Gastronom und Yoga-Lehrer Michi Kern wird auch als ‚König des Münchner Nachtlebens' bezeichnet. Der 44-Jährige offeriert mit zwei Kollegen in seinem Restaurant ‚Roeckl' nebst fantastischer Bio-Küche sozial benachteiligten Jugendlichen eine Lehrstelle. Der deutsche Jamie Oliver über sein Leben, seine Arbeit und warum Reiche mehr Steuern zahlen müssen.
Warum setzen Sie sich für Jugendliche mit schwierigem sozialen Hintergrund ein?
Meine Partnerin Sandra Forster und ich sind beide in heilpädagogischen Einrichtungen aufgewachsen. Sie in einer Wohngruppe der heilpädagogischen und psychotherapeutischen Kinder- und Jugendhilfe, kurz Hpkj genannt, und ich in einem evangelischen Kinderheim. Wir beide wurden dort sehr gefördert, allein hätten wir unsere Lebenswege in der Form nie gehen können. Ich hatte sehr viel Glück und ich wusste schon immer, dass ich etwas zurückgeben wollte. So entschloss ich mich, in diesem Bereich tätig zu werden. Aufgrund meiner eigenen Geschichte weiß ich vielleicht besser, wo ich bei diesen jungen Menschen ansetzen kann, was sie brauchen und wie sie ticken.
Wieso wurden Sie als Kind in einer öffentlichen Einrichtung untergebracht?
Meine Mutter war alleinerziehend und berufstätig. Da ihr die nötige Zeit für meine Förderung fehlte und sie das schrecklich fand, bin ich in eine betreute Wohngruppe gegangen. Die Einrichtung habe ich damals mehr als eine Art Internat empfunden und nicht als Abschiebung. Es war für uns beide ein Ausweg – eine gute Alternative. Man glaubt es mir oft nicht, aber ich habe und hatte schon immer eine sehr enge Bindung und ein wahnsinnig gutes Verhältnis zu meiner Mutter.
Sie sind also mit familiärer Bindung aufgewachsen?
Auf jeden Fall. Ich hatte eine glückliche Kindheit, eine Mutter, die ich sehr liebe, zu der ich eine sehr enge Bindung pflege und von der ich mich – und die sich – erst einmal mit der gleichen Intensität lösen musste.
Wie schaffen Sie es neben Ihren vielen Tätigkeiten auch noch, ein Ausbildungsrestaurant für Jugendliche zu führen?
Es geht durch absolut gezielte Förderung. In den Einrichtungen wie der ‚Inneren Mission' wurde für mich schulisch und erzieherisch sehr viel getan – mehr als zu Hause in einer Alleinerziehersituation hätte stattfinden können. Ich bin überzeugt, dass ich viel von meinem Erfolg der ‚Inneren Mission' zu verdanken habe. Die Hpkj hat uns dann angesprochen und gefragt, ob ich ihnen bei der Suche und Schaffung von Ausbildungsplätzen für ihre Schützlinge behilflich sein könnte und ob wir nicht gemeinsam ein Projekt im Bereich der Gastronomie ins Leben rufen wollten. Ich war von Anfang an von dieser Idee angetan und sagte zu. Der Verein HPKJ ist Träger der Gaststätte und wir sind an der GmbH beteiligt, die jedoch ein Non-Profit-Unternehmen ist – also rein gemeinnützig. Dieses Projekt hat dann so eine Dynamik bekommen und auch sehr viel Unterstützung durch die Presse, den Freundes- und Bekanntenkreis sowie die Nachbarschaft erhalten, dass es einfach gefeuert hat und wir dieses tolle Projekt nun schon lange machen können.
Was lernen die Jugendlichen in Ihrer Ausbildungsstätte?
Der Ausbildungsberuf zum Koch ist jedenfalls ein Teil und diese Fachausbildung verleiht den Jugendlichen sehr große Sicherheit. Eine Ausbildung bedeutet Lebensperspektive und dient als Chance. Es gibt Jugendliche, die sich Dutzende Male beworben oder oft die Lehrstelle gewechselt haben. Diese Jugendlichen haben oft keine Chance mehr auf dem ‚normalen' Arbeitsmarkt. Niemand traut ihnen mehr etwas zu, niemand glaubt mehr an sie – nicht einmal mehr sie selbst. Was wir darüber hinaus unseren Schützlingen anbieten, ist ein dynamisches, junges Ambiente zum Lernen. Meine Partnerin und ich, wir sind relativ jung und nicht so eingefahren und steif wie andere Chefs. Unsere Auszubildenden haben anerkannt, dass sie gerade wegen ihrer persönlichen Geschichte aufgenommen und nicht gleich wie von vielen anderen vorverurteilt wurden. Sie vertrauen uns und glauben daran, dass selbst Schwierigkeiten und Probleme mit uns zu meistern sind und sie nicht gleich das Handtuch werfen müssen. Es werden sozusagen Vorschusslorbeeren auf beiden Seiten gegeben. Unser Lokal in München wird unter den Jugendlichen als ‚cool' erachtet und auch wir Chefs werden als ‚cool' angesehen. Ich glaube, dass genau dieses Image den Jugendlichen als Ansporn und Motivation dazu dient, aus dem eigenen Leben etwas zu machen. Zusätzlich werden unsere Jugendlichen auch von Sozialarbeitern heilpädagogisch begleitet. Durch die gemeinsamen Yoga-Stunden wachsen wir zusammen und sie lernen von uns nach und nach, auf ihren Körper zu hören, erfahren, was in ihm vorgeht.
Das heißt, Sie haben so eine Art Vorbildfunktion?
Ja, das taucht jedenfalls im Hintergrund auf. Wir fungieren als eine Art Orientierungspersonen. Das Wichtigste ist aber, dass das Arbeiten, Ausbilden und auch Lernen allen Beteiligten viel Spaß macht.
Zusätzlich zu Ihrem Ausbildungsprogramm für Jugendliche vertreten Sie auch noch die Ansicht, dass reiche Menschen mehr Steuern zahlen können.
Wir arbeiten in München seit 20 Jahren selbstständig in den Bereichen Gastronomie und hochwertige Gastronomie und haben in diesem Kontext natürlich mit sehr vielen wohlhabenden Menschen zu tun. Auch ich selbst habe über die Jahre immer mehr Geld zur Verfügung – obwohl ich mich nicht als reich bezeichnen würde. Nichtsdestotrotz war ich immer jemand, der auch gesehen hat, wo die Probleme der Menschen mit wenig Geld liegen. Und ich hatte immer Spaß daran, mein Geld ein wenig zu teilen und mich für benachteiligte Menschen zu engagieren. Das hat mich interessiert, man lernt durch dieses Engagement sehr interessante Menschen kennen und man bekommt viel mehr zurück, als man gibt – und zwar in Form von Erlebnissen, Begegnungen und Eindrücken, die das eigene Leben und Weltbild bereichern. Platt gesagt bin ich der Meinung, dass es ohne Teilen in Zukunft nicht mehr gehen wird. Das ging in der Vergangenheit schon nicht gut und wird in Zukunft noch weniger gut gehen. Es geht bei mir nicht nur darum, wie viel mehr Steuern ich zahlen oder wie viel Geld ich spenden kann, sondern auch darum, was ich persönlich als Mensch in der Welt, in meiner Umgebung beitragen kann – in Form von Engagement oder Zeit.
Wie würden Sie Ihre Ethik beschreiben?
Teilen und eine Art von Aufmerksamkeit oder Interesse an anderen Menschen und deren Lebenssituationen. Aus diesem Interesse kommt fast automatisch das Engagement. Die Ethik ist Entwicklung von Aufmerksamkeit und Behutsamkeit.
Resultiert diese Aufmerksamkeit aus Ihrer Yoga-Spiritualität?
Absolut. Es ist ja ein wichtiger Bestandteil der Yoga-Philosophie, ein Verhältnis zu seiner Umwelt und seinen Mitgeschöpfen zu finden, das auf gegenseitigem Respekt beruht und überhaupt erst ermöglicht, dass alle frei und glücklich sind – so heißt es ja bereits in den Yoga-Mantren. Diesen Gedanken versuchen wir, in unseren Yoga-Studios an die Schüler weiterzugeben und natürlich auch selbst im Alltag zu leben. Meine eigene Yoga-Praxis hat mit dem Mantra begonnen: „Mögen alle Wesen frei und glücklich sein." Das hat mich so sehr von der ersten Minute an berührt, dass ich seit zwölf Jahren regelmäßig dieser Praxis nachgehe.
Woran glauben Sie?
An echte Mitmenschlichkeit im Sinne von Mitgefühl – im buddhistischen Sinne. Das Yoga-System und seine Philosophie haben ja durchaus entsprechende Berührungspunkte.
Wie schaffen Sie es bei diesen vielen Tätigkeiten, nicht in ein Burnout zu schlittern?
Ich denke, dass es vor allem durch die Yoga-Praxis und meine vegane Ernährung möglich ist. Ich unterrichte fast jeden Tag und übe auch jeden Tag. Allerdings stehe ich auch sehr früh auf und gehe spät ins Bett. Ich habe tatsächlich keine Familie, mit Familie wäre das sicher anders, und ich habe auch keinen Fernsehapparat.
Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Ich persönlich brauche nicht viel. Ich habe kein Auto und kleide mich einfach, ich habe keine großen persönlichen Ausgaben – nur für Reisen gebe ich viel aus und die Investitionen in meine Firmen sind groß. Ich persönlich lebe nicht aufwendig. Seit meiner regelmäßigen Yoga-Praxis verspüre ich nicht mehr so starke materielle Bedürfnisse.