Negativmeldungen und prognostizierte Katastrophen bestimmen unseren öffentlichen Diskurs. Kann ein vom Buddhismus inspirierter Blick gegen diesen Alarmismus helfen?
Im erbitterten Streit um Wahrheit und Lüge, Fakten und Fake haben herkömmliche und alternative Medien dennoch eines gemeinsam: Die Meldungen übertreffen sich in der Ankündigung von Katastrophen. Der öffentliche Diskurs wird in nahezu allen Sphären durch einen Alarmismus bestimmt. Das Wort ‚Alarm‘ kommt aus dem Italienischen (allarme) und bedeutet einen militärischen Weckruf. Auch unser Wort ‚Lärm‘ ist daraus entstanden. Die Medien machen viel Lärm durch einen Alarmismus. Weit weniger ergreifen sie ihre eigentliche Aufgabe: Aufklärung zu betreiben. Der deutsch-amerikanische Schriftsteller Henry Louis Mencken hat dieses Prinzip, das heute allgemeine Wirklichkeit geworden ist, bereits 1918 so charakterisiert: „Das ganze Ziel der praktischen Politik besteht darin, die Bevölkerung in Alarmzustand zu halten durch eine endlose Serie von Irrwichten (hobgoblins), allesamt rein imaginär.“ Ich möchte nachfolgend eine etwas gelassenere Perspektive formulieren. Ein vom Buddhismus inspirierter Blick kann hier durchaus klärend wirken.
Der öffentliche Diskurs wird in nahezu allen Sphären durch einen Alarmismus bestimmt.
Es gibt wohl in allen Kulturen Mythen, die das künftige Schicksal eines Volkes in bunten Bildern beschreiben und in eine umfängliche historische Erzählung einkleiden. Doch erst der Gedanke, dass die Welt das singuläre Ereignis, die Schöpfertat eines einzigen Gottes sei, hat die Vorstellung vom absoluten Anfang und absoluten Ende der Geschichte hervorgebracht. Das Judentum kennt zahlreiche apokalyptische Schriften, in denen das Volk aus der tristen Gegenwart der römischen Besatzung einen mächtigen Gott herbeiträumte, der jene Macht besitzen sollte, die eine geknechtete Bevölkerung nicht besaß. Die Apokalypse war stets ein Strafgericht für die Feinde dieses allmächtig gedachten Gottes. Die Christen haben diese Vorstellungsweise übernommen. Das Neue Testament ist erfüllt mit der Naherwartung des Weltendes, gepaart mit der Wiederkunft Jesu – ein Gedanke, den der Täufer Johannes schon ausgesprochen hatte: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Mat 3,2). Die Jünger von Jesus erwarteten das Ende der Zeiten noch unmittelbar, gepaart mit der Parusie, der Wiederkunft Christi. Paulus ging davon aus, dass wenigstens einige der Lebenden dies erfahren würden (1 Thess 4,15). Nun, es kam anders.
Nach dem Ausbleiben des Weltendes war die Heilserwartung in der Kirche zur Institution geworden. Die Menschen wurden aber weiter durch Ankündigungen des nun angeblich tatsächlich bald kommenden Weltendes in beständigem Alarm gehalten. So kündete Papst Silvester II. das definitive Weltende für den 31. Dezember 999 an. Auch Luther tat sich mit apokalyptischen Ankündigungen hervor. Das Weltende sollte jetzt 1532 kommen. Als die Prognose scheiterte, verschob er das Ende auf 1538. Wieder den Untergang überlebt, sollte es das Jahr 1541 sein. Als auch dieses Jahr verstrich, unterließ Luther die Nennung eines Datums. Ähnlich erging es den Zeugen Jehovas, die 1874 das Ende kommen sahen, es – den Untergang überlebend – auf 1914 verlegten, dann auf 1925, 1975 und schließlich 2000. Heute hat man vor der Hartnäckigkeit der Welt, ihren Untergang zu überdauern, kapituliert und nennt kein neues Datum. Das Jahr 1999 war auch von Nostradamus als Datum der Apokalypse genannt worden. Auch der Maya-Kalender musste herhalten – diesmal im Jahr 2012. Dass auch im Islam die Apokalyptik vorherrscht, drängt sich vor allem in jüngster Zeit durch diverse islamische Sekten, die dem Ende durch Gewalttaten nachhelfen wollen, erneut ins Bewusstsein. Doch auch im Islam ist dies keine extremistische Neuerung, sondern alte Tradition. In Hadith Nummer 6924 erscheint Jesus in der Endzeit, um den gläubigen Moslems zu helfen; ähnlich in Hadith Nummer 6924.
Der Alarmismus erzeugt unentwegt Angst.
Die Aufklärung hatte diesen finsteren Blick auf die Geschichte zunächst beseitigt. Von Voltaire über Kant und Hegel bis zu einigen modernen Varianten herrscht die Vorstellung vom stetigen, wenigstens nie lange unterbrochenen Fortschritt. Im Marxismus sollte dieser Fortschritt nach einer Periode der ökonomischen Katastrophen schließlich ins kommunistische Utopia führen. Ernst Bloch hat aus diesem Gedanken eine ganze Metaphysik gemacht und in seinem Hauptwerk ‚Prinzip Hoffnung‘ das katholische Rom kurzerhand nach Moskau verlegt: „ubi Lenin, ibi Jerusalem.“ Dieses andere Extrem der Apokalyptik, der Fortschrittsglaube, die Hoffnung auf ein künftiges soziales Paradies, hat sich nicht weniger vor der Geschichte blamiert wie die Daten für den Weltuntergang in abrahamitischen Religionen. Die tatsächlichen, allesamt menschengemachten Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben dann schrittweise den Fortschrittsglauben ebenso wie die Apokalypse ‚modernisiert‘. Alarmismus und der Glaube an das ewige Wachstum der Wirtschaft gehen heute Hand in Hand als zwei Extreme eines verblendeten Blicks auf die Welt.
Besonders die ausgemalten Katastrophen fanden in der Gegenwart eine Modernisierung. Und sie zeigen – wie die prophezeiten Weltuntergänge bei Juden, Christen und Moslems – dieselbe Widerstandskraft. Kaum sind sie ausgeblieben, werden sie entweder weiter in die Zukunft verschoben oder durch neue ersetzt. Wie erwähnt, erwartete Marx den Zusammenbruch des Kapitalismus, begleitet von Bürgerkrieg und Klassenkampf, im 19. Jahrhundert. Die kommunistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts erwiesen sich aber allesamt nicht als Resultat des zusammenbrechenden Kapitalismus, sondern als von Menschen gewaltsam hergestellte Umwälzungen. Die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus hinderte allerdings nicht daran, heute durch neue Katastrophen die Menschen in Atem zu halten: Szenarien vom Zusammenbruch von Währungen, das Ende von Dollar oder Euro, gewaltige Wirtschaftskrisen, Inflation füllen die Zeitschriften und viele Internetseiten und YouTube-Videos.
Es geht mir gewiss nicht darum zu bestreiten, dass immer wieder – teils sehr große – Wirtschaftskrisen die Welt erschüttern. Ich möchte nur auf den permanenten Alarmismus hinweisen, der wahlweise Arbeitnehmer, Rentner, auf Kredit Studierende oder Sparer von einer Angst in die nächste stürzt. All das erfüllt durchaus einen Zweck: Denn durch Angstmacherei und Alarmismus kann man die für die meisten Menschen sehr nachteiligen neoliberalen ‚Reformen‘ der Bevölkerung verkaufen. Merkwürdigerweise hat dieses Verkaufsrezept funktioniert. Man verwendet zur Propagierung dieser Ziele aber nicht den Begriff ‚Verarmungspolitik‘, sondern solch schöne Wörter wie ‚Flexibilisierung‘, ‚Eigenverantwortung‘ oder ‚Freiheit‘ – des Marktes, versteht sich.
Doch gilt das Angstmachen als Propagandamittel nicht nur in ökonomischen Fragen. Besonders seit den 1970er Jahren wurde ein neues Feld für den Alarmismus ausgemacht und seither weidlich für politische Zwecke genutzt. Durch die zu beobachtenden Wirkungen der Atomversuche, den Nachweis von radioaktiven Teilchen, die sich auf den ganzen Globus verteilten, tauchte eine neue Blickweise auf: Man begann, menschliches Handeln in allen Bereichen in seinen globalen Auswirkungen zu untersuchen. Diese zweifellos sehr wichtige Perspektive war jedoch zugleich der ideale Ort für die Wiedergeburt eines säkularisierten Glaubens an ein baldiges Ende der Welt. 1968 veröffentlichte Paul Ehrlich das Buch ‚The Population Bomb‘, in dem er für die 1970er Jahre Hunderte Millionen von Toten prognostizierte. Tatsächlich sank aber global die Sterberate von 13 je 1.000 Ende der 1960er Jahre bis auf heute 9. Dennoch führte Ehrlichs Buch zu weitreichenden politischen Folgerungen, auf Umwegen wohl auch zu Chinas Ein-Kind-Politik. Der Alarmismus bezüglich einer wachsenden Bevölkerung paarte sich 1972 mit der Idee sich erschöpfender Ressourcen in dem Bericht des Club of Rome ‚The Limits to Growth‘. Darin wurde durch Computermodelle vermeintlich exakt das Erschöpfen vieler Rohstoffe noch vor der Jahrtausendwende vorhergesagt. Dieser Bericht von Dennis Meadows und anderen war auch die eigentliche Grundlage der grünen Bewegung, die sich seither entwickelt hat.
Neu waren diese apokalyptischen Erwartungen nicht. Thomas R. Malthus hatte 1798 Hungerkatastrophen und das periodische Erschöpfen von Nahrungsmitteln vorhergesagt. Der Ökonom Stanley Jevons prognostizierte 1865 ein baldiges Erschöpfen der Kohlevorräte. Derselbe Gedanke kehrte dann für das Öl wieder. Der Geologe M. King Hubbert sagte 1956 das Erschöpfen von Ölquellen in den USA voraus; das Fracking zeigte dann etwas ganz anderes. Es entwickelte sich eine globale Peak-Oil-Theorie, der zufolge die Ölproduktion sich bald nach 2000 erschöpfen würde. Ein Zusammenbruch der Volkswirtschaften sollte folgen, mit Bürgerkriegen und ähnlichen Katastrophen. Vom ‚Ozonloch‘, das Millionen Krebstote verursachen würde, bis zum Waldsterben, das Europa in Wüsten verwandeln würde, wurde der Alarmismus immer neu genährt.
Die wahren Katastrophen werden von Menschen gemacht.
In der Gegenwart sind die Katastrophenerwartungen nahezu vollständig von der Klimadebatte überlagert. Auch hier hat der Alarmismus die ruhige Analyse längst eingeholt, mehr noch, eine fast religiöse Inbrunst erweckt. Kein vernünftiger Mensch zweifelt an einem Klimawandel – den es übrigens schon gibt, seit die Erde besteht. Dennoch bleiben zwei Fragen offen: Erstens sind an den von Wissenschaftlern vorgetragenen Prognosen doch Zweifel bezüglich Zeitraum und Ausmaß des Klimawandels angebracht. Zweitens ist fraglich, ob die vorgeschlagenen Mittel – die Steueranreize verwenden wollen – überhaupt eine nennenswerte Wirkung besitzen. Was aber den begleitenden Alarmismus betrifft, so überbieten einige Vorhersagen durchaus ihre religiösen Vorbilder: Es wurden Milliarden Tote prognostiziert. Es komme – so eine Prognose von 2008 – sogar zu weltweitem Kannibalismus. Je lauter die Alarmglocken schrillten, desto mehr alarmistische ‚Forschung‘ wurde finanziert und so – wenig verwunderlich – entsprechende ‚Prognosen‘ produziert. Noch in den 1970er Jahren war der Tenor: Es komme zu einer globalen Abkühlung, die um die Jahrtausendwende zu einem großen Krieg führen werde. Aus dem Global Cooling wurde aber rasch ein Global Warming, so dass das Magazin ‚Der Spiegel‘ schon im Jahr 2000 titeln konnte: ‚Nie wieder Schnee!‘
Wenn man diese Entwicklung, diesen Diskurs aus einigem Abstand mit der Erfahrung der buddhistischen Tradition betrachtet, ist erkennbar: Der Alarmismus erzeugt unentwegt Angst. Und die Angst verdeckt eher die aktuellen Probleme – wie die laute Klimadebatte den tatsächlichen Hunger heute in Afrika übertönt, den man durchaus rasch beheben könnte, aber stattdessen betroffenen Ländern eher rigorose Klimaziele diktieren möchte. Angst findet ihre Bewegungsform dann in einer falschen Lebensgier, die sich im Konsum einen Halt sucht. Alarmismus in Wirtschaft, Politik, Ökologie einerseits, Wachstumswahn andererseits sind nur zwei Extreme, die Vorder- und Rückseite der zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gewordenen Verblendung, von Gier und Angst, die vielfach dann zu Hass auf alles Neue und Fremde führen.
In der buddhistischen Tradition spielen Apokalypsen keine Rolle. Wir wissen hier durchaus: Alles ist vergänglich. Daran ist immer auch Leiden geknüpft. Doch all dies als permanente Angst, als Alarmismus im Denken auch noch zu verdoppeln, ist wenigstens unvernünftig. Die politischen Handlungen, die an solch einen Alarmismus geknüpft werden, vervielfachen oftmals nur das Leiden.
Wenn, dann sind Warnungen heute ganz woanders angebracht. Die wahren Katastrophen werden von Menschen gemacht. Es gibt hier durchaus Anlass zur Sorge, denn überall wird wieder hochgerüstet, ein militärischer Jargon gesprochen, werden Kriege vorbereitet. Es sind hier aber letztlich die falschen Gedanken der Gewalt, die mögliche Katastrophen auslösen. Diese Gedanken gilt es zu kritisieren, zu reinigen. Angst und Alarmismus sind die gänzlich falschen Ratgeber. Hier kann der Buddhismus heilend und beruhigend in der aufgeregten Atmosphäre wirken, in der Angst zu Handlungen führt, die das, was sie befürchtet, dann – womöglich mit Waffengewalt – tatsächlich herstellt.
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