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Am heutigen Tag stehen wahrscheinlich einige von uns an den Gräbern, die unsere Vorfahren aufbewahren. Für mich ist das immer eine willkommene Gelegenheit, meine Großeltern zu besuchen.


Meiner Oma, die ich an der einen oder anderen Stelle dieses Blogs immer wieder erwähnt habe, fiel es immer schwer, nach dem Tod ihres Mannes dessen Grabstätte zu besuchen. Und bis heute wissen wir nicht mit absoluter Sicherheit, warum sie die Allerheiligentradition abgelehnt hat. Gut, sie hatte es nicht so mit der Kirche, schimpfte auf die Pfarrer und trotzdem: Die Goldene und Diamantene Hochzeit musste unbedingt mit einem solchen begangen werden. Über diese Ambivalenz hat sie nie gesprochen, und während ich darüber schreibe, bedaure ich es, sie nicht danach gefragt zu haben. Mein Opa hat damals mitgezogen – ob er eine Wahl hatte bei so einer Frau, die am Ende immer durchsetzen konnte, was sie sich vorgenommen hatte? Wahrscheinlich nicht.
Wenn ich also heute auf die steinerne Tafel mit den Namen meiner Großeltern mütterlicherseits schaue, meiner an diesem Tag immer ein bisschen weinerlichen Mutter die Hand drücke und ihre floralen Bemühungen ob der Gestaltung der Grabstätte wertschätze, gehen meine Gedanken zurück zu diesen beiden Menschen, die mein Leben so wesentlich beeinflusst haben. Und natürlich hatte ich auch väterlicherseits die gleiche Besetzung, doch da lagen die Verhältnisse etwas anders. Ich sah sie nur einmal im Jahr, war mehr damit beschäftigt, sie zu beobachten als mit ihnen zu interagieren oder zu sprechen. Und wenn ich meinen Vater nach seinen Eltern frage, bleiben meine „Warums“ meist unbeantwortet – danach fragte man eben in dieser Generation selten. Und ich war zu ihren Lebzeiten noch zu wenig rabiat, als dass ich deren Lebensweise auf den Prüfstand gestellt hätte.
Opa und Oma hingegen sah ich mindestens einmal in der Woche, sie sahen mich wachsen und rebellieren. Und sie haben das ausgehalten, was mir guttat. Heute sehe ich das so, dass sie sich heimlich die Hände gerieben haben, weil sie die Revolution aus relativ sicherer Entfernung erleben konnten, ohne direkte Hiebe abzukriegen. Na ja, meine Oma vielleicht schon, denn an ihr habe ich mich wirklich abgekämpft. Doch heute weiß ich, dass das ein Stellvertreterkrieg war, sie nur ein Avatar für alles, was ich falsch fand und ablehnte. Und genauso gut weiß ich heute, dass sie ein Vorbild an Hartnäckigkeit, bedingungsloser Liebe und Stärke war.

Großeltern
An meinen Opa muss ich jeden Tag denken, wenn die Katze lächelnd neben mir auf dem völlig verhaarten Sesselkissen liegt. Denn genauso schaute er drein, wenn er wirklich zufrieden war – im Kreise seiner sozialen Kontakte, beim Kreuzworträtseln, Radiohören und Rauchen. Er roch immer gut, weil er darauf Wert legte, und er war selten ungehalten. Aus der Balance geriert er nur, wenn seine Frau ihm durch Anweisungen beim Autofahren auf die Nerven ging. Und selbst da war er über die Maßen geduldig. Seine Vorbildwirkung bestand darin, mit Kleinigkeiten zufrieden zu sein und stets darauf hinzuweisen, dass wir es doch im Grunde schön haben in unserem Leben. Und er hat zwei innerfamiliäre Weisheiten geprägt, die nach wie vor zum Einsatz kommen. Wenn wir etwas nicht mehr finden, heißt es: „Es geht nichts verloren im Weltenall.“ Und wenn sich zwei Menschen zusammenfinden, die man jetzt ursächlich nicht gemeinsam in eine Box gesteckt hätte, sagte er immer: „Er/Sie wird schon auch seine/ihre Qualitäten haben.“ Beide Weisheiten drücken aus, wie tolerant und gelassen er auf dem Grunde seines Herzens war. Auch mir gegenüber, um die er sich nie sorgte – und damit hat er mir sehr viel Selbstvertrauen gegeben.
Manchmal überlege ich mir, ob sie mein Leben, wie ich es jetzt führe, mögen oder in der heutigen Zeit zurechtkommen würden. Und vielleicht bekomme ich ja von den beiden eine Antwort auf die erste Frage. Wäre die Welt 2019 ein Ort für sie? Bestimmt, denn sie hatten etwas, was vielen Menschen heute fehlt: einen inneren roten Faden. Der hat sie durch stürmische Situationen geleitet und auf das ausgerichtet, was sie für wichtig hielten. Und selbst wenn einige ihrer Prinzipien vielleicht heute tatsächlich nicht mehr umsetzbar sind: Werte zu entwickeln, ist heute aktueller denn je.

 

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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