinaus – wenn gewünscht, natürlich – auch meine Familie. Es ist wichtig, dass derjenige, der dem Unternehmen formal vorsteht, jemand ist, der sich wirklich aus freien Stücken heraus für die Steuerung dieses Unternehmens entschieden hat. Weil wenn die Person, sei es auch ein Familienmitglied, dies nur aus reinem Pflichtgefühl macht, ist das nicht gut für das Unternehmen.
Was erwarten Sie sich von der Stiftung?
In allererster Linie ist das ein emotionaler Faktor. Die Mitarbeiter sollen den Sinn ihres Handelns unmittelbar spüren. Sie sehen, dass das, was das Unternehmen einbringt, nicht irgendwelchen konturlosen Aktionären und auch nicht ausschließlich meiner Familie zugutekommt. Wir fördern Bildungsprojekte, damit auch andere Menschen wachsen und stark werden können. Es gibt der Arbeit einen Sinn und stärkt das Gemeinwohl.
Ist Ihr Modell der Unternehmensführung auf andere Firmen übertragbar?
Ja, ich will etwas in Bewegung setzen. Andere Unternehmer sollen erkennen, dass es funktioniert, wenn man sich auf das Wohl der Menschen fokussiert.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 103: „Buddha und die Arbeit"
Foto Bodo Janssen © Upstalsboom; Teaser © Pixabay