Die Lehre Buddhas wird meistens so dargestellt, als hätte der historische Buddha sie aus dem Nichts erschaffen. In Wirklichkeit baute die buddhistische Lehre auf den Ideen seiner Zeitgenossen auf, veränderte sie aber in einigen Punkten entscheidend.
Im Weltbild der Veden, der heiligen Schriften zur Zeit des Buddhas, hatte jeder Mensch einen Platz: Die Brahmanen galten als höchste Klasse, als Sprachrohr der Wahrheit.
Sie waren dafür zuständig, Rituale durchzuführen, mit denen die Götter veranlasst wurden, etwa für eine gute Ernte zu sorgen oder Krankheiten zu heilen. Dabei ging es um weltliche Ziele. Das dafür nötige Wissen über die präzise Durchführung der Rituale und Zauberformeln überlieferten sie nur mündlich innerhalb ihrer Familie und konnten so ihre Position sichern.
Auch Tieropfer waren an der Tagesordnung.
Die königliche Klasse hatte das Recht, Macht legitim auszuüben. Sie war für die Wohlfahrt ihrer Untertanen zuständig. „Vaisya“ wurden die Viehzüchter und die Menschen, die in der Landwirtschaft beschäftigt waren, genannt.
Handel wurde in den Veden noch nicht als separate Funktion gesehen. Die „Sudra“ waren die Diener der anderen Klassen, später wurden auch Handwerker in diese Gruppe eingeordnet. Alle anderen Menschen waren klassenlos.
Je höher die jeweilige Klasse, umso reiner waren die Menschen.
Aus Sicht der Veden handelte es sich bei dieser Einteilung um die objektive Ordnung des Universums.
Wenn Menschen ihren Aufgaben entsprechend handelten, dann handelten sie in Übereinstimmung mit der objektiven Ordnung der Dinge und hatten ein glückliches Leben. Der Wechsel von einer Klasse zur anderen war nicht vorgesehen.
Als innerster Kern, als Essenz jedes Menschen, wurde der „Ātman“ angesehen. Brahman wiederum galt als Essenz des Universums. Würde ein solches unveränderliches und unabhängiges Selbst, „Ātman“, sich seiner Identität mit Brahman bewusst, dann würde es in Brahman verschmelzen und nie wieder den Schmerz der Absonderung erfahren.
Wer diese Wahrheit nicht verstand, galt zur ständigen Wiedergeburt verdammt. Schlimmster Aspekt der Wiedergeburt war das erneute Sterben.
Das Leben und Denken im Klassensystem eröffnete aber keinen Weg zur Erlösung, der Verschmelzung mit Brahman, denn die Rituale der Brahmanen verfolgten weltliche Ziele. Als Grund für die Wiedergeburt wurde das Verlangen angesehen.
Wer erlöst werden wollte, gab deshalb alles auf und bemühte sich, sein Verlangen zu Ende zu bringen, zum Beispiel durch asketische Praktiken.
Für diese Art des Lebens gab es aber keinen Platz in der brahmanischen Ordnung. Weltentsager, „Sramanas“, sahen deshalb ein Leben außerhalb der Gesellschaft als Weg zur Erlösung an.
Sie verzichteten auf Unterkunft und gesellschaftliche Verpflichtungen, sie produzierten nichts und zeugten keine Kinder. Ihr einziges Ziel war religiöser Fortschritt.
Der Erwerb erlösenden Wissens wurde besonders betont.
Zur Zeit des Buddhas war die Institution der wandernden Weltentsager, die von Almosen lebten, für die sie im Austausch Belehrung gaben, bereits etabliert.
Der spätere Buddha wurde einer dieser Weltentsager.
Die Sramanas vertraten ganz unterschiedliche Lehren. Eine besondere Nähe zur Lehre des Buddhas hatten die Jains. Der Gründer des Jainismus, Mahavira, lebte teilweise in derselben Stadt wie der Buddha, in Rājagṛha, heute Rajgir. Die Lehre der Jains war, dass sich alle Wesen in einem ständigen Kreislauf von Wiedergeburten bewegten, der Himmel und Höllen sowie verschiedene Lebensformen auf der Erde einschloss.
In diesem Kreislauf gab es mehr Leid als Vergnügen, weshalb man da von befreit werden wollte.
Die Qualität der Wiedergeburt wurde durch die moralische Qualität der eigenen Handlungen bestimmt. Die Jains gingen davon aus, dass praktisch jede Aktivität in irgendeiner Weise schädlich sei und den Menschen an Samsara, den Kreislauf der Wiedergeburten, band.
Deswegen sollte man alle Aktivitäten einschränken, vom Essen bis zur Bewegung.
Aus ihrer Sicht gab es keinen Raum für verdienstvolle Handlungen. Nur Menschen, die alles aufgegeben hatten, konnten ein solch asketisches Leben führen – das idealerweise endete, indem man sich selbst zu Tode hungerte.
Nach eigener Aussage lebte auch der Buddha sechs Jahre lang als Asket.
Im Palikanon wird berichtet, dass er durch das ständige Hungern so dünn geworden war, dass er durch den Bauch hindurch seine Wirbelsäule spüren konnte. Aber letztlich erkannte er, dass diese Lebensweise nicht zur Erlösung, zum Erwachen führen würde.
Übertriebene Askese, so er kannte Buddha, war nutzlos. Sie beschäftigte sich mit Äußerlichkeiten, während alles Wichtige im eigenen Geist passierte.
Ein entscheidender Unterschied der Lehre Buddhas zu der der Jains war, dass er eine Art Symmetrie zwischen guten und schlechten Handlungen beziehungsweise deren Motivation einführte
Auch Anhänger des Buddhas, die nicht Mönch werden wollten, konnten durch gute Taten auf bessere Wiedergeburten hinwirken.
Diese Idee war den Jains zur damaligen Zeit fremd, hatte aber zur Folge, dass Laien und Mönche an Buddhas Lehre und ihrer Praxis teilhaben und von ihr profitieren konnten.
Den Lebensstil der Jains, Nacktheit und die Annahme von Essen in den Händen, lehnte Buddha ab und achtete darauf, dass seine Mönche nicht mit den Jains und anderen Asketen verwechselt wurden.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 130: „Stille"
Während die Jains ihrem Lehrer Abweichungen vom Verhaltenskodex beichten sollten, verfügte der Buddha, dass die Mönche eines Gebiets sich mindestens 14-täglich treffen sollten, um die Ordensregeln zu zitieren und Abweichungen davon zur beichten.
So sorgte er dafür, dass seine Mönche sich an die von ihm aufgestellten Regeln hielten.
Die Lehre des Buddhas war aber auch eine Antwort auf den Brahmanismus. Mit der „Anātman“ Lehre, Nicht-Ātman, widersprach der Buddha der Idee des Ātman, also der Idee eines unabänderlichen Wesenskerns, einer Essenz des Individuums und damit auch der Idee einer Essenz der Welt.
Den erlösenden Wert von Ritualen lehnte er ab. Insbesondere gegen das Opfern von Tieren kämpfte Buddha vehement an.
Buddhas große Innovation war, zu sagen, dass die moralische Qualität einer Handlung in der dahinter verborgenen Motivation liegt
Seine Aussage „Es ist Intention, die ich Kamma nenne“ war ein „linguistische[r] Taschenspielertrick“, so der Buddhologe Richard Gombrich, weil er damit die ursprüngliche Bedeutung von Kamma/Karma, Handlung, veränderte.
Auch den letztendlichen Wert sozialer Unterschiede lehnte Buddha ab. In seinem Sangha spielte die Herkunft der Individuen keine Rolle. Der Buddha lehnte auch die Autorität der Priesterschaft ab.
Aus seiner Sicht hatte nur der religiöse Status Bedeutung, der durch persönliche Anstrengung erreicht wurde. Der wahre Brahmane sei ein Mensch mit Werten wie Freundlichkeit und Ehrlichkeit, der wahre Kastenlose ein Mensch mit den entsprechenden Lastern.
Während den Brahmanen Sanskrit eine heilige Sprache war, wies der Buddha seine Mönche an, die Lehre in der jeweiligen lokalen Sprache zu erklären.
Kein Wunder, dass in den Sutren von so vielen Diskussionen des Buddhas mit den Brahmanen berichtet wird, die versuchten, ihre Position beizubehalten und ihn zu diskreditieren.
Obwohl in Buddhas Sangha die gesellschaftlichen Klassen keine Rolle spielten, vermied der Buddha, die gesellschaftliche Ordnung infrage zu stellen. Soldaten durften etwa nicht Mitglied der Mönchsgemeinde werden, denn das hätte seine Beziehung zu den Machthabern der damaligen Zeit gefährdet.
Sie mussten erst aus der jeweiligen Armee austreten, bevor sie Mönch werden konnten.
Der Buddha traf auf eine sich verändernde Gesellschaft, die für seine Lehre empfänglich war. Durch landwirtschaftlichen Überschuss waren Handel und die Errichtung von Städten möglich geworden. Zum ersten Mal wurde Geld benutzt. Der organisierte Handel führte zum Kontakt mit Gesellschaften anderer Kulturen.
Die Menschen sahen, dass vieles, was sie vorher als selbstverständlich angesehen hatten, in anderen Kulturen anders gehandhabt wurde.
Außerdem entstanden – typischerweise in Städten – zwei neue wichtige Berufe: Staatsbedienstete und Händler.
Der vielfältige kulturelle Umbruch dieser Zeit führte dazu, dass Städte zu Zentren intellektueller Debatte wurden und den Weltentsagern Unterstützung boten. Die Brahmanen der damaligen Zeit waren Städten gegenüber eher feindlich gesinnt und einige verboten die Rezitation der Veden in den Städten.
Vermutlich fand die Lehre Buddhas deshalb vor allem bei Stadtmenschen und den neuen sozialen Klassen Anklang.
Seine Botschaft war, dass man sein Schicksal in die eigene Hand nehmen konnte.
Das war sicherlich für Menschen attraktiv, die es zum Beispiel als Händler gewohnt waren, eigenverantwortlich und unabhängig von Traditionen zu handeln.
Es kann gut sein, dass die Menschen für die Botschaft des Leidens auch deshalb besonders empfänglich waren, weil das Vordringen in wärmere und feuchtere Gebiete einen höheren landwirtschaftlichen Output mit sich brachte, während das Leben in Städten das Auftreten von Krankheiten und die Sterblichkeit erhöhte.
Der Buddha stand damit in einem gewissen politischen Spannungsfeld: Könige wollten Rat von ihm, er sollte aber gleichzeitig ihre Macht nicht gefährden.
Die Brahmanen waren, soweit sie nicht seine Lehre übernahmen, natürliche Gegner, und andere wandernde Asketen vertraten ganz andere Lehren. Die Jains betrachteten ihn als verweichlicht, die Laien wollten ihr angenehmes Leben behalten, aber trotzdem auf dem Weg zur Erlösung weiterkommen.
Und auch in der Sangha des Buddhas gab es immer wieder Abspaltungsbestrebungen und Diskussionen, denen der Buddha sich stellen musste.
All dies gilt es zu beachten, wenn man die Lehre Buddhas verstehen will.
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