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Diskurs

Damit der Staat seine Vorhaben finanzieren kann, braucht er mehr Geld. Die Idee, deshalb eine Reichensteuer einzuführen, stößt teilweise auf Widerstand. Eine buddhistisch-ethische Sichtweise auf das Thema Reichensteuer.

Die jüngst aufgeflammte Diskussion über eine Steuer für Reiche und mehr Gerechtigkeit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen ist mehr als verständlich. Wenn wir in die USA blicken – immer noch so etwas wie ein Vorreiter für viele Entwicklungen –, dann wird das offensichtlich. Im Jahre 1965 verdiente ein US-Vorstandsvorsitzender das 24-Fache des Durchschnittslohnes eines US-Arbeiters. 2010 hat sich dieser Wert auf das 325-Fache erhöht. Die traditionelle Volkswirtschaftslehre behauptet, Löhne und Gehälter würden durch die Leistung bestimmt. Es gibt aber kein Argument dafür, weshalb sich die Leistungen der Vorstände von Banken und Unternehmen gegenüber denen der Arbeiter vierzehn Mal stärker erhöht haben sollten. Ganz im Gegenteil. Die höchsten Gehälter werden im Banksektor bezahlt. Die Finanzindustrie hat aber für jeden dort verdienten Euro durch die Finanzkrise einen vielfachen volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet: Nach der Krise von 2008 erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen weltweit um rund 30 Millionen. Im Gegenzug wurde das Banksystem aus Steuermitteln sogar noch subventioniert (‚Bailouts'). Der am häufigsten gemachte Vorschlag, diese Situation zu verändern, zielt auf eine neue Steuer ab. Diesen Vorschlag möchte ich nachfolgend genauer prüfen. Um diese Frage besser beurteilen zu können, zunächst ein paar Überlegungen zur Besteuerung überhaupt und die dabei verwendeten Argumente. Meine Schlussfolgerung wird dann über die Frage der Besteuerung hinaus den Blick auf das lenken, was in dieser Diskussion häufig ausgeblendet wird. Hierbei wird sich die Erinnerung an buddhistische Prinzipien als hilfreich erweisen.Reichensteuer

Staaten schreiben sich eine Reihe von Aufgaben zu, die sie finanzieren wollen. Dazu erheben sie Steuern. Die traditionelle Finanzwissenschaft hat eine Fülle von Kriterien entwickelt, wie ein Steuersystem auszugestalten ist. Hierbei spielt die Idee der Gerechtigkeit (‚Leistungsfähigkeitsprinzip') eine zentrale Rolle. In den meisten Systemen zur Besteuerung von Einkommen wurde dies zunächst auch als Steuerprogression verwirklicht: Hohe Einkommen werden mit hohen, niedrige Einkommen mit niedrigen Steuersätzen oder gar keiner Steuer belegt. In den ersten drei Nachkriegsjahrzehnten herrschte darüber weitgehend Einigkeit und die Steuersätze für hohe Einkommen erreichten sehr hohe Werte.

Ein zweiter Aspekt muss an dieser Stelle noch erwähnt werden. Steuern beeinflussen direkt das Volkseinkommen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes schlug vor, diese Wirkung zur Konjunktursteuerung zu nutzen: In einer Rezession sollen Steuern gesenkt, in einer Boomphase wieder erhöht werden, um die vorübergehend durch Kredite geschlossene Finanzierungslücke auszugleichen. Leider haben sich die Staaten nicht an diese Regel gehalten. Man interpretierte diese Theorie so, dass das Schuldenmachen nun ‚wissenschaftlich' erlaubt sei. Die Aufforderung, die Staatsschuld in guten Zeiten wieder abzubauen, blieb in den Wahlkämpfen durch begleitende Steuergeschenke ungehört.

Die dadurch entstandene Situation begünstigte den weltweiten Sieg des Neoliberalismus, der fortan den Staat als Moloch verteufelte, radikale Steuersenkungen für Reiche durchsetzte und die Idee der Konjunktursteuerung sowie der Steuerpolitik zur Herstellung von mehr Gerechtigkeit ablehnte. Das Argument neoliberaler Ökonomen war: Steuern behindern die unternehmerische Innovationskraft. Letztlich würden alle davon profitieren, wenn man den Reichen Steuergeschenke macht, denn sie befördern angeblich – so diese Theorie – das Wachstum, an dem schließlich auch Ärmere teilhaben sollten. Bekannt wurde dieser Gedanke als ‚Trickle-Down-Theorie' (der Reichtum fließt tröpfelnd von oben nach unten). Das Gegenteil ist eingetroffen. Die Steuersenkungen führten zu einer atemberaubenden globalen und nationalen Ungleichverteilung. Nur ein Beispiel: Vom gesamten finanziellen Vermögen besaßen 2007 in den USA die unteren 80% nur 7%, während das obere eine Prozent der Reichen 43% hält. Es sind solche Zahlen, die den Gedanken, durch eine stärkere Besteuerung der großen Vermögen oder Einkommen mehr Gerechtigkeit zu verwirklichen, durchaus plausibel erscheinen lassen.

Eine zweite Idee spielt in der aktuellen Diskussion eine Rolle. Steuern haben Einfluss auf die Investitionstätigkeit, nachgerade im Finanzsektor. Aus diesem Grund entwickelte Anfang der 1970er Jahre James Tobin, ein US-amerikanischer Ökonom und Nobelpreisträger, die Idee einer Besteuerung von Finanztransaktionen – also aller Umsätze auf den verschiedenen Finanzplätzen (Devisenhandel, Wertpapierhandel und so weiter). Die Idee ist eine doppelte: Einmal soll dadurch ‚Sand ins Getriebe' gestreut und die Spekulation, die Tobin als Gefahr erkannte, gedämpft werden. Zum anderen kann man die so erzielten Steuereinnahmen für Armutsprogramme verwenden. Tatsächlich hat diese Idee inzwischen nach den Erfahrungen der Finanzkrise die Politik erreicht, wenigstens in Kontinentaleuropa. Der Steuersatz soll pro Transaktion – zum Beispiel beim Kauf einer ausländischen Währung oder einer Aktie – sehr niedrig sein. Wer im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit kauft oder verkauft, würde dadurch nur wenig belastet. Für Spekulanten, die im Sekundentakt handeln, ergäbe sich aber durch die Wiederholung solcher Transaktionen ein hoher Steuersatz, damit eine Dämpfung der Spekulation und im Gegenzug eine Stabilisierung der Märkte.

Gegen diese Tobin-Tax werden – meist aus Bankerkreisen – zwei Einwände vorgetragen: einmal das Argument, diese Steuer würde nur an die Kunden weitergegeben; zum anderen die These, dies würde Kapital ins Ausland vertreiben, das solch eine Steuer nicht erhebt. Diese beiden Einwände sind leicht zu entkräften. Auch die Mehrwertsteuer belastet alle Käufer bei jedem Kauf von Produkten. Weshalb sollten deshalb ausgerechnet die spekulativ orientierten Käufer von Finanzprodukten keine ‚Mehrwertsteuer' (= Transaktionssteuer) bezahlen? Dass Kapital ins Ausland ausweichen würde – aus Kontinentaleuropa etwa in Londons Finanzzentrum, die ‚City' –, ist durchaus möglich. Doch gerade die Finanzindustrie in der Londoner City (oder der Wall Street) hat durch spekulative Geschäfte einen negativen Beitrag zur Gesamtwirtschaft geleistet. Auf diesen ‚Beitrag' kann man gut und gerne verzichten. Der Finanzsektor schafft nur fiktive Werte. Um nach wie vor an der Realwirtschaft teilhaben zu können, müssen auch spekulative Anleger weiter in Ländern investieren, die solch eine Finanztransaktionssteuer erheben. Es gibt also für diese Tobin-Tax viele gute Gründe. Gerade der vehemente Widerstand durch die Lobby der Finanzindustrie in London oder New York verrät, dass hier ein durchaus wirksamer Vorschlag gemacht wurde.

John Maynard KeynesGleichwohl beruht die Idee einer ‚Steuer für Reiche' – sowohl als Einkommens-, Vermögens- wie als Transaktionssteuer – auf ungeklärten Voraussetzungen. Der erste Punkt ist folgender: Steuern sollen Staatsaufgaben finanzieren. Es gibt aber keinen Grund, die Höhe und Art der Staatsausgaben einfach unhinterfragt zu akzeptieren. Im Gegenteil. Als Beispiel nochmals ein Blick in die USA: Dieses Land hat die höchsten Rüstungsausgaben der Welt (707 Billionen US-Dollar in 2010; 43% der Militärausgaben weltweit). Von den Steuereinnahmen fließen 39% allein in den Militärhaushalt. Zum Vergleich: Zur Armutsbekämpfung werden nur 17%, für Gesundheit 20% ausgegeben. In anderen Ländern sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch. Doch es bleibt die einfache Tatsache bestehen: Steuern finanzieren oft Staatsziele, die von der Mehrheit der Menschen abgelehnt werden. Diese Ziele werden nicht dadurch ‚besser', dass man zu ihrer Finanzierung verstärkt Reiche heranzieht – die, nebenbei bemerkt, vielfach durch Rüstung und Kriege reich werden.

Bevor man also nach einer Umverteilung des Reichtums ruft, sollte man zuerst die Frage stellen, woher der Reichtum stammt, den man besteuern möchte. Dabei spielt das, was Dwight D. Eisenhower als ‚militärisch-industriellen Komplex' bezeichnet hat, eine zentrale Rolle. Auch in Europa – nicht zuletzt in Deutschland – verdienen viele Firmen durch Rüstungsexporte und deren Finanzierung. Aber nicht nur bei Rüstungsgütern werden hohe Einkommen erzielt, auch durch andere zweifelhafte Praktiken: durch die Ausbeutung von Menschen und Tieren, durch direkten Betrug (nicht nur im Finanzsektor), durch die Erzeugung überflüssiger Güter, die zudem die geistige und körperliche Gesundheit gefährden, und Ähnliches. Die Quellen des Reichtums sind also vielfach sehr fragwürdig. Wenn man die auf diese Weise erzielten Einkommen nur besteuert, so akzeptiert man faktisch die Methoden, durch die diese Einkommen erzielt wurden. Ein markantes Beispiel: Einer im Januar 2012 veröffentlichten Meldung von Reuters zufolge setzt die Mafia in Italien 140 Milliarden Euro um und macht dabei 100 Milliarden Euro Gewinn – Geld, das ‚gewaschen' im legalen Sektor der Wirtschaft wieder auftaucht. Wenn man nun diesen Gewinn zur Umverteilung besteuern würde, so machte man sich faktisch zum Mittäter dunkler Geschäfte. Es käme darauf an, die Quelle solcher Einkommen auszutrocknen, nicht, sie zu besteuern. Und das gilt nicht nur für die Mafia, sondern für viele ‚seriöse' Geschäftsmodelle. Vor allem beim vielfachen Betrug, ja sogar Diebstahl im Finanzsektor müsste die Einkommensquelle selbst unterbunden, nicht nachträglich besteuert werden.

Ein zweiter Punkt: Buddhisten rücken die Motivation in den Vordergrund aller Überlegungen – auch bei sozialen Reformen. Wenn man durch Steuern das Verhalten von außen lenken will, so unterstellt man, dass die Reaktionsweise selbst unveränderlich sei. Die Ökonomen sprechen von Anreizen für den homo oeconomicus. Man könne die Menschen nur durch Anreize dazu bringen, bestimmte Ziele zu verfolgen, gerade so, als wären sie Laborratten. Menschen haben aber Motive, sind bewusste und zur Einsicht fähige Wesen. Motive sind weder Ursachen noch Anreize. Als Bürger ist jeder Mitwirkender und letztlich mitverantwortlich für die Politik. Wer auf Anreize setzt, der stellt sich über die Mitmenschen, die er steuern will. Wenn Gerechtigkeit das eigentliche Ziel ist, welches im buddhistischen Verständnis aus dem Mitgefühl erwächst, dann wäre zu überlegen, wie dieses Ziel direkt erreicht werden kann. Und der direkte Weg ist eine Veränderung der Motivation durch Erziehung, Übung, Meditation und Dialog.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 79: „Heilender Sex"

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 Umgekehrt gilt aber auch: Quelle aller ökonomischen Fehlentwicklungen ist eine egoistische Motivation, die sich in der Geldgier, also der Gier, immer noch reicher zu werden, entfaltet. Sie ist dabei

durchaus ‚kreativ' und schreckt auch vor moralisch verwerflichen Handlungen nicht zurück. Solange diese Quelle unangetastet bleibt, wird es gravierende Ungleichheit und Armut geben. Und es wird sehr Reiche geben, die ihre ökonomische Macht nutzen, allerlei PR-Aktionen zu starten, um die eigene Geldgier zu verschleiern und Arme mit der Hoffnung auf Trickle-Down-Effekte abzuspeisen.

Ich hege ein wenig die Befürchtung, dass die Diskussion um eine Steuer für Reiche in dieser PR-Strategie einkalkuliert wird. Marx sagte einmal: „Die Steuerreform ist das Steckenpferd aller radikalen Bourgeois, das spezifische Element aller bürgerlich-ökonomischen Reformen." Darin liegt ein wahrer Kern: Die ‚beste' Politik für die Interessen der Geldherrschaft und ungehemmter Geldgier sind Steuersenkungen für hohe Einkommen. Wenn sich das aber in Krisen politisch nicht mehr durchsetzen lässt, dann akzeptiert man auch mal zähneknirschend höhere Steuern – solange die Quellen des eigenen Reichtums nicht angetastet werden und die vielen dubiosen Geschäfte weiter legal und unreguliert bleiben. Die darin offenkundige, irregeleitete Motivation der Geldgier gilt es zu verändern. Eine Finanztransaktionssteuer oder eine Rückkehr zur stärkeren Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen wäre ein erster Schritt, einen Bewusstseinswandel – nicht zuletzt bei den Reichen – einzuleiten. Weitere Schritte, die die Quellen des Reichtums hinterfragen, müssten folgen.

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen, u.a. ‚Buddhistische Wirtschaftsethik‘ (2. Auflage, 2011); ‚Die Herrschaft des Geldes‘ (2. Auflage, 2012); ‚Säkulare Ethik‘ (2015).

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Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen,...
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