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Seit gestern weiß ich, dass die spätpubertäre Version eines Teenagers der Seenager ist. Das ist die Kurzform von Senior Teenager. Dazu fällt mir als Erstes das biblische „Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder ...“ ein. Die Charakteristika allerdings entspringen einer Denke, die meiner diametral entgegenläuft.

 

Punkt 1: Alles zu haben, was man braucht, nur 60 Jahre zu spät. Gut, jetzt kann ich natürlich nicht sagen, wie ich mich in - sagen wir mal - 20 Jahren fühlen werde. Doch vom jetzigen Standpunkt aus kann ich behaupten, dass die Genussfähigkeit alterslos ist. Natürlich wäre ich gerne vor meinem 18. Lebensjahr laut singend über die Autobahn gebrettert. Doch jetzt macht das genauso viel Spaß, wenn nicht mehr. Vor allem, wenn sich beifahrende junge Menschen vor peinlicher Berührtheit auf den sonstigen Plätzen krümmen. Im Grunde ist es jetzt sogar noch besser, weil man in einem vor Rhythmus wackelnden Auto an der Ampel nur mit viel Fantasie eine grau melierte Mähne beim Headbangen vermutet. Die Blicke – priceless!

Punkt 2: Nicht mehr in die Schule gehen und/oder arbeiten zu müssen. Mein Großvater hat bis ins hohe Alter verschiedene Funktionen bekleidet, die durchaus Ähnlichkeit mit Arbeit hatten. Er war stets darauf bedacht, Neues zu erfahren und das durch Diskussionen zu festigen. Das machte ihn bis in seine Achtzigerjahre zu einem beliebten Ansprechpartner, der mit allen Generationen ‚konnte‘. Und in Zeiten von lebenslangem Lernen ist das Ende der Schulzeit ja nicht gleichzusetzen mit dem Ende des Wissensgewinns. Was mich angeht, werde ich wahrscheinlich mit dem Stift in der Hand meine Seele aushauchen, denn warum soll man lassen, was einem Freude bereitet, nur weil das Gesetz ein Arbeitsende festsetzt? Ich könnte mich jetzt wieder in mein Lieblingsärgerthema hineinsteigern und Berge über die öffentliche Einschränkung von Eigenverantwortlichkeit bauen, doch das ist ein anderes Thema. Außerdem sollte man in Rage keine Texte verfassen – alte Schreiberregel!

Punkt 3: Mit Leuten rumzuhängen, die keine Angst haben, schwanger zu sein. Was mich zu der Frage bringt, was denn so schlimm daran sein könnte, mit solchen Menschen Zeit zu verbringen. Nicht dass ich mich mit Schwangerschaft auskennen würde, aber schon allein das Alter dieser Menschen erscheint mit hochgradig attraktiv. Sie sind noch unterwegs, haben Pläne, Hoffnungen, Ideen. Was könnte als Gesprächsgegenüber inspirierender sein für ein scheinbar angekommenes Geschöpf? Sich Jahrzehnte in der gleichen Suppe zu baden, nur über Krankheiten auszutauschen und alte Kamellen zu verteilen kann wohl nicht das Ende der Lebensfahnenstange sein.

Punkt 4: Keine Akne zu haben. Das erinnert mich an eine Begebenheit vor einigen Jahren. ‚Mein‘ Jüngster war gerade in der heißen Vorphase der Pubertät, ich in derselben meiner Wechseljahre. Wir hatten gemeinsame Hitzewallungen und gemeinsame Pickelausschläge. Und dort, wo ‚normale‘ Mütter und Pubertierende aneinandergeraten, hatte unser Austausch darüber fast Selbsthilfegruppen-Charakter. Ich habe das sehr genossen, und die Altersakne war damit nur halb so störend.

Die Seenager-Kriterien gingen jetzt noch weiter, doch ein gewisses Niveau will ich nicht unterschreiten. Wie ich natürlich in keiner Weise einsehe, dass man sich mit einem gewissen Geschlecht und/oder ab einem gewissen Alter Dingen verschließen sollte, die die Gesellschaft nur für bestimmte ‚Zielgruppen‘ vorgesehen hat. Kürzlich stellte ein Mann die Frage in eine geschlechtlich heterogene Menge, wer von den Anwesenden schon einmal in einem Bordell gewesen sei. Nur eine Hand hob sich, und es war nicht die, die der Fragesteller erwartet hatte. Mehr sag’ ich dazu nicht.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Eberhard Halter 2017-06-02 10:57
Sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen in eine Rolle pressen zu lassen, besonders wenn einem die Rolle nicht passt, das beschreibst Du überzeugend. Lebenslanges Lernen kann sehr genussvoll sein, hat natürlich auch Durststrecken. Mein derzeitiger Kampf mit einem neuen Smartphone wird von mitleidigen Blicken und Kommentaren der Jugend begleitet. Aber irgendwann blicke ich durch, wenigstens so, dass ich nicht mehr ständig fragen muss. Sing weiter Claudia, vielleicht gibst Du ausgerechnet denen einen Denkanstoß, die so peinlich berührt reagieren.
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# magclaudia dabringer 2017-06-12 11:21
danke, lieber eberhard! wenn man in einem peinlichkeit hervorruft, hat das ja immer etwas mit dem gegenueber zu tun - ist zumindest meine erfahrung. und waehrend ich singe, hoffe ich, dass du weiterschreibst!
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