Ich wundere mich immer, wenn ich in Ländern bin, wo der Wetterbericht tatsächlich stimmt. Hier in Schleswig-Holstein – dem Land zwischen zwei Meeren – ist auf den Wetterbericht wenig Verlass.
Mal ist für den ganzen Tag Sonne angekündigt, doch zur Mittagszeit sieht man nur noch flächendeckendes Grau. Oder es wird Regen vorhergesagt, und es fällt kein Tropfen. Diese täglich zu erlebende Unberechenbarkeit hat auch Vorteile. Wir müssen immer auf alles gefasst sein und dürfen uns nicht der Illusion hingeben, die himmlischen Ereignisse unter Kontrolle zu haben. Buddha hat drei Daseinsmerkmale benannt, die wir auf dem Weg zu Erleuchtung bewusst erkennen müssen. Vergänglichkeit, „Anicca“, steht dabei ganz am Anfang. Alles, was entsteht, zerfällt auch wieder. Unsere Existenz auf diesem Planeten ist dem Werden und Vergehen unterworfen. Weil wir dem nicht entkommen können, ist es auch nicht sinnvoll, sich daran aufzureiben.
Widerstand verstärkt das Leiden – das ist das zweite von den drei Daseinsmerkmalen. Leidhaftigkeit (Dukkha) bedeutet etwa: Es läuft nie hundertprozentig so, wie wir es uns vorstellen. Wir können dem Schmerz der Vergänglichkeit nicht entkommen. Zerfall, Krankheit, Alter und Tod gehören zum Leben dazu. Der Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit fügt Buddha noch ein drittes Daseinsmerkmal hinzu: Selbstlosigkeit (Anatta). Dieser Begriff wird vielfach missverstanden. Im einfachsten Sinn verstehen manche Selbstlosigkeit als Bescheidenheit. Das ist zwar eine löbliche Eigenschaft, in diesem Kontext aber nicht gemeint. Andere interpretieren es so, betonen: Die Dinge haben kein eigenständiges Selbst, sie sind zusammengefügt und können wieder auseinanderfallen. Das ist richtig und nachvollziehbar. Wir können aber noch weiter gehen und sagen, Anatta bedeutet Ganzheitlichkeit, alles ist mit allem verbunden. Gandhi hat das auf ganz eigenwillige Weise in einem Satz umschrieben: „Ich tue nichts für andere. Ich tue alles für mich selbst.“ Wir bewegen uns in einem energetischen Feld, das alle Schwingung, die wir erzeugen, endlos weiterreicht und auch wieder zu uns zurückführt.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 125: „Geist & Gehirn"
So gesehen bedeutet Anatta: Unser Dasein ist nicht zu trennen von dem Dasein der anderen, von dem Schicksal unserer Generation und dem Weltgeschehen. Thich Nhat Hanh (1926–2022) hat das „Interbeing“ genannt. Nur unser Denken zieht Grenzen und unterscheidet zwischen dem Selbst und anderen. Das dritte Daseinsmerkmal zu erkennen, bedeutet, für andere mitzudenken, sich im Wir zu üben, Integration und Verbundenheit zu betonen. In unserer von Konsum geleiteten, ichbetonten Zeit ist das von immenser Bedeutung. Das Handeln jedes Einzelnen wirkt sich auf das gesamte Ökosystem aus. Anatta stellt uns in die Verantwortung, so zu handeln, dass unsere Nachkommen einst voller Wertschätzung und Dankbarkeit darauf zurückblicken können.
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