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Wenn ich versuche, im Alltag den Faden der Bewusstheit nicht abreißen zu lassen, führt das eher dazu, dass ich in eine gewisse Anspannung komme.

MoonHee beantwortet hier Fragen des alltäglichen Lebens oder Fragen, die ihr schon immer einmal stellen wolltet. In ihrem ersten Beitrag „Wie geht es dir heute? Danke, gut!“ findet ihr mehr Informationen dazu.

Antwort MoonHee:

Die Achtsamkeit als zentrale Praxis des Buddhismus ist mehr als 2.000 Jahre alt. Dass der Begriff Achtsamkeit darüber hinaus gesellschaftlich heute in aller Munde ist, haben wir dem Mikrobiologen Jon Kabat-Zinn, der die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR) aus der buddhistische Achtsamkeitsmeditation entwickelt hat, zu verdanken.

„Achtsamkeit bedeutet im Wesentlichen, auf eine bestimmte Art und Weise aufmerksam zu sein. Es ist eine Methode, mit der man tief ins eigene Innere schaut, um sich selbst und die Art unseres Bestehens zu erforschen“, so Kabat-Zinn1.

Die Achtsamkeit fängt hier und jetzt – bei uns selbst – an. Der Buddhismus versteht unter bei sich selbst sein zugleich auch bei seiner Mitwelt zu sein. In der buddhistischen Lehre des Nicht-Selbst (Anatman) gibt es kein isoliertes und unabhängiges Selbst. Alles existiert nur im Abhängigen Entstehen. Das heißt, dass alles Sein unabdingbar miteinander verknüpft ist. Hier und Jetzt bedeutet ohne Bewertung und Trennung – ganz und nicht nur als ein Teil im gegenwärtigen Moment zu sein. Hier sind wir offen für das, was Jetzt ist und geschieht, inklusive unserer Gefühle, Gedanken und Bewertungen – aber ohne daran festzuhalten. Gegenwärtigkeit ist reine Offenheit. Und sind wir wirklich offen, dann sind wir auch ganz. Offenheit und Ganzheit bedingen einander. Denn nur wenn wir eins sind mit dem, was wir gerade tun, sind wir wahrhaftig offen und somit auch ganz.

Bewusstheit

Gefühle kommen, Gefühle gehen; Gedanken kommen, Gedanken gehen. Achtsamkeit ist kein Sedativum, um negative Gefühle oder Gedanken auszublenden und die Welt durch eine rosarote Brille zu träumen, Achtsamkeit ist Wachheit sich selbst und der Welt gegenüber. Der Achtsame schwebt nicht auf einer Wolke des Glücks, sondern er nimmt die Welt so wahr, wie sie ist, und dazu gehören auch unangenehme Gefühle und Situationen. Hingegen reißt der Strom der Achtsamkeit ab, wenn wir statt hier und jetzt zu sein, in Gedanken woanders feststecken. Wir sind da und doch nicht da. Zwar ist unser Körper hier, aber unsere Aufmerksamkeit ist dort. Wir sind also nicht ganz, sondern geteilt. Umgeschaltet auf Autopilot findet nun eine Mechanisierung unserer Gefühle und Handlungen statt. Wir Menschen sind aber kein Automat: Je mehr wir mechanisch und automatisch reagieren, desto abgestumpfter, oberflächlicher und bequemer werden wir und desto mehr fühlen wir uns innerlich tot und leer.

Die Achtsamkeitspraxis lehrt uns, zu leben, wahrhaftig zu sein – indem wir anhalten. In Japan gibt es den Spruch: „Wenn du es eilig hast, dann gehe langsam. Wenn du es noch eiliger hast, dann mache einen Umweg.“ Anders gesagt: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Das Leben sowie die Zeit haben ihren eigenen Rhythmus und beide können weder gestaucht, verlängert noch überstürzt werden. In der Fähigkeit des Achtsamseins bzw. des Wachseins erkennen wir uns – in offener Aufmerksamkeit – selbst und unsere Probleme. Innehalten bedeutet nicht Regungslosigkeit oder Wurstigkeit, sondern das zu tun, was getan werden muss. Sind wir wahrhaftig wach, so ist unser Fühlen, Denken und Handeln absichtsvoll, doch ohne uns daran zu klammern.

Die Kunst der Achtsamkeit liegt nicht darin, zu handeln oder nicht zu handeln, bewusst oder nicht bewusst zu sein. Dies sind alles Vorstellungen eines wertenden Verstands. Sie erfüllt sich in der Leerheit unseres Herzens, das uns erkennen lässt, dass alles ist, wie es ist. Achtsamkeit ist das große Ja, das aber ein Nein einschließt.

Weitere Fragen & Antworten von MoonHee Fischer finden Sie hier.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie an m.fischer@ursachewirkung.com

Bilder Teaser und Text© Pexel
Bild Header © Sigurd Döppel

 

1 Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation 2011, 27.

Dr. phil. MoonHee Fischer

Dr. phil. MoonHee Fischer

„Was eines ist, ist eines. Was nicht eines ist, ist ebenfalls eines.“ (Zhuangzi) Jenseits eines dualistischen Denkens, im Nichtgeist, gibt es weder das Eine noch ein Anderes. Wo das Eine sich von einem Zweiten abgrenzt, ist keine Einheit, sondern Zweiheit. Die Erfah-rung des Einen – ich bin al...
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