Was ist es, das Menschen zum Zen bringt? Die Autorin entdeckt die Konditionierungen, die die strengen Formen der Zen-Praxis attraktiv für sie gemacht und ihr Verständnis von Zen begrenzt haben. Ihre Praxis schließt heute Mitgefühl und Selbstfürsorge ein.
Auf einer Japanreise mit einer Gruppe Zen-Praktizierender besuchten wir zahlreiche Tempelanlagen. Bei einem unserer Besuche hörten wir aus einem abgetrennten Teil lautes Gebrüll, klatschende Geräusche und Getrampel. Es ließ an Militär und den Drill von Soldaten denken, doch hier absolvierten Mönche ihr Zen-Training.
Auf dieser Reise, wo wir auch auf so viele Statuen von Kannon, der Bodhisattva des Mitgefühls, und anderer Bodhisattvas trafen, die Fürsorge und Güte verkörpern, wurde mir einmal mehr bewusst, wie facettenreich der japanische Zen-Buddhismus ist und welch kleinen Ausschnitt ich kennengelernt hatte, als ich Mitte der 1980er-Jahre Zen zu üben begann.
Dieses Zen hatte seine Wurzeln eher im „Kasernenteil“ der Tempel, denn die Mehrheit der ersten Meister, die Zen in den Westen brachten, hatte sich einem jahrelangen harten monastischen Training unterzogen und lehrte aus diesem Kontext heraus Zen. D. T. Suzukis (1870–1966) Darstellungen prägten zu der Zeit noch sehr die Wahrnehmung von Zen im deutschsprachigen Raum.
„Suzukis Verbindung von Zen-Buddhismus und der Krieger-Ethik der Samurai entsprach dem militärischen und nationalistischen Zeitgeist sowohl in Japan als auch in Deutschland“, so die Religionswissenschaftlerin Ursula Baatz. Seinen Büchern entnahm ich, dass Zen etwas sehr Heroisches beinhalte und enorme Willenskraft, Furchtlosigkeit und Entschlossenheit erfordere. Auch sei es eine universale Religion oder Philosophie, die auf den „Tod des Egos“ abziele, dessen „Auflösung“ Erleuchtung bedeute.
Karlfried Graf Dürckheim entwarf ein ähnliches Bild von Zen. Ich ahnte nicht, wie verwurzelt er im nationalsozialistischen Gedankengut Deutschlands war (inklusive langer Mitgliedschaft in der NSDAP und SS) und welche Aspekte von Zen er aus dieser Perspektive heraus betonte.
„Aus dem Dojo kommt niemand lebend raus“, zitierte später ein Zen-Lehrer beim Zazen seinen Meister. In mir, die ich damals unter häufigen Panikattacken litt, stiegen Bilder auf, wie ich plötzlich aufstand, zum Fenster rannte, es aufriss und mich hinausstürzte. Schwarze Roben, das Klatschen, wenn der Kyosaku, der „Erweckungsstab“, auf die Schultern der Sitzenden traf, Brei, der in Windeseile aus Schalen gelöffelt wurde, Tee, den ich viel zu heiß herunterschlucken musste, um dann die Schalen auf die richtige Weise in Tücher zu verpacken, dazu im Befehlston erteilte Anweisungen. So lernte ich Zen kennen: als Drill, der seinen Sinn und seine Legitimation daher bezog, dass am Ende alle Mühe durch „Satori“, Erleuchtung, belohnt würde. Über meine Ängste zu sprechen, wagte ich nicht.
Damals verstand ich mich als linke Feministin, die patriarchale, hierarchische Strukturen ablehnte und bekämpfte. Aber nun fand ich mich in genau diesen Strukturen wieder, die jetzt im Zen-Gewand daherkamen. Doch ich entdeckte in meinem Inneren eine tiefe Resonanz auf die Samurai- und Bushido-Konzepte, auf Strenge und Rigorosität.
Zehn Jahre nach Kriegsende geboren, kam ich in meiner Erziehung noch immer mit den Prinzipien der schwarzen Pädagogik, der zufolge Kinder streng erzogen werden sollten, in Berührung. „Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen (Beine)“, „Stell dich nicht so an“, „Gesund ist, was hart macht“ – das alles waren gängige Sprüche. Auch geschlagen zu werden, gehörte zu meinem kindlichen Erfahrungsschatz.
Ähnlichen Vorstellungen begegnete ich im Zen. Es ging unter anderem um stundenlanges Sitzen, ohne sich zu bewegen; den Schmerz musste man aushalten und Kraft im Hara, im Bauch aufbauen. Männliche Tugenden, die in der westlichen Kultur, zumindest der alternativen, mittlerweile kritisch beäugt wurden, sollten im Zen noch recht lange, zum Teil bis heute überleben.
Wir Frauen, die einen Platz in diesem Gefüge suchten, hatten keine Vorbilder dafür, wie man als Frau Zen praktizierte, und wollten meist ähnlich hart wie die Männer sein. In den Koans und Zen-Anekdoten wurden Mönche (Frauen gab es darin keine, bis auf einige alte, die den Mönchen auf die Sprünge halfen.) angeschrien, geschlagen, körperlich verletzt. Oder sie trennten sich beispielsweise selbst den Arm ab, um ihre Ernsthaftigkeit zu beweisen –. Helden des Zen.
Etwas faszinierte mich allerdings daran, sonst wäre ich nicht geblieben. Da passte etwas zusammen. In meinem Alltag hatte ich mit Ängsten, mit Wut, Traurigkeit, Liebesleid, Problemen im Job zu tun. All das hatte keine Bedeutung mehr, wenn ich mich in Sesshins in der heroischen Welt des Zen bewegte und mit Koans arbeitete, in denen es um Leben und Tod, um die „wirklich existenziellen“ Themen, um die Realisierung der Leerheit ging, weit jenseits meines „Egosumpfes“.
Und wenn ich mich genügend anstrengte, mich der Disziplin unterwarf, wartete ja am Ende die Erleuchtung. Für dieses ferne Ziel war ich – wie viele andere – sehr bereit, mich dieser neuen, exotisch-fremden und doch merkwürdig bekannten Praxis hinzugeben. Immerhin bot sie, was ich damals so nicht sehen konnte: die Möglichkeit, den „Egosumpf“, all die quälenden Emotionen und geistigen Verwirrungen mit dem Gefühl zu umschiffen, als Zen-Praktizierende etwas Besonderes zu sein und zu tun. Dies wird heute „spiritual bypassing“ genannt, was so viel bedeutet wie „schmerzhaften Gefühlen ausweichen“.
Meine Erfahrungen mögen heute wie ein Echo aus grauer Vorzeit klingen. Dank rebellischer Anteile in mir hielt meine Begeisterung für diese Form von Zen auch nicht lange an. In der Auseinandersetzung und Reibung damit erkundete ich andere Wege. Aber meine eigenen Konditionierungen, die die strengen, rigorosen Formen der Zen-Praxis so attraktiv für mich machten, waren mir in ihrer Tragweite lange nicht bewusst. Bis ich auf Menschen traf, denen es ähnlich ging.
Alles ist bedingt und entsteht in wechselseitiger Abhängigkeit. Es ist ja nicht so, dass wir Westler ein durch die bis auf den Buddha zurückgehende Übertragungslinie der Patriarchen übermitteltes authentisches Zen wie einen Schwamm einfach nur aufgesogen hätten. Vielmehr sind wir diesem Zen als einem durch und durch bedingten Konstrukt, bedingt durch unsere individuelle, kulturelle und gesellschaftliche Prägung, begegnet.
Thich Nhat Hanh (1926–2022), der eine andere, viel weichere Form der Zen-Praxis lehrte, würde sagen: Zen ist leer von Zen-Elementen, es besteht nur aus Nicht-Zen-Elementen. Aus der Begegnung erwächst die Wahrnehmung, was Zen ist, das Hingezogensein zu bestimmten Ausformungen. Es ist gut, bei sich selbst genau hinzuschauen, sonst projiziert man leicht die eigenen Präferenzen auf die Praxis und essentialisiert sie vielleicht noch. Historisch gesehen, hat es ganz andere Vorstellungen und Praktiken von Zen gegeben. Und auch zu der Zeit, als ich mit der Praxis begann, gab es schon Varianten, aber sie waren eben nicht mein Einstiegstor.
Mittlerweile hat sich der Zeitgeist und damit auch die Erwartung an spirituelle Praxis sehr verändert. Menschen sehnen sich verstärkt nach „innerer Ruhe“, „weniger Stress“, „einem erfüllten Leben“. Im Hier und Jetzt sollen sich die Resultate der Praxis in diesem gewünschten Sinn unmittelbar zeigen, und das passt nicht mehr zu den militärisch anmutenden Formen der Zen-Praxis und ihren Versprechen von ferner Erleuchtung. Andere Aspekte und Praxisformen aus dem Spektrum des Zen rücken daher in den Vordergrund oder bilden sich neu heraus. Sie sind genauso wenig „wahres“ oder „authentisches“ Zen, denn auch sie sind bedingt.
Nicht zuletzt durch den wachsenden Anteil von Frauen im Zen, gerade als Lehrende, rücken mehr und mehr auch Qualitäten von Mitgefühl, Liebe und Fürsorge in den Fokus und erweitern das Spektrum von Zen. Leerheit ohne Mitgefühl zu realisieren, ist kalt; bei Mitgefühl ohne die Sicht der Leerheit besteht die Gefahr gefühliger Blindheit. Ein Verständnis, das beide Aspekte sowie entsprechende Formen der Praxis umfasst, passt zu dem, was ich mittlerweile als heilsame Praxis verstehe und worin ich mich übe.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"
Ursula Richard hat viele Jahre als Programmleiterin in einem Verlag mit Schwerpunkt Buddhismus gearbeitet, war Chefredakteurin von Buddhismus aktuell, ist Autorin, Übersetzerin und Verlegerin der edition steinrich. Seit Mitte der 1980er-Jahre praktiziert sie Zen und wurde 2020 von Vanja Palmers zur Zen-Priesterin ordiniert.
Bild header Illustration © Francesco Ciccolella
Bild Teaser © Pixabay