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Leben

Die Sterbebegleiterin und Meditationslehrerin Kirsten DeLeo arbeitet mit Menschen, die sich am Lebensende befinden. Sie spricht über Trauer, aber auch darüber, wie die Auseinandersetzung mit dem Tod hilft, das Leben bewusster zu gestalten.  

Ester Platzer: Wie kam es dazu, dass Sie Sterbebegleiterin wurden?

Kirsten DeLeo: Der Tod hat mich immer schon begleitet, auch schon in Kindheitsjahren. Es war eine Präsenz, die immer da war. Erschreckend hat sich der Tod nie für mich angefühlt. Als ich eines Tages von Hospizen hörte, hat es mich einfach gerufen. Es war mein Herzenswunsch, dort zu arbeiten. Meine Freunde und Familie wunderten sich sehr und fragten sich: „Warum tut man sich so viel Leid freiwillig an?“

Und warum haben Sie es getan?

Ich hatte eine ganz andere Einstellung. Für mich geht es beim Sterben ums Leben: Leben ist Sterben und Sterben ist Leben. Als ich dann meinen Weg gefunden hatte und am Bett sitzend Menschen am Lebensende begleitete, merkte ich, dass es einem auch eine Lebendigkeit gibt, wenn man um das Ende des Lebens weiß. Ich habe mich, auch wenn es nicht immer einfach war, durch die Konfrontation mit dem Tod selbst kennengelernt. Mein Leben wurde so viel reicher und intensiver. Ich verbringe oft mit fremden Menschen gemeinsam ihre letzten Stunden, und es entsteht eine intensive Verbindung. Es ist menschlich so viel da – ein wahrer Reichtum.

Mit Mitte zwanzig begann ich mit einer Hospizhelferinnen-Ausbildung. In den 1990er-Jahren, während meiner Ausbildungszeit, gab es noch wenig Hospize, und alles war sehr klinisch. Ich dachte mir, da muss es einen anderen Weg geben. Der Moment des Todes kann nicht allein ein medizinisches Ereignis sein. Nach meiner Ausbildung in Deutschland absolvierte ich ein Praktikum in einem Zen-Hospiz in San Francisco. Es war eines der ersten buddhistischen Hospize im Westen. Diese Erfahrung hat mein Leben verändert. Das Praktikum hätte drei Monate dauern sollen, aber ich bin einfach dort geblieben.

Sie haben sich also schon sehr früh mit dem Tod auseinandergesetzt. Viele Menschen tun dies jedoch erst am Lebensende.

Einige der Menschen, die ich auf ihrem Weg begleitet habe, veränderten ihr Leben radikal, als sie merkten, dass ihre Zeit endlich ist und der Tod sehr nahe. Auf einmal hatten sie Kraft, Sachen anzugehen, die sie ihr ganzes Leben vor sich hergeschoben haben. Sie sprachen etwa mit Menschen, die sie lange gemieden haben, und heilten Beziehungen. Eine unglaubliche Stärke kommt zutage. Oft denke ich mir, warum müssen wir bis zum Tod oder bis wir eine schlimme Diagnose bekommen, warten? Lasst uns jetzt leben!

Den Tod zu verdrängen, erscheint auf den ersten Blick einfacher.

Ich denke, den Tod wegzuschieben, ist zutiefst menschlich. Es nicht so, dass man es als Sterbebegleiterin nicht auch manchmal tut. Ich habe es mir selbst eingestehen müssen. Der Tod ist jedoch Teil des Lebens beziehungsweise ein weiteres Kapitel unseres Lebens. Wenn wir versuchen, den Tod zu verdrängen, dann entsteht eine Angst und Furcht davor. Menschen, die sich wirklich mit dem Tod auseinandergesetzt haben, gewinnen eine unheimliche Lebenskraft.

Tod

Foto © privat

Auf welche Weise kann man sich mit dem Tod auseinandersetzen?

Im Buddhismus, vor allem im tibetischen Buddhismus, ist die Kontemplation über die eigene Endlichkeit ein Herzstück des spirituellen Pfades. In der Meditation befasst man sich mit Alter, Krankheit und Tod. So lernt man den eigenen Geist kennen und sieht, was im Leben wirklich wichtig ist. Im Alltag ist dies nicht möglich, denn wir sind ständig geschäftig. Wir sind alle Meister der Ablenkung. Wenn wir die Geisteskraft, welche wir den Ablenkungen schenken, für die Einkehr nutzen würden, dann könnten wir sehen, dass unter der Angst vor dem Tod unendlich viel Liebe und Zärtlichkeit steckt.

Gibt es eine buddhistische Praxis, die Sie besonders empfehlen?

Die Praxis der liebenden Güte. Buddha lehrte schon, dass Liebe das Gegenmittel zur Angst ist. Also immer, wenn Angst empfunden wird, sollte man sich an die Liebe erinnern. Ein Gefühl der Geborgenheit und der Zugehörigkeit entstehen lassen. Diese Wärme für sich kreieren.

 Was ist wichtig, wenn man Sterbende begleitet?

Ganz mit dem Menschen sein und ihm Liebe entgegenbringen. Dies tun wir im Alltag viel zu selten. Es geht nicht darum, die richtigen Worte zu finden. Jeder hätte gerne, dass die Situation anders wäre. Jeder will etwas tun, damit es besser wird. Die Hoffnung, dass ein magischer Satz alles wieder gut macht, ist ein ganz tiefer Wunsch, aber diesen Satz gibt es nicht. Man muss nichts schönreden. Das größte Geschenk, das man dem anderen geben kann, ist, einfach da zu sein.

Und wenn man von Trauer überwältigt wird?

Viele Menschen denken, sie dürfen nicht weinen. Sie wollen für den anderen stark sein. Man kann aber auch mit menschlicher Schwäche und Verletzlichkeit für den anderen da sein. Ich ermutige Menschen dazu, wenn sie traurig sind, ihre Trauer auch zu zeigen. Wenn man am Bett sitzt und versucht, sein Gesicht zu wahren, dann macht man auch einen Teil von sich zu. Gemeinsam zu trauern, ist wirklich wesentlich.

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Gibt es noch etwas, worauf man achten sollte?

Bei Menschen, die im Sterben liegen oder dem Tode sehr nah sind, verlangsamt sich die Welt ganz drastisch. Ihre Wahrnehmung und ihre Sensibilität vergrößern sich enorm. Unsere normale Geschäftigkeit ist viel zu schnell für sie. Entschleunigung ist daher wichtig – etwa bevor das Zimmer eines Sterbenden betreten wird oder bevor man ein Telefonat mit dem Menschen führt. Man sollte sich einfach eine Minute Zeit nehmen, tief durchatmen und bei sich selbst ankommen.

Das hilft einem selbst sicher auch.

Genau. Wenn man Angehörige oder nahestehende Menschen begleitet, ist es ebenso wichtig, mit sich selbst ganz liebevoll umzugehen. Viele Emotionen kommen hoch. Man geht durch eine Schockphase. Vielleicht spürt man auch Wut, Ärger oder denkt, dass ist unfair. Alle diese Reaktionen sind ganz normal. Verurteilen sollte man sich dafür nicht. Emotionen, Gefühle und Gedanken kommen und gehen. Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass man selbst nicht dieses Gefühl ist. Es hilft zu wissen, dass diese Emotionen auch wieder vorbeigehen.

Was kann man noch für sich tun?

Wir haben die Neigung, mit unserem Geist immer in die Zukunft zu wandern und dort nur das zu sehen, was schlecht ausgehen könnte. Im Hier und Jetzt ist es oft aber gar nicht so schlimm. Wenn ein Mensch geht, ist es wichtig, sich an die ganz vielen guten Dinge zu erinnern, die man gemeinsam hatte und noch hat. Die Trauer, die man spürt, entsteht aber nicht erst, wenn der Mensch stirbt, sondern schon viel früher, wenn man erfährt, dass derjenige eine bedrohliche Diagnose erhalten hat. Da fängt der Trauerprozess an. Trauer ist normal und keine Krankheit. Es hilft, sich immer wieder an die Liebe zu erinnern, die man für den Menschen hat. Die Liebe bleibt. Es geht nicht darum, die Liebe loszulassen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"

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Wie würden Sie Kinder einbeziehen, wenn eine nahe Person stirbt?

Wir wollen Kinder immer vor Leid, Tod und Krankheit schützen. Man tut ihnen jedoch nicht unbedingt einen Gefallen damit. Kinder sind enorm resilient. Sie haben Widerstandskräfte und viel Energie. Kinder, sogar Kleinkinder, spüren, was los ist, und bekommen sehr viel mit. Sie haben ein Bewusstsein für den Tod – sei es, wenn der Hamster stirbt oder die Oma sehr krank wird. Kinder sehen auch sehr viel Sterben im Fernsehen. Man sollte sie altersentsprechend abholen. Ihnen ganz viel Zeit geben und schauen, was in ihrem Verständnis gerade passiert, wenn etwa die Großmutter im Krankenhaus ist. Die Eltern sollten in dieser Situation auch weinen und ihre Trauer den Kindern zeigen dürfen. Das lehrt die Kinder, dass Wut und Trauer ein Teil des Lebens sind. Es nimmt den Kindern die Angst, wenn über solche Ereignisse gesprochen wird, und zeigt ihnen, dass Liebe nicht durch den Tod erlischt.

Kirsten DeLeo begleitet seit mehr als 25 Jahren sterbenskranke Menschen und deren Angehörige. Sie ist Meditationslehrerin und war über zwanzig Jahre Dozentin im „Spiritual Care Programm“, einem internationalen Netzwerk, das Kurse zum Thema Heilung, Sterben, Tod und Trauer anbietet. Sie ist Mitbegründerin von „Authentic Presence“, einem Fortbildungsprogramme in der kontemplativen Sterbebegleitung für Fachkräfte im medizinischen und sozialen Bereich.

Buchtipp: Kirsten DeLeo, Ganz da sein, wenn ein Leben endet – Achtsame Sterbebegleitung, Edition Steinrich 2020

Ein Interview mit Roshi Joan Halifax zum Thema Sterbebegleitung finden Sie hier.

Bild Teaser & Header © Pixabay

Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
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