Wer eine Reise tut, hat etwas zu erzählen. Meistens läuft das auf Erlebnisse der exotischen Art hinaus, doch auch die kleinen Beobachtungen schärfen die Wahrnehmung für die Welt im Großen und den Menschen im Kleinen.
Ich bin schon zu einer Zeit mit dem Flieger geflogen, als man noch Rauchersitze buchen konnte. Diese Klasse war immer die entspannteste, wenn auch am meisten umnebelte. Oder vielleicht gerade deshalb? Doch schon damals konnte ich nicht verstehen, warum es diese zwei Abteilungen gab, wo es doch keine Trennwand zwischen den Rauchern und Nichtrauchern gab. Auf jeden Fall beschwerte sich damals keiner der Nichtraucher, wenn Nebelschwaden in seine oder ihre Richtung waberte.
In Zeiten wie den heutigen sind die Probleme beim Fliegen ganz andere. Unfreundlichkeit zum Beispiel. Wenn man bei der Gepäckabgabe fast einen Fußtritt bekommt, weil man ein Lächeln anregt, tritt man eine Reise schon mit einem leichten Ärgergefühl an. Dass da die Lust auf eine Kabinenzigarette umso größer wird bei einer Raucherin, versteht sich von selbst. Andererseits: Nach über fünf Jahrzehnten auf dem Buckel weiß frau: Erstens bestraft sich der unfreundliche Einchecker selbst mit seinem grantigen Gesicht, und zweitens muss frau sich erst gar nicht von der schlechten Laune – wo auch immer sie herkommt – identifizieren, geschweige denn infizieren. Doch was sie tun kann, um die Welt ein bisschen besser zu machen, ist, eine E-Mail an die Fluglinie zu schreiben und anzuregen, dass der Kundenkontakt doch zumindest von Menschen hergestellt werden sollte, die zu einem Lächeln fähig und willig sind. Die Fluglinie hat geantwortet, dass es wegen der außerordentlich hohen Eingangsmenge zu Verzögerungen bei der Beantwortung kommen kann. Offenbar hat die Fluglinie ein Customer-Service-Problem – am Boden und in der Luft.
In der Kabine wurde ich Zeugin einer sehr skurrilen Rebellion gegen das Mobiliar. Während ich mich noch von den Abschiedsemotionen erholte, liefen auf der anderen Seite des Ganges die Emotionen hoch. Denn eine Gästin wollte partout nicht einsehen, dass es dem vor ihr sitzenden Passagier erlaubt sein sollte, seine Rückenlehne nach hinten zu kippen. Schließlich wollte sie ja essen und gemütlich sitzen und sich auch zurücklehnen. Was wiederum deren Rücksitzerin auf den Plan rief, die meinte, auch sie könnte sich unmöglich damit abfinden, dass sie durch die gekippte Rückenlehne weniger Platz als andere hätte.
Meine Sitznachbarin und ich – beide zwischen 50 und 60 – schauten uns an und brachen in fast hysterisches Gelächter aus. Miteinander haben wir bestimmt schon mehrfach den Globus umrundet, ich für meinen Teil fliege seit 40 Jahren. Doch dass ich mich jemals darüber beschwert hätte, dass Rückenlehnen kippbar sind und jemand das – oh Schande – auch noch in Anspruch nimmt, wäre mir im Leben nicht eingefallen. Wie gesagt: Wem das Rauchen untersagt wird, das er oder sie gewohnt war, kann verstellbare Lehnen locker wegstecken.
Und vor allem: Was hat das für einen Sinn? Wenn ich mir weder die Premium- noch die Business-Klasse leisten kann oder will, weiß ich schon vorher, dass es eng werden könnte. Da nehme ich halt in Kauf, dass die Reise im Luftbus während eines überschaubaren Zeitraums kein Aufenthalt in der Hollywoodschaukel ist. Weil der Sinn dieses Luftbusses eben darin besteht, dass er mich von A nach B bringt. In einem Bodenbus kann ich mir ja auch nur bedingt die Sitzgarnitur oder Gesellschaft aussuchen.
Und während wir Voll50-Frauen gelassen aus dem Fenster schauen, denke ich mir, dass es ein Segen ist, unterscheiden zu können, wann sich Aufregung lohnt und wann frau es besser sein lässt. Nämlich dann, wenn sie keinerlei Einflussmöglichkeiten hat. Natürlich hätte ich mich vor den Schaltermitarbeiter hinstellen und solange herumhampeln können, bis ihm ein Lächeln entschlüpft wäre. Natürlich hätte ich mediationsmäßig in die Rückenlehendebatte eingreifen können, um die Situation zu entspannen. Doch am Ende des Tages lande ich immer wieder bei einem meiner Lieblingssprüche: „Karma is a bitch.“ Bedeutet: Wenn jemand etwas Falsches tut, ist es nicht meine Aufgabe, ihn zu korrigieren. Das übernimmt jemand anders. Wenn ich Glück habe, darf ich dabei sein, doch das ist nicht zwingend notwendig. Lieber bin ich dankbar für jene Gelegenheiten, die mir zeigen, dass ich mich langsam, aber sicher ziemlich locker machen kann, wenn andere ihre Unrundungen zu Markte tragen. Fast wie in einem Kuriositätenkabinett lehne ich mich zurück – ja, vielleicht sogar auf Kosten jenes Menschen, der hinter mir sitzt – und freue mich darüber, dass diese Welt keine anderen Probleme zu haben scheint. Und auch wenn ich anderer Meinung bin, geben mir kleine Begebenheiten dieser Art doch das Gefühl, dass das Große und Ganze in Ordnung sein muss. Zumindest für diese Menschen. Und das ist doch schon einmal ein Anfang.
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