Die Welt ist voller Herausforderungen, alte Konzepte haben ausgedient – ein Buch stellt die Fürsorge als neues Denkmuster fürs 21. Jahrhundert vor.
Es steht nicht unbedingt gut um diese Welt. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, viele unken, dass die Marktwirtschaft so, wie wir sie kennen, auf der Kippe steht. Und dann noch die Klimakrise. Da gibt es Stimmen, die sagen, dass sie das Ende der Menschen sein könnte. Angesichts dieser Realitäten taucht schon einmal die Frage auf, was man verändern könnte. Wie können wir die Welt zu einem besseren Ort machen?
Mit dieser großen Frage beschäftigte sich auch die berühmte „Mind & Life“-Konferenz unter der Schirmherrschaft des Dalai Lama 2016 in Brüssel. Seit mehreren Jahrzenten schon versucht er gemeinsam mit Wissenschaftlern, die Wege der Weisheit zu fördern und so ethisches Verhalten und Mitgefühl in der Gesellschaft zu ermutigen. Dafür wurde 1987 sogar das „Mind & Life“-Institut gegründet, das sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Leid im Allgemeinen und Speziellen lindern lässt.
Die Konferenz in Brüssel ist auch die Grundlage für das Buch mit dem Titel „Die Macht der Fürsorge“, die der Buddhist Matthieu Ricard und die Empathieforscherin Tania Singer gemeinsam herausgegeben haben. Sie haben Studien und Daten zu mitfühlendem Handeln, Fürsorge und Altruismus zusammengetragen und daraus Schlüsse für eine bessere Zukunft gezogen. Mitgefühl, so viel kann verraten werden, spielt eine Schlüsselrolle – Mitgefühl gegenüber Mitmenschen, der Erde und der Tierwelt.
Sie nehmen sich auch den Begriff der Macht vor. Macht und Fürsorge scheinen auf den ersten Blick entgegengesetzte Pole zu sein. Macht wird eher mit Autorität, Unterdrückung, vielleicht sogar mit Gewalt in Verbindung gebracht. Doch das Buch zeigt, dass Macht auch im Sinne des Gemeinwohls ausgeübt werden kann – Gandhi und Martin Luther King werden als Beispiele aufgeführt.
Die Konferenz und so auch das Buch setzen sich mit fünf Schwerpunktthemen auseinander: Anthropologie und Ökologie, Psychologie und Neurowissenschaft, spirituelle und religiöse Traditionen, Wirtschaft und Gesellschaft sowie persönliches Engagement und globale
Verantwortung.
Denn: Fürsorge, zeigen sie, hat in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit stets eine Rolle gespielt. Schon bei den Schimpansen, den nächsten Verwandten des Menschen aus dem Tierreich, war diese Eigenschaft ein Überlebensvorteil. Altruismus, also das selbstlose Handeln, wiederum stimuliert neuronale Verknüpfungen im Gehirn. Soziales Handeln schließlich fördert in der Folge den Austausch und somit die Ökonomie. Was Fürsorge also im 21. Jahrhundert bedeuten kann? Zum Beispiel eine positive Einstellung zu Flüchtlingen, einen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise oder das Eindämmen von Rassismus. Auch Einsamkeit ist in der westlichen Welt ein wachsendes Problem, fehlende Fürsorge triggert psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen.
Die Wissenschaftler, deren Vorträge zu Beiträgen in diesem Buch gesammelt wurden, sind Verfechter von nachhaltigem Handeln und globaler Verantwortung und damit ganz auf Linie mit dem Dalai Lama, dessen Kommentare jeden Beitrag ergänzen. Das Ziel: ein Brückenschlag zwischen Buddhismus und Wissenschaft, inklusive Anregungen für einen sinnvollen Beitrag, den jeder Einzelne für diese Welt leisten kann. Der Dalai Lama sagt: „Mitgefühl ist nicht mehr länger Luxus, sondern Notwendigkeit.“
Wer Lust bekommen hat, sich mit den großen Themen der Menschheit auseinanderzusetzen, dem sei die Lektüre dieses Buches ans Herz gelegt. Am Ende ist es für alle besser, wenn die Welt zu einem besseren Ort für alle wird.
Matthieu Ricard, Tania Singer, Kate Karius:
Die Macht der Fürsorge. Für eine gemeinsame Zukunft. Wissenschaft und Buddhismus im Dialog mit dem Dalai Lama.
Knaur Leben 2019
272 Seiten
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