Glück ist im Buddhismus keine Dimension, es ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, Leiden zu überwinden. Es liegt an uns selbst.
Buddhas Weg ins Glück ist paradox. Als Glück gilt nicht, zu bekommen, was man begehrt, sondern nichts zu begehren. Denn unser Glück ist abhängig von unseren Gedanken und Gefühlen. Negative Gedanken und Gefühle, wie etwa Stress und Ärger, machen unglücklich. Jeder sollte sich bewusstmachen, dass diese Emotionen nicht von außen, sondern von innen kommen.
Wir leiden, wenn wir einen großen Verlust erlitten haben, in Konflikten leben oder ernsthaft erkrankt sind. Aber daran müssten wir nicht leiden. Wir leiden nämlich nicht am Verlust selbst, sondern an dem unangenehmen Gefühl, das dieser in uns auslöst, und an den schmerzhaften Gedanken, die daran geknüpft sind. Wir hören auf zu leiden, wenn wir weise denken und unangenehme Gefühle betrachten können, bis sie vergehen, ohne einzugreifen und ohne darauf zu reagieren. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass uns 90 bis 98 Prozent unserer körperlichen und geistigen Funktionen nicht bewusst sind.
In der buddhistischen Praxis können wir das Bewusstsein entwickeln, immer zu wissen, was wir denken und fühlen. Das ist die Voraussetzung für ein Handeln, das nicht zu Leiden führt.
Wir sind für unser Leiden selbst verantwortlich. Wenn wir unser Begehren, unsere Ablehnung und die Illusionen überwinden, befreien wir uns vom Leiden. Das müssen wir uns in dieser Klarheit und Deutlichkeit vor Augen halten, sonst wird sich nichts ändern. Wir müssen uns auf das, was uns Leiden bereitet, konzentrieren und es untersuchen. Wir wollen das Unangenehme, das Dunkle in uns nicht sehen, wir sind ständig abgelenkt, unsere Gedankenspiralen drehen sich. Wir leben in unseren Vorurteilen, Bewertungen, innerhalb sozialer Schranken, ohne sie zu hinterfragen, wir machen tagein und tagaus das Gleiche. Vielleicht nicht inhaltlich, aber strukturell.
Wir leiden, weil wir etwas begehren, das wir nicht bekommen.
Einige Beispiele, die fast alle kennen: An einem Tag essen wir zu viel, weil uns das ein angenehmes Gefühl erzeugt, am nächsten Tag essen wir weniger, weil es uns auch ein angenehmes Gefühl erzeugt. Wir essen also nicht, um uns zu ernähren, sondern um unsere Sinne zu befriedigen.
An einem anderen Tag streiten wir mit jemandem, der in uns ein unangenehmes Gefühl erzeugt hat. Wir leben nicht die Wirklichkeit, sondern unsere Gefühle. Diese sind nicht falsch, sie sind echt. Aber sie behindern uns, glücklich zu sein, wenn wir sie nicht im richtigen Kontext leben. Das tun wir nicht, wenn wir ständig Angenehmes haben, Unangenehmes hingegen nicht haben wollen. Glück und Unglück begegnen uns täglich, ohne dass wir es verhindern können.
Unser tägliches Tun und Handeln beschert uns auch deshalb Leiden, weil wir überhaupt nicht daran gewöhnt sind, uns selbst zu beobachten. Wir ziehen gar nicht in Erwägung, dass es uns möglich sein könnte, ständig zu wissen, was wir denken und fühlen. Durch Meditation und Achtsamkeit entwickeln wir diese Fähigkeit. Ziel ist es, sich der eigenen Gedanken und Gefühle besser bewusstzuwerden. Das ist die Voraussetzung, um zu erkennen, was für den einen gut und den anderen nicht gut ist. Das erfolgt durch eine Untersuchung, die eine wertfreie Beobachtung des eigenen Selbst ist. Wenn wir das tun, erkennen wir allmählich, wo und was wir falsch machen, was uns nicht glücklich, sondern unglücklich macht.
Wir leiden, weil wir etwas ablehnen, das wir haben.
Der nächste Schritt: Das eigene Verhalten ändern. Das geht nur mit Anstrengung. Sie ist die wichtigste und schwierigste Übung im buddhistischen Geistestraining und kann das ganze Leben verändern, wenn man sie beherrscht. Anfänglich scheint es schwer möglich, doch durch Übung wird sie immer leichter – und irgendwann gelingt auch die Anstrengung völlig anstrengungslos. Das buddhistische Geistestraining besteht aus vier Teilen:
• Negative, also unheilsame Emotionen, die man nicht hat, nicht entstehen zu lassen – etwa Ärger.
• Negative, also unheilsame Emotionen, die man hat, fallenzulassen – etwa Ärger.
• Positive, also heilsame Emotionen, die man nicht hat, entstehen zu lassen – etwa Liebe.
• Positive, also heilsame Emotionen, die man hat, zu bewahren – etwa Liebe.
Unter ‚heilsam‘ wird alles verstanden, was mit Freude, Liebe, Großzügigkeit zu tun hat, und unter ‚unheilsam‘ alles, was mit Ärger, Zorn, Begehren und Unruhe zu tun hat. Was heilsam und was unheilsam ist, weiß, im Unterschied zu dem, was als gut und böse gilt, jeder für sich.
Wir können unsere Handlungen mit dem Gehen auf einer Straße vergleichen. Sie ist die Straße unseres Lebens, jene, die wir täglich gehen. Sie ist ausgetreten und weit. Sie ist gut sichtbar. Auf ihr leiden wir nicht immer, aber immer wieder. Wir müssen oft auf dieser Straße gehen, um zu erkennen, wo und wie wir in unsere Löcher fallen, in jene Situationen, in denen wir zornig und aufgeregt, stressbeladen und unglücklich sind, also leiden.
Am Anfang sehen wir die Löcher auf dem Weg überhaupt nicht. Später, wenn wir bewusst darauf achten, sehen wir sie, fallen aber trotzdem hinein. Solange wir diese Straße gehen, werden wir, auch wenn wir noch so gut aufpassen, immer in eines hineinfallen. Wir müssten einen ganz neuen Weg gehen, doch den kennen wir nicht. Können wir ihn ein erstes Mal sehen, ihn zumindest erahnen, ist eine schmale Spur sichtbar, ähnlich einer Spur im Gras einer Wiese. Gehen wir die Spur nicht regelmäßig, verschwindet sie nach kurzer Zeit, spätestens nach dem nächsten Regen.
Wir leiden, weil wir in der Illusion leben, das Leben müsse so sein, wie wir es wünschen, und nicht, wie es ist.
Meist suchen wir aber keinen neuen Pfad, im Gegenteil, wir bleiben gerne auf der alten, leidvollen Straße, die wir gewohnt sind. Sie ist breit wie eine Autobahn, so bekannt, so vertraut, wir haben Angst, sie zu verlassen. Es ist die Samsara-Straße, die Straße der ewig gleichen Handlungs- und Gedankenabläufe. Eine öde, eine langweilige Straße. Es braucht Kraft, Mut, Bewusstheit und Ausdauer, sie zu verlassen.
Damit sich etwas ändert, müssen wir unser Verhalten ändern, uns von alten Mustern befreien, einen neuen Weg gehen, auf dem es die alten Löcher gar nicht mehr gibt. Solange es ein Loch gibt, besteht die Möglichkeit, hineinzufallen. Wenn wir uns darin üben und neue Wege gehen, bedeutet das nicht, dass alle Probleme gelöst und wir automatisch glücklich sind.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 108: „Anleitung zum Glücklichsein"
Ständig glücklich sein, das kann niemand, nicht einmal Buddha. Das buddhistische Ziel ist daher nicht Glück, sondern Gleichmut. Es gibt dann immer noch sämtliche Höhen und Tiefen des Lebens, es begegnen einem weitere Dramen, schöne Stunden, Konflikte und Höhepunkte. Gleichmut ist mehr als Gelassenheit. Gelassenheit kennen wir, zumindest gelegentlich. Um sie muss man sich noch bemühen. Um Gleichmut nicht mehr. Er ist dauerhaft möglich und letztlich nur einem Buddha vorbehalten. Nein, umgekehrt, wenn man dauerhaft gleichmütig ist, ist man selbst zu einem Buddha geworden. Dieses Ziel scheint kaum erreichbar, doch annähern kann man sich sicher. Wenn so ein Mensch einem Wesen begegnet, das leidet, wandelt sich Gleichmut in Mitgefühl. Geht es anderen gut, wandelt er sich in Mitfreude, allen anderen Menschen ist man in Liebe verbunden.
Es ist bemerkenswert, dass in der buddhistischen Übung dem Glück in seiner herkömmlichen Bedeutung kein hoher Wert beigemessen wird, ebenso wenig wie dem Reichtum und der Gesundheit. Zwar ist es angenehm, glücklich zu sein, genügend Geld zur Verfügung zu haben und gesund zu sein: Doch diese Dinge liegen nur bedingt in unserer Hand. Wir können sie anstreben, sie können eintreten, müssen es aber nicht. Die Welt ist, wie sie ist, und nicht, wie sie sein sollte.
Was in unserem Einflussbereich liegt, zumindest theoretisch, sind Gedanken und Gefühle. Daher strebt ein Buddha an, gleichmütig, mitfühlend, mitfreudig und liebevoll durch die Welt zu gehen. Nichts anderes. Wir kennen diese Gefühlszustände, erleben sie aber nur, wenn sie zufällig passieren, sie aktiv herzustellen ist kaum möglich. Doch es lässt sich erlernen. Gleichmut aktiv zu leben: Das ist Buddhismus. Wenn man dieses Ziel erreicht hat, kann man es als Glück bezeichnen. Das ist allerdings eine Frage der Definition – und nicht des Glücks.
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Wenn wir ohne Zweifel die Wahrheit erfahren, erkennen wir das niemals ein einziges Wesen in Wahrheit gelitten hat.
Leid findet statt, ohne das es personifiziert wird.