Der britische Intellektuelle Aldous Huxley ist bestbekannt für seinen utopischen Roman ‚Schöne neue Welt'. Er beschäftigte sich jedoch nicht weniger intensiv mit bewusstseinserweiternden Substanzen und fernöstlicher Spiritualität.
„Aldous Huxley: ein gebeugter, turmhoch aufragender, grauer Buddha. Ein weiser und gütiger Mensch. Ein Kopf wie eine mehrsprachige Enzyklopädie. Eine elegante, leicht glucksende Stimme, die gelegentlich in kurz aufwallender amüsierter Empörung − wegen der Überbevölkerung oder der Wichtigtuerei der Psychiater − in die Höhe ging." So erinnerte sich der Harvard-Dozent und LSD-Guru Timothy Leary an jenen Schriftsteller und Philosophen, der mit ‚Schöne neue Welt' (‚Brave New World') einen Klassiker der Weltliteratur schuf.
Mit der ‚Schönen neuen Welt' führt uns Aldous Huxley (1894-1963) eine totalitäre Wohlstandsgesellschaft vor Augen, in der Unruhe, Elend und Krankheit überwunden, in der aber auch Individualität, Humanität und Kultur auf der Strecke geblieben sind. Nur ein rebellischer Außenseiter kann hier noch auf die Idee kommen zu fordern: „Ich brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde!" Huxley avancierte mit dieser negativen Utopie Anfang der 1930er Jahre zum Propheten. In seinem Essayband ‚Schöne neue Welt. Dreißig Jahre danach' (‚Brave New World Revisited') maß er knapp drei Jahrzehnte später seine Anti-Utopie an der inzwischen veränderten Welt: „Damals verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, dass uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt; das heißt, wenn wir in der Zwischenzeit davon absehen, einander zu Staub zu zersprengen."
"Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde!"
Die Bedeutung gesellschaftlicher Normen sowie der Ge- und Missbrauch wissenschaftlicher Errungenschaften waren zentrale Motive im Denken Huxleys. Unter dem Einfluss des Buddhismus, des Hinduismus und der politischen Ereignisse in Europa entwickelte er sich vom düsteren Propheten zum engagierten Reformator, der die Welt auf die Existenz einer universalen mystischen Religiosität aufmerksam machen wollte. In ‚Die ewige Philosophie' (‚The Perennial Philosophy') bemühte sich Huxley um eine Anthologie dessen, was den höchsten gemeinsamen Nenner in den Weltreligionen ausmacht. Er beschrieb in dem 1945 publizierten Band die Mystik als Weg der Erfüllung eines universalen Bedürfnisses der Seele und erklärte die unmittelbar-intuitive Erfahrung des Göttlichen zum vornehmsten Ziel menschlichen Strebens. Der ideale Mensch war für Huxley jener, der an nichts mehr anhaftet und dem eine Überwindung alles Trennenden inklusive seiner Ego-Individualität gelungen ist. Eine Zielsetzung also ganz im Sinne des Buddhismus.
Die Bewusstseinserweiterung durch Drogen war ein weiteres zentrales Thema, das bereits in der 1932 erschienenen ‚Schönen neuen Welt' auftaucht. Der Konsum von ‚Soma' ist dort fester Bestandteil des Alltags. Seit der Publikation der ‚Pforten der Wahrnehmung' (‚The Doors of Perception') 1954 gilt Huxley als (Mit-)Initiator der psychedelischen Bewegung. Vom Dichter William Blake stammt eines der Lieblingszitate Huxleys, welches sich als titelgebend für diesen Essay über psychedelische Erfahrungen mit dem Rauschmittel Meskalin erweisen sollte: „Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich." Es erklärt zudem, weshalb Huxley sich so intensiv mit bewusstseinserweiternden Substanzen wie Meskalin oder LSD beschäftigt hat. Sein Bruder Julian erinnert sich: „Aldous selbst öffnete immer Pforten − Pforten, die nicht nur er, sondern wir alle durchschreiten könnten, um zu neuartigen Erfahrungen, neuen Denkweisen, neuen Lebensmöglichkeiten zu kommen."
Huxleys literarisches Testament ‚Eiland' (‚Island') erschien 1962. Wieder ein utopischer Roman, doch im Gegensatz zur ‚Schönenneuen Welt' wird darin eine zutiefst freiheitsliebende Gesellschaft porträtiert. In dieser Vision eines idyllischen Inselstaates finden westliche Wissenschaft und östliche Spiritualität ihre ideale Verbindung, sodass Individuum und Kollektiv, Körper und Geist, Endlichkeit und Transzendenz keine sich gegenseitig mehr ausschließenden Widersprüche sind. Zu besonderen Anlässen wird die ‚Moksha'-Droge zwecks Erlangung reinigender Visionen konsumiert. Drei buddhistische Regeln beherrschen das Leben dieser glücklichen Insulaner: ‚Die Rechte Achtsamkeit' als Teil des ‚Edlen achtfachen Pfades' Buddhas, verstanden als klare, begierdefreie Besonnenheit beim Denken, Reden und Handeln. Weiters der Primat des Hier und Jetzt, was impliziert, sich von der Vergangenheit und der Zukunft mit den damit verbundenen Gewohnheiten, Vorurteilen und Ängsten zu verabschieden. Und schließlich ‚Karuna', das Mitleiden auf Basis einer Identifikation mit allen Lebewesen.
"Würden die Pforten der Warnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich."
Die Beschreibung des Sterbeprozesses einer Inselbewohnerin, deren Akzeptieren des Todes, ihr Mann als psychologischer Reiseführer sowie der Konsum von ‚Moksha', erinnert stark an Huxleys eigenes Ableben. Wenige Stunden vor seinem Tod bat er seine Frau Laura um eine Dosis von 100 Mikrogramm LSD. Zudem sollte sie ihm aus dem ‚Tibetischen Totenbuch' vorlesen, während er voll des Friedens in einen anderen Seinszustand überglitt. Huxley verwirklichte damit eine zentrale Idee des tibetischen Buddhismus, nämlich dass die rechte Art zu sterben einen wesentlichen Bestandteil der Kunst des Lebens ausmacht.
"Leseprobe aus Aldous Huxleys ‚Schöne neue Welt':
»Zweitausend Pharmakologen und Biochemiker erhielten einhundertachtundsiebzig nach Ford Forschungsmittel aus öffentlichen Geldern.« (...) »Sechs Jahre später wurde das ideale Rauschmittel bereits fabrikmäßig hergestellt.« (...) »Euphorisierend, narkotisierend, angenehme Halluzinationen weckend.« (...) »Alle Vorzüge des Christentums und des Alkohols, ohne deren Nachteile.« (...) »Urlaub von der Wirklichkeit nehmen, wann immer man will, und dann wieder in den Alltag zurückkehren, weder von Kopfschmerzen noch von Mythologie geplagt.« (...) »Die Stabilität war damit völlig gesichert.« (...) »Nun mußte man nur noch dem Altern beikommen.« (...) »Sämtliche physiologischen Symptome des Greisenalters sind beseitigt. Und zugleich mit ihnen natürlich auch −« (...) »− alle psychischen Eigenheiten alter Menschen. Heutzutage bleibt der Charakter während des ganzen Lebens unverändert.« (...) »Ob bei der Arbeit oder beim Spiel − unsere Kräfte und Gelüste sind mit sechzig dieselben wie mit siebzehn. In der schlechten alten Zeit resignierten die bejahrten Leute, zogen sich von der Welt zurück, warfen sich der Religion in die Arme und vertrieben sich die Zeit mit Lesen und Nachdenken. Stellen Sie sich das vor: mit Nachdenken!« (...) »Heutzutage − sehen Sie, das ist wahrer Fortschritt! − arbeiten die alten Leute, erfreuen sich ihrer sexuellen Triebe, sind immer beschäftigt, das Vergnügen läßt ihnen keine Muße, keinen freien Augenblick, um sich hinzusetzen und nachzudenken. Und selbst wenn sich durch einen unglückseligen Zufall ein Loch in der ununterbrochenen Folge ihres Zeitvertreibs auftut, ist immer Soma zur Hand, das köstliche Soma! Ein halbes Gramm genügt für einen freien Nachmittag, ein Gramm fürs Wochenende, zwei Gramm für einen Ausflug in die Pracht des Orients, drei Gramm für eine dunkle Ewigkeit auf dem Mond. Und wenn sie zurückkehren, sind sie bereits über den Abgrund hinweg, stehen auf dem sicheren Boden täglicher Arbeit und Unterhaltung, eilen von einem Fühlkino ins andere, von einem pneumatischen Mädchen zum nächsten, von elektromagnetischem Golf zu −« (...)
(Huxley 1998, S. 66-68) "
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