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Mein Selbstbild entspricht nur bedingt dem einer moralinsauren Natur. Und über weite Strecken meines Lebens hätte ich bestimmt gesagt, dass ich auch mit Prinzipien so meine Probleme habe. Doch bei einem aktuellen Thema komme ich dem Moralisieren schon sehr nahe.

„Selbstverständlich lässt du dich impfen“, sagte mein medizinischer Vater vor inzwischen Monaten im Brustton der Überzeugung eines Erziehungsberechtigten. Dass er mit dieser liebevoll-anordnenden Aussage auf Widerstand stoßen würde, kam zunächst unerwartet und irritierte ihn. Inzwischen hat er das Thema fallen gelassen wie jemand, der mit dem Schlüsselbund in der Hand einen Powernap macht. Und kommt das Thema zwischen ihm und mir auf, fällt er immer schneller in einen mentalen Powernap.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin keine Impfgegnerin. Vor einem Aufenthalt in Tansania habe ich mich gegen alles impfen lassen, was einem nur passieren könnte – Tollwut inklusive. Dabei war damals die Gefahr größer, dass ich einen Hund anfalle als umgekehrt. Aber wurscht. Ich finde Impfungen praktisch, wenn sie mir Freiheiten bringen, die ich mir unbedingt nehmen möchte. Wie eben Reisen.

Von Impfungen gegen die Angst halte ich wenig. Und als ich mit meiner Ex-Therapeutin beim Kaffee auf meiner Terrasse sitze, gibt sie mir recht. Auch sie ist keine Impfgegnerin, sieht aber hinter die Dinge und so auch die Angst, der man sich ihrer Meinung nach stellen sollte – und sie eben nicht wegimpfen kann. Meine Fußpflegerin erzählte mir kürzlich von ihrer Großmutter, die geimpft ist und trotzdem Angst hat, ihre Enkel zu treffen. Genau das meinen meine Therapeutin und ich.

Thema Freiheit. Eine Maske zu tragen, widerspricht meinem Empfinden von Freiheit. Und auch wenn ich die bunten Farben, die es inzwischen als Gesichtsaccessoire gibt, sehr mag – wirklich frei fühle ich mich darunter nicht. Trotzdem trage ich sie, und die Sinnhaftigkeit scheint mir ja auch inzwischen erwiesen. Für jene, die nicht geimpft sind. Doch warum man die Maske auch noch tragen muss, wenn man auf der so sicheren Impfseite steht, erschließt sich mir nicht. Vielleicht doch nicht so zuverlässig?

Moral

Was mich zum ständigen Auf und Ab der Informationslage bringt. Es ist das Wesen der Wissenschaft, dass sich die Erkenntnislage sehr schnell ändern kann. Hier eine „Hü“-Studie, dort eine „Hott“-Studie, und die dritte sagt wieder etwas anderes. Und das ist durchaus normal, wenn man sich den verhältnismäßig geringen Zeitraum anschaut, in dem die Impfung verfügbar ist. Da kann man eben noch nicht alles wissen. Aus diesem Grund sind ja Langzeitstudien durchaus sinnvoll. Und deshalb schinde ich Zeit – ich gestehe. Und gehe zum Testen, was in meinem Fall relativ komfortabel vonstattengeht, weil ich in keine Richtung länger als zehn Minuten unterwegs bin.

In meinem Umfeld sind immer mehr Menschen geimpft, mit mehr oder weniger großen Auswirkungen. Dafür bin ich sehr dankbar. Weil es ihnen Seelenruhe schenkt. Mir schenkt es keine Seelenruhe – und jetzt kommt der moralisierende Teil -, wenn ich weiß, dass sich ein Großteil der Länder dieser Welt den Impfstoff nicht leisten kann. Dass „reiche“ Länder es nicht fertigbringen, für eine Aussetzung des Patentschutzes zu plädieren, damit der ärmere Teil des Planeten auch produzieren kann. Denn klammern wir Milliarden von Menschen aus, erreichen uns von dort neue gesundheitliche Herausforderungen, die die aktuellen Investitionen in den Impfstoff um ein Vielfaches übersteigen können. Und dann? Natürlich kann ich mich jetzt fragen, was es einem Mann in Ghana bringt, wenn ich mich nicht impfen lasse? In seinem Alltag vermutlich wenig. Doch ich bin eben Idealistin und glaube daran, dass uns Solidarität weiterbringt – zumindest menschlich.

Apropos weiterbringen: Will man nach Sansibar, braucht man eine Gelbfieberimpfung, wenn man vom Kontinent einreist. Sollte man nach Südafrika wollen und eine Coronaimpfung verpflichtend sein, wird auch dieser Anforderung nachgekommen. Sie finden das opportunistisch? Jein. Ja, weil es mir persönlich wichtig ist, dort wieder hinzukommen und der Mann in Ghana scheinbar an Bedeutung verliert wegen meines Begehrens. Nein, weil ich mit jeder Reise nach Afrika das Augenmerk von Menschen auf diesen Kontinent lenke, für den Corona beileibe nicht das einzige Problem ist und an dem viel zu lange vorbeigeschaut wurde.

Für mich ist die Zeit noch nicht reif, eine Impfentscheidung zu treffen. Und als ich gestern im Dunkeln auf der Veranda gesessen bin, den Windspielen zugehört habe und sich die Katze über den Sisalteppich rollte, ist mir das wieder eingefallen. Ich entscheide nichts, wenn ich mich nicht entscheiden kann. Seitdem ist in meinem Kopf wieder Ruhe, und die kann mir im lebendigen Zustand keine Spritze der Welt schenken.

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Bild  ©  Pixabay

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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