Die Symptome von Long COVID, die Nachwirkungen einer COVID-Erkrankung, sind sehr belastend. In Österreich nutzt man jetzt Gesang als Therapieform – mit positiven Wirkungen. Ein Arzt und eine Gesangstherapeutin über mögliche Erklärungen.
Vor drei Jahren war diese Erkrankung noch undenkbar: Long COVID, eine Art Dauererschöpfung, von der ehemalige Coronapatienten berichten. Oftmals geht die postvirale Erkrankung einher mit einer verminderten Lungenkapazität, Müdigkeitserscheinungen, Konzentrationsschwierigkeiten und einer dadurch bedingten schwindenden Lebensfreude. Auch mit „Brain Fog“ haben Betroffene zu kämpfen, also einer Art Bewusstseinstrübung mit Konzentrationsschwierigkeiten und einer dadurch mangelnden Lebensqualität. „Die Symptome von Long COVID sind sehr belastend“, berichtet Dr. Christof Ziaja vom Prof. Dr. Stark Institut für Stress- und Chronic Fatigueforschung, „oft werden die Symptome zunächst als psychosomatisch abgetan.“ Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden, führt bei den Patienten zu einer weiteren Verschlimmerung des Unwohlseins.
Gesangstherapie fördert auch die mentale Gesundheit
Nicht nur dem Krankheitsbild Long COVID begegnen Ärzte mit viel Unsicherheit und mitunter sogar Ratlosigkeit; auch die Therapie ist noch nicht standardisiert. Ein Ansatz, der als vielversprechend gilt und in Österreich bereits erprobt wird, ist die Gesangstherapie. Ein Pilotprojekt, das die Arbeit mit der Stimme und Lungenheilkunde kombiniert, wurde im November 2021 erfolgreich abgeschlossen. Gesang als Therapieform unterstütze den Genesungsprozess, indem es tiefe Atmung fördert, so das Resümee der Initiatoren des Projekts. Das wirke sich positiv auf die mentale Gesundheit aus, die bei Long-COVID-Patienten oft angeschlagen ist.
Aus dem ehemaligen Pilotprojekt hat die Initiative „Arts for Health Austria“ inzwischen ein Programm für Betroffene ins Leben gerufen, das sich „Aufatmen“ nennt. Unterstützt wird die Initiative unter anderem vom österreichischen Bundesministerium „Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz“. Für den Besuch der regelmäßigen Kurse müssen Teilnehmende 180 Euro zuzahlen. „In Bezug auf Long COVID hat Singen gleich mehrere Vorteile“, weiß Gesangstherapeutin Carien Wijnen, die selbst studierte Medizinerin ist. „Stimme und Ausdruck helfen beim Heilungsprozess. Die Stimme ist ein einzigartiges Instrument, weil es direkt in unserem Körper ist. Allein deshalb schon ist Singen gesund. Beim Singen wird aber auch die Lunge über den Atem sehr gut durchblutet – das kann Long-COVID-Patienten helfen“, so Wijnen weiter.
Singen verbessert die Leistungsfähigkeit
Beim Singen werden Areale im Gehirn aktiviert, die unterschiedliche positive Effekte für die Gesundheit haben: So schüttet der Organismus Oxytocin aus, das Angst und Schmerz lindert. Gleichzeitig wird auch Immunglobulin A freigesetzt und dadurch das Immunsystem gestärkt. „Ich halte die Gesangstherapie für eine sehr gute Idee“, konstatiert Neurobiologe Prof. Dr. Martin Korte, der sich mit den Langzeitfolgen der Coronaerkrankung beschäftigt. „Es gibt auch prominente Beispiele von Menschen, die sich nach Corona privat einen Opernsänger als Gesangslehrer gesucht haben, um wieder gesund zu werden.“ Den Vorteil einer Gesangstherapie sieht Prof. Korte vor allem in der tiefen Atmung: Viele Long-COVID-Patienten leiden an einer flachen Atmung, die sie sich im Zuge der Krankheit angewöhnt haben. Durch das Singen würden sie wieder zu ihrer natürlichen Atmung zurückfinden. Ein weiterer Faktor, von dem Long-COVID-Patienten profitieren, sei die Neurogenese, die durch Gesang angeregt werde. „Das Gehirn fährt im Zuge der COVID-19-Erkrankung seinen Stoffwechsel herunter, weshalb die kognitive Leistungsfähigkeit nachlässt“, so Korte.
„Durch Singen werden Nervenzellen und Synapsen neu gebildet.“ Dies gelte aber auch für weitere geistige Aktivitäten, wie Kreuzworträtsel oder Kunst- und Ausdrucksformen, es müsse nicht zwangsläufig Gesang sein. „Im Grunde geht es darum, etwas zu machen, was einem Spaß macht.“ Ob sich diese neuen Therapieansätze etablieren werden? Es wäre einen Versuch wert. „Wir brauchen neue Herangehensweisen“, fordert Dr. Ziaja. Wichtig sei aber auch eine medikamentöse Behandlung gegen Neuroinflammationen und Restvirusbestandteile. Als wirksam haben sich hier Vitamin-C-Infusionen und die Behandlung mit Antihistaminika erwiesen. „Ich glaube, wir brauchen beides – milde Varianten, die den Menschen etwas an die Hand geben, und Medikamente“, sagt Prof. Dr. Korte.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 126: „So gelingt Dein Leben"
Laut dem BKK-Dachverband soll bis zum 31. Dezember 2023 eine Richtlinie mit Regelungen für eine „berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung für Versicherte mit Verdacht auf Long COVID“ erstellt werden. Diese soll eine interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik sowie den zeitnahen Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot sicherstellen.
Initiative „Aufatmen“: https://www.aufatmen-austria.eu/
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