Buddhismus und Antinatalismus: Macht es Sinn, keine Kinder mehr zu zeugen, um das Leid des Lebens vollkommen zu umgehen?
Kein Zweifel, Buddhas erste der ‚Vier Edlen Wahrheiten‘ – die Wahrheit vom Leiden – drückt eine grundlegende Tatsache aus. Tiere leiden vielfältig; ihre Schreie in Schlachthöfen sind unüberhörbar. Menschen leiden seit Jahrtausenden durch Kriege, Krisen, Krankheiten oder Katastrophen verschiedenster Art. Es ist also wenig verwunderlich, dass immer wieder Philosophen ausrufen: „Nicht geboren zu werden, ist für die Erdbewohner am besten.“ (Sophokles: Ödipus auf Kolonos). Wenn sich nun in den letzten Jahren die Bewegung mit dem Namen ‚Antinatalismus‘ immer breiter entfaltet, die jegliche Zeugung von Kindern verweigert und sogar das schrittweise Aussterben der Menschheit befürwortet, folgt sie nicht eigentlich der buddhistischen Lehre? Georg Grimm, ein Vertreter des Pali-Buddhismus, sagte, es sei ‚der lebensfreie Zustand der uns allein angemessene‘. Ebendies behauptet auch der Antinatalismus. Ich werde nun nicht eine schlichte Gegenthese vertreten, etwa: Man sollte Kinder haben. Vielmehr verwende ich dagegen die Methode des Mādhyamaka, die immanent zeigt, dass eine kritisierte Lehre – hier der Antinatalismus – schlicht undenkbar ist.
Der Antinatalist und Philosoph David Benatar argumentiert vielleicht am klarsten in seinem Buch mit dem programmatischen Titel ‚Better never to have been‘. Er versucht nachzuweisen, dass die Nichtexistenz eines Lebewesens seiner Existenz vorzuziehen sei. Was Benatar als Voraussetzung anführt, scheint sich zunächst noch mit der Lehre des Buddha zu decken: Er verweist auf die vielfältig leidhaften Erfahrungen eines Menschen und zieht daraus den Schluss, dass dieses vielfältige Leiden nur durch Nichtexistenz beseitigt oder verhindert werden kann. Es sei sogar ethisch geboten, auf Kinder zu verzichten, weil man ihnen – wohl um deren künftiges Leid wissend – allein durch die Zeugung neuen Lebens Schaden zufüge.
Der belgische Philosoph Théophile de Giraud geht noch weiter. In seinem Buch ‚L’art de guillotiner les procréateurs‘ – ‚Die Kunst, seine Erzeuger zu guillotinieren‘ fordert er das Recht der Kinder, die Eltern verklagen zu dürfen, weil sie durch Geburt dem Leiden der Existenz ausgesetzt wurden. Und tatsächlich wird auch von Juristen unter dem Schlagwort ‚Wrongful Life‘ die Frage diskutiert, ob behinderte Kinder ihre Eltern nicht vor Gericht zerren dürfen, weil sie das Leiden ihres Lebens durch Nichtzeugung nicht verhindert haben. Darauf bezogen argumentiert die Philosophieprofessorin Seana Shiffrin für einen sogenannten ‚lokalen Antinatalismus‘. Dies heißt, dass für bestimmte Kinder die Nichtgeburt jeweils die bessere Alternative wäre. Benatar, de Giraud und andere universalisieren dies nun für alle Menschen.
Die Nichtexistenz eines Lebewesens sei seiner Existenz vorzuziehen.
Shiffrin macht eine stillschweigende Voraussetzung des Gedankens explizit. Sie sagt: „Ich nehme an, dass Menschen nicht vor ihrer Zeugung existieren. Deshalb erfährt ein nichtexistierendes potenzielles Kind keinen Schaden, wenn es nicht erschaffen wird.“ Hier werden traditionelle Buddhisten sofort Einspruch erheben und auf die Wiedergeburt verweisen. Gewiss ist die Wiedergeburtslehre keine für jedermann akzeptable Tatsache. Dennoch erweist die vielfältige Erscheinungsform dieser Lehre über die Jahrtausende wenigstens die Denkbarkeit einer Wiedergeburt, also einer Existenz vor der Zeugung. Dies einfach auszuschließen ist eine dogmatische, damit philosophisch nicht zu akzeptierende Voraussetzung. Zudem: Wenn man sich schon nur auf Wissenschaften festlegt, so ist zu sagen, dass inzwischen Nahtoderfahrungen vielfältig auch empirisch untersucht und bestätigt worden sind, etwa in den Schriften von Pim van Lommel. Den Tod einfach als Übergang ins Nichts zu betrachten ist ein metaphysisches Vorurteil, keine zweifelsfreie Erkenntnis.
Doch sehen wir uns Benatars Argumente etwas genauer an. Er vergleicht zwei Zustände: Im Szenario A addiert er Glück und Leid eines Lebewesens und kommt zu dem Schluss, dass das Leiden weit überwiegt. Er vergleicht dies mit einem Szenario B, in dem ein Lebewesen gar nicht existiert. Es würde kein Leid erfahren. Allerdings auch kein Glück, was Benatar als ‚not bad‘ bezeichnet. Vergleicht man beide Zustände, so ergebe sich für die Nichtexistenz eindeutig eine positive Bilanz: Leid wird vermieden und fehlendes Glück wird nicht vermisst. Folglich sei die Nichtexistenz für Lebewesen die beste Alternative.
Nun ist dies eine in mehrfacher Hinsicht unhaltbare Argumentation, die dennoch so ähnlich von anderen Antinatalisten endlos wiederholt wird. Erstens – Ökonomen haben das lange versucht und sind daran gescheitert – lassen sich Glück und Leid nur dann vergleichen, wenn man beides messen könnte. Nur dann wäre ein Bilanzsaldo für ein Leben mit ‚plus‘ oder ‚minus‘ zu ermitteln.
Zweitens – wiederum in der Ökonomie hat man dies bereits vor hundert Jahren verstanden – sind Glück oder auch nur Nützlichkeit beziehungsweise Leid stets rein individuell-subjektive Größen. Niemand kann sie von außen beurteilen und saldieren. Eine Aussage, wie sie im nichtlokalen Antinatalismus gemacht wird, der alles Leben auf der Erde – weil leidvoll – beenden möchte, ist schlicht eine fremde Anmaßung über eine nicht von außen erkennbare subjektive Erfahrung.
Drittens – und das ist ein gravierender logischer Fehler – kann man die Negation der Existenz nicht wie ein Sein betrachten, dem man ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ als Adjektiv zuschreibt. Sagt man, wenn ein nichtexistierendes Wesen kein Glück erfahre, so sei das ‚not bad‘ (Benatar), so formuliert man schlicht einen unsinnigen Satz.
Viertens, daraus folgend, kann die Entscheidung, ob ein Leben lebenswert ist, nur das Kind später selbst treffen. Die Eltern, noch weniger der von außen urteilende antinatalistische Philosoph, können nicht beurteilen, wie ein mögliches Kind künftig empfinden würde. Da Antinatalisten naturgemäß nur zu bereits geborenen Menschen sprechen können, ist diese Frage sogar unmittelbar zu beantworten: Auch Antinatalisten können nicht bestreiten, dass es viele Menschen gibt, die das Leben als lebenswert empfinden. Wären ihre Eltern Antinatalisten gewesen und hätten deren Geburt verhindert, so hätten sie – nach Benatars ureigenster Logik – einem Wesen unnötigen Schaden zugefügt, also unethisch gehandelt.
Insgesamt kann man bei Antinatalisten – ich habe dazu Seana Shiffrin schon zitiert – ein philosophisch betrachtet beschränktes Weltbild, eine dogmatische Ontologie beobachten. Sie argumentieren strikt naturalistisch, lassen also spirituelle Argumente nicht gelten oder nehmen sie nur zur Illustration ihrer These. Das heißt, für sie ist die Geburt der absolute Anfang einer Person und der Tod deren absolutes Ende.
Das Leben soll also eine winzige Spanne zwischen dem grenzenlosen Nichts vor der Geburt und nach dem Tod sein.
„Der Tod ist Nichtexistenz“, schreibt auch Günther Eberhard in seinem Buch ‚Antinatalismus‘. Das Leben, wie immer man es beurteilt, soll also eine winzige Spanne zwischen dem grenzenlosen Nichts vor der Geburt und nach dem Tod sein. Wenn man schon in der (falschen) Logik von Benatar ein Leben bilanziert, müsste man auch jeweils, wie er das analog in seinem Szenario B tut, das Nichtsein vor der Geburt und nach dem Tod miteinbeziehen. Wenn Nichtexistenz aber positiv ist, dann überwiegt ‚die gute Nichtexistenz‘ durch zwei Unendlichkeiten bei weitem die winzige Lebensspanne. Ferner gibt es (in dieser falschen Logik) im Kosmos gewiss viel mehr Nichtgeborene als Geborene. Also ist der Kosmos erfüllt vom Glück der Nichtexistenz. Ich beeile mich hinzuzufügen: All dies beruht aber auf dem Denkfehler, das Nichtsein wie ein Sein zu behandeln und ihm Eigenschaften wie gut oder schlecht anzudichten.
Was den Naturalismus des Antinatalismus anlangt, der eine Wiedergeburt ablehnt, so handelt es sich hier nur um eine rein dogmatische Aussage. Man mag es dem Antinatalisten Karim Akerma nachsehen, wenn er sagt, der Buddhismus habe keine Antwort auf die Frage ‚Wer‘ wiedergeboren werde; dass im Buddhismus das ‚Wer‘, also das Ego, gerade einer meditativen Kritik unterworfen ist, wird hier nicht verstanden. Wenn man aber nur aus der Perspektive eines vereinzelten Egos auf die Welt des Leidens blickt, so ist dieser Blickpunkt beschränkt.
Ethische Urteile gründen nicht im Ego. Dennoch könnte man selbst in dieser egozentrischen Perspektive mit Blaise Pascal argumentieren: Mag auch ein Leben nach dem Tod naturwissenschaftlich nicht erklärbar sein, es ist dennoch denkbar und darf deshalb in einer kritischen Philosophie nicht dogmatisch ausgeschlossen werden. Falls aber nach dem Tod ein unendliches Glück – Himmel oder Nirvāna – zu erwarten ist, überwiegt dieses unendliche Glück jegliches Leiden. Selbst eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit für solch ein Glück, meinte Pascal, würde multipliziert mit einer unendlichen Größe immer noch ein höheres Gesamtglück ergeben.
Diese berühmte ‚Wette‘ von Pascal hat freilich einen Haken: Sie unterstellt wiederum die Rechenbarkeit von Glück und Leid – wie dies auch die Antinatalisten tun. Ebendies ist aber völlig unangemessen. Was hier in der Neuzeit, gipfelnd im Antinatalismus, zu beobachten ist, kann als die völlige Dominanz der Logik einer Geldökonomie interpretiert werden. Alles soll auf Nutzen und Kosten hin berechnet werden, auch der Wunsch nach Kindern. Diese Denkform wird dogmatisch und unhinterfragt vorausgesetzt. Sie ist dem Buddhismus allerdings völlig fremd. Unter dem Stichwort ‚Regretting Motherhood‘ (Orna Donath) lehnen inzwischen in dieser berechnenden Haltung auch viele Feministinnen zunehmend Kinder ab.
So fügt sich der Antinatalismus als radikale Konsequenz harmonisch zum weiterhin konsumierenden Individuum, zu Feminismus, Klimahysterie und Veganismus als zeitgenössische Ideologie.
Hinzu kommt in jüngster Zeit noch ein weiterer Wahn. Ungeachtet der tatsächlichen Forschung in den Klimawissenschaften wird die zunehmende Panik geschürt, dass in Kürze ohnehin die Welt verbrenne, was übrigens der Weltklimarat IPCC nie so behauptet hat. Die Klimahysterie vieler Kinder („We want you to panic.“) hat auch Erwachsene erfasst. Eine Untersuchung von Frauen unter 30 in Australien ergab, dass ein Drittel von ihnen eine Mutterschaft wegen der Ängste vor dem Klimawandel ablehnt. Der ‚Guardian‘ berichtete jüngst von einer neuen Bewegung von jungen Frauen, die jede Fortpflanzung aufgrund des Klimakollapses und des Zusammenbruchs der Zivilisation verweigern. So fügt sich der Antinatalismus als radikale Konsequenz harmonisch zum weiterhin konsumierenden Individuum, zu Feminismus, Klimahysterie und Veganismus als zeitgenössische Ideologie. Befragt, antworteten die Kids von ‚Friday for Future‘, dass sie zwar die Erde retten wollen, auf ihr Smartphone und gewohnte Nahrungsmittel aber auf keinen Fall verzichten würden. Wenigstens wollen diese Kinder also leben, auch im Schatten des Antinatalismus.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 109: „Angst überwinden"
Aus buddhistischer Perspektive kann man immerhin positiv sagen, dass die Diskussion um den Antinatalismus das Bewusstsein für vielfältige Leiden wieder stärker geweckt hat. Allerdings ist die Urteilsgrundlage in dieser Philosophie doch eine ganz andere als im Buddhismus. Offenbar haben die wichtigsten Autoren keine Erfahrung in der Arbeit mit dem Geist, der Meditation und der darin erkennbar werdenden ganz anderen Voraussetzung von Verbundenheit, Mitgefühl und Nicht-Ich.
Der Grund des Leidens im Buddhismus ist das Festhalten – auch von Angst und Panik. Dies zu erkennen und Wissen darüber zu erlangen, um so auch das Leiden loslassen zu können, erweist sich als Sinn des Lebens. Die Erklärung des Kosmos setzt erkennende Menschen immer schon voraus, was in der Kosmologie unter dem Titel ‚anthropisches Prinzip‘ firmiert. Auch die Gegenstände der Quantenmechanik sind gar nicht ohne beobachtendes Bewusstsein erklärbar. Man kann gedanklich aus der Welt nicht das Bewusstsein subtrahieren.
Der Antinatalismus beruht dagegen auf einem simplen Materialismus, gepaart mit fehlerhafter Logik und der Haltung von selbstbezogenen Konsumenten einer Geldökonomie, in der alles berechnet wird. Erleiden heißt im ursprünglichen Sinn immer auch gegenseitige Abhängigkeit, nicht nur Schmerz. Die buddhistische Erkenntnis, dass dies auch die Vergänglichkeit und damit die Leerheit des Leidens impliziert, bleibt für eine antinatalistische Perspektive leider unerkennbar.
Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen, u.a. ‚Buddhistische Wirtschaftsethik‘ (2. Auflage, 2011); ‚Die Herrschaft des Geldes‘ (2. Auflage, 2012); ‚Säkulare Ethik‘ (2015).
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Ich denke das Hauptproblem ist, dass die meisten Menschen nicht über den Schatten ihrer eigenen Existenz springen können. Ein gewisser Grundnarzissmus hindert sie daran eine Welt in Betracht zu ziehen in der sie selber nicht existieren.
Kritisieren möchte ich Ihre Aussagen zu den FeministInnen und der Klimahysterie, durch die Sie privilegiert, misogyn und alt wirken. Wir werden nicht Aussterben, wenn Sie sich aktuelle Bevölkerungszahlen anschauen. Die meisten Menschen sind von massiver Armut betroffen, haben weder Geld für Verhütung, noch ausreichend Bildung oder Zeit sich um den Klimawandel zu scheren. Denn sie haben nicht die Privilegien, eines europäischen Akademikers und auch nicht einer weißen Frau, die (zumindest) rechtlich innerhalb und außerhalb der Ehe vor Vergewaltigung geschützt ist. Und um in dieser Denkweise der zwei Geschlechter zu bleiben:
Sollte eine Frau nicht selbst entscheiden können, ob sie Kinder möchte oder nicht? Und gilt das Gleiche nicht auch für Männer? Wahrscheinlich hat es immer schon Menschen gegeben, die sich bewusst gegen Kinder (aus welchen Gründen auch immer) entschieden haben / entscheiden konnten. Kinder sind/waren in Ländern ohne Sozialversicherungssystem oft wichtig für die Altersvorsorge. Und für mich ist es kein Widerspruch, selbst keine Kinder haben zu wollen und trotzdem an Bardo und Wiedergeburt zu glauben.
Wenn sie nun auch noch Wiedergeburt erwähnen, stellen sie sich und ihre Argumentation vollends ins Aus. Man könnte dann auch Gott, den Teufel, Dämonen, Kobolde und weitere Hirngespinste aufzählen, die in einer logischen Argumentation nichts verloren haben. Sie versuchen weiters die Antinatalisten als unwissenschaftlich darzustellen und schreiben, dass z.Bsp. Nahtoderfahrungen empirisch bewiesen seien. Offenbar verwechseln sie hier den Beweis für einen Bewusstseinszustand der beim Sterbeprozess eintreten kann, mit dem Beweis der Existenz eines Jenseits. Gerade so ein Fehler in der Argumentation ist unwissenschaftlich.
Eine akademische Abhandlung über Schnittmengen und Gegensätze von Buddhismus und Antinatalismus wäre sehr interessant gewesen. Leider haben sie offensichtlich nicht die Fähigkeit differenziert zu analysieren und darauf eine klare Argumentation aufzubauen.
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Diese grosse Zahl, über sechs Tausend Pharisäer, welche Herodes den Eid nicht leisten mochten, dafür in Strafe genommen wurden und dem König einen feindlichen Sinn zeigten, machten nur einen Theil derjenigen Partei oder Sekte aus, welche man mit diesem Namen bezeichnet. Denn sämmtliche Pharisäer waren weit zahlreicher, wie Josephus anderweitig berichtet. Es waren nur die genau oder streng das väterliche Gesetz Befolgenden, mit einem Worte die strenge Schule, die Schammaiten (vergl. Graetz, Geschichte der Juden B. III. Note 23). Diese Schule, welche es mit den Gesetzen des Judenthums sehr scrupulös nahm, musste in Herodes einen Erzfeind des Judenthums hassen, das er mit jedem Schritte verletzte. Die düstern Jünglinge, denen die Lebensfreuden verhasst waren, müssen wir uns aus dieser Schule denken, während Hillel den Jüngern seiner Schule einschärfte: „Sei von den Jüngern Aarons, liebe den Frieden, suche den Frieden, liebe die Menschen, um sie dadurch der Thora näher zu bringen“ (Abot I 12). Diese Sentenz hat, wie sämmtliche „Sprüche der Väter", eine Pointe, die gerade gegen diejenigen gerichtet scheint, welche keine Nachsicht gegen die Feinde des Gesetzes üben wollten.
Sehen wir uns weiter in dieser Zeit um, so stossen wir auf eine düstere, pessimistische Abneigung der Schammaitischen Schule gegen das Leben im Gegensatz zur Ansicht der Hillelitischen, die sich in einer Notiz (Babli Erubin p. 13'') findet: die Schule Schammai's sagte: „Es wäre besser für den Menschen gewesen, nicht geschaffen worden zu sein, als dass er geschaffen wurde.“
Fußnote:1) Einige Codices haben den Singular, -was auch besser passt; ed. Havercamp. I. p. 830 Nota t.
26 Einleitung.
Die Schule Hillel's dagegen: „Es ist besser für den Menschen geschaffen worden zu sein, als dass er nicht geschaffen worden wäre“: (???)(??????)
Zeigt sich nicht in dieser Sentenz dieselbe düstere Stimmung und Lebensfeindlichkeit wie im Sinnspruche Kohelets: „Besser ist der Todestag als der Geburtstag"? Dieser von der Schammaitischen Schule ausgesprochene Lebensüberdruss könnte zwar auch auf die Zeit nach der Tempelzerstörung bezogen werden. Allein so überwältigend auch der Schmerz über diese tragische Katastrophe war, oder weil er das war, so wirkte er gewissermassen wie die Katharsis.
Das Unglück war von einem fremden Eroberer verhängt worden, traf Alle und wirkte nicht corrumpirend. Daher wird auch nur tradirt: Nach der Tempelzerstörung mochten einige frommen Pharisäer kein Fleisch essen und keinen Wein trinken (Babli Baba Bathra p. 60^' aus der Tosifta Sota c. 15). Von Ekel am Leben ist dort keine Rede, wie denn auch die pessimistische Ansicht, dass der Mensch gar nicht hätte geschaffen werden sollen, sich bei dieser Gelegenheit nicht findet. Wir müssen daher diesen Ausspruch der schamma'itischen Schule: der Mensch hätte gar nicht geboren werden sollen, in die Zeit vor der Zerstörung und zwar in die herodianische Zeit setzen, in der sich auch andere Symptome der Verzweiflung zeigten.
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