Wer wie ich meint, wenig bis gar keine Vorurteile zu hegen, kann schneller als gedacht eines Besseren belehrt werden. Autsch.
Ich habe es in den letzten drei Wochen tatsächlich geschafft, öfter angeschrien zu werden als im Rest meines Lebens zuvor. Die Wutanfälle meiner Eltern während der Pubertät mal ausgenommen, weil sie bestimmt ihre Gründe hatten, zu mir durchdringen zu wollen. Und zu müssen. Schließlich muss man mit einem Mädchen, das in Strickmuster vertieft ist, schon lauter werden, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch das ist eine andere Geschichte.
Kürzlich an einer roten Ampel. Auf dem Weg dorthin hatte ich mich gestaut und mir die Zeit dabei vertrieben mit allem, was mit Musikhören und Sitztanzen verbunden ist. Und vielleicht habe ich auch gegen das Abfallwirtschaftsgesetz verstoßen. In den Augen eines Mannes in einem schwarzen SUV, der neben mir an der Ampel stand, sogar ganz bestimmt. Denn durch die offenen Fenster beider Autos drangen Worte wie „Trutschn“ und „blöde Kuh“, getragen von einer gewaltigen Aggressivität, die sogar durch den Sound meines aktuellen Lieblingslieds drang. Ich wandte meinen Kopf und war in diesem Moment froh, dass mein roter Lippenstift es leichter machte, zu lächeln und zu schweigen. Und weil ich das tat, durfte ich auch einige Minuten später Zeugin davon sein, wie dieser Autofahrer vom Karmastrudel darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er im übertragenen Sinn doch vom Gas runtergehen und lieber im Augenblick verweilen möge. In diesem Moment fuhr ich mit einem noch breiteren Rote-Lippen-Lächeln an ihm vorbei.
Obwohl ich im Grunde sehr zufrieden war damit, wie das Ganze ausgegangen ist, hat sich irgendwann einmal doch das „Typisch SUV-Fahrer!“ in mein Bewusstsein geschoben. Denn ich arbeite mich schon länger an diesem Thema ab. Warum? Weil es immer wieder SUV-Besitzer sind, die zwei Parkplätze brauchen. Die ihre eigenen Verkehrsregeln machen. Die das Recht des Stärkeren für sich beanspruchen. So habe ich das zumindest beobachtet. Also ist das eine empirische Erkenntnis. Dachte ich zumindest.
Beim Entrümpeln eines Behältnisses voller Philosophiemagazine stoße ich auf einen Artikel zum Thema „Gerechtigkeit für Vorurteile“. Und fühle mich gleich wohler, denn tief in mir drinnen weiß ich natürlich, dass nicht alle SUV-Inhaber gegen den Strich bürsten. Doch es ist mir bewusst, dass auch in meinem Fall ein Vorurteil vor allem eines ist: das Produkt geistiger Faulheit. Es gibt tatsächlich Momente, wo ich mich NICHT in jemanden hineinversetzen will. Wo ich mir NICHT überlegen mag, was diesen Jemand dazu gebracht haben könnte, schlampig einzuparken. Warum dieser Jemand mir die Vorfahrt nimmt. Und warum er den Mittelstreifen der Autobahn für sich reserviert hat, erst recht nicht. Ja, in diesem Moment bin ich denkfaul, auch weil ich vermutlich Wichtigeres im Sinne habe.
Jetzt spricht der Artikel davon, dass es unmöglich ist, Vorurteile abzuschaffen. Einerseits erleichtert mich das, andererseits will sich mein Selbstoptimierungsgen nur bedingt damit abfinden. Ich lese, dass man die Vorurteile ins Spiel bringen muss, also darüber sprechen muss, damit sie zum einen ins Bewusstsein rücken und zum anderen durch den Diskurs mit anderen zurechtgerückt werden können. Und auch wenn die Zeiten aktuell nicht gerade günstig für einen Diskurs scheinen: Ich habe ein gutes Gespräch stets genossen, aus dem ich klüger hervorgegangen bin. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre zahlreichen Kommentare.
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