Soziale Beziehungen und Freundschaft sind eine Kraftquelle – ob es Verbindungen in der Familie, zu Nachbarn oder anderen Menschen in unserem Leben sind. Wichtig ist, sich Zeit füreinander zu nehmen.
Jeder vierte deutsche Erwachsene fühlt sich einsam, wie das Ergebnis des „Deutschland Barometer-Depression 2023“ zeigt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat das Thema sogar als globale Priorität eingestuft, da Einsamkeit zu Angstzuständen, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer verkürzten Lebensdauer führen kann.
Andersherum zeigen die sogenannten „Blauen Zonen“, also Regionen, in denen Menschen länger leben, dass soziale Bindungen eine große Rolle für Gesundheit und Wohlbefinden spielen.
Das kann eine Partnerschaft sein, die Familie oder gute Freunde. Doch wie entsteht Freundschaft, und wie gelingt sie? Die wichtigste Zutat für eine enge und tiefe Bindung ist Zeit.
Denn gute Beziehungen entstehen nicht von heute auf morgen. Außerdem braucht es viele Gelegenheiten. Gemeinsames Rudern oder Wandern, Kartenspielen oder Teetrinken, Kochen oder im Chor singen, zusammen in den Urlaub fahren oder im Alltag füreinander da sein.
Je länger eine Freundschaft hält und je mehr wir miteinander erleben, desto verbindender und kraftvoller wird sie.
Es kommt nicht darauf an, viele Freunde zu haben
Dominik Dallwitz-Wegner, Trainer für Persönlichkeitsentwicklung und Experte für Positive Psychologie aus Hamburg, beschreibt es so: „Freundschaft ist ein Erfahrungsprozess über einen langen Zeitraum. Es sind viele kleine Mosaiksteine aus Erfahrungen, die ein Bild zusammensetzen. Manche Steine können zerbrochen sein. Die kleinen Enttäuschungen und Missverständnisse beschädigen eine gute Freundschaft aber nicht.“
Das Kennenlernen verläuft in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich.
Als junge Menschen verhalten wir uns oft impulsiv – wir lachen und weinen miteinander. In der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen wird die Peergroup immer wichtiger, zum Beispiel in der Ausbildung oder dem Studium. Dort lernen wir viele neue Menschen kennen, die zu Freunden werden können.
Natürlich kann man auch mit 30, 50 oder 70 Jahren noch Freunde gewinnen. Allerdings haben Menschen mit zunehmendem Alter weniger Möglichkeiten, neue Menschen kennenzulernen. Ob aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft wird, hängt dann auch von kognitiven Bedingungen ab.
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Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 129: „Kraftquellen"
Wenn die Werte übereinstimmen, beide sich respektvoll und wertschätzend begegnen und tiefe, verbindende Gespräche führen, kann ein vertrauensvoller und sicherer Raum entstehen, der resilient macht.
Es ist übrigens nicht wichtig, viele Freunde zu haben. Schon eine einzige enge Beziehung kann einen durchs Leben tragen.
Gar keine Freundschaft, Partnerschaft oder enge familiäre Bindung zu haben, ist dagegen ein Warnzeichen. Die wenigsten Menschen können komplett isoliert leben und sich dabei trotzdem gut fühlen, wie etwa ein allein meditierender Mönch in einer Höhle.
Gemeinsame Präsenz ist wichtig
Vielen Menschen fällt es schwer einzuschätzen, ob jemand ein Freund ist oder nicht.
„Freundschaft ist eher ein Gefühl“, sagt Dallwitz-Wegner. „Das klingt erst mal seltsam, aber es ist eine höchst subjektive emotionale Einschätzung, wen ich als Freund sehe.“
Es kann sein, dass ich mich mit jemandem verbunden fühle, der andere aber nicht mit mir. Manchmal sind Beziehungen auch toxisch und sollten besser gelöst werden. „Eine Freundschaft darf keine Einbahnstraße sein“, so der Experte. „Sie muss auf Gegenseitigkeit beruhen, wenn sie bereichernd sein und Kraft geben soll.“
Auch mit dem PERMA-Modell des US-amerikanischen Psychologen Martin Seligman, der die Positive Psychologie begründet hat, lässt sich verstehen, warum Freundschaften so wertvoll sind.
Sie bringen positive Emotionen (P = Positive Emotions), Flow-Erlebnisse und gegenseitiges Engagement (E = Engagement), stärkende, liebevolle und ehrliche Beziehungen (R = Relationship), Sinn (M = Meaning) und vielleicht sogar das Erreichen gemeinsamer Ziele (A = Accomplishment).
Auf der biologischen Ebene sorgen soziale Kontakte für die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin. Und zwar vor allem dann, wenn sie mit angenehmen Körperkontakten wie einer Umarmung verbunden sind.
Das Hormon mindert Angstgefühle und steigert das Selbstvertrauen. Außerdem aktiviert es das parasympathische Nervensystem und reguliert somit Stress.
In der globalisierten Welt kommt es häufig vor, dass uns vertraute Menschen in andere Städte oder Länder ziehen. Digitale Medien und Telefonate können dabei helfen, aus der Ferne in Kontakt zu bleiben.
Das gelingt aber meist nur, wenn die Freundschaft bereits gefestigt ist. Reinen Onlinefreundschaften fehlt dagegen die Präsenz, das gemeinsame Spüren, die Gerüche und Mikrobewegungen. Dallwitz-Wegner nennt das „Kontaktpflege light“.
Auf jeden Fall muss man Freundschaften pflegen, wenn man sie nicht verlieren möchte. Sie sind kein Selbstläufer.
Andererseits kann die Begegnung mit alten Klassenkameraden oder Freunden auch nach Jahr zehnten eine herzliche Beziehung wieder aufleben lassen. Alte Erinnerungen und Gefühle kommen zurück, und man fühlt sich sofort wohl, wie in einer wärmenden Hülle, wie zu Hause.
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Hintergrund
Buddha und Freundschaft
Was der Buddha zum Thema Freundschaft gesagt hat:
„Einen Mönch, der sieben Eigenschaften besitzt, den mag man sich, ihr Mönche, zum Freunde wählen.
Welche sind diese sieben Eigenschaften?
- Er gibt, was schwer zu geben ist;
- er tut, was schwer zu tun ist;
- er erträgt, was schwer zu ertragen ist;
- seine Geheimnisse vertraut er einem an;
- das Geheimzuhaltende hält er geheim;
- er verlässt einen nicht im Unglück;
- er verachtet einen nicht, wenn in Armut.“
Anguttara Nikåya VII.36, Der wahre Freund I, Übersetzung Nyånatiloka
Illustration © Ursache\Wirkung
Bilder © Ursache/Wirkung




