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Leben

Die Sufi-Lehrerin Fawzia Al-Rawi schildert spirituelle Übungen aus dem Herzen des Islam und weshalb uns Musik oft so beflügelt. 

Wie kam es dazu, dass Sie die mystische Tradition des Islam unterrichten?
Das hat vor vielen Jahren mit einer tiefen inneren Sehnsucht begonnen. Ich habe gesucht und eine Gruppe gefunden, mit der ich wöchentlich meditierte. Auch hatte ich einen Traum von einem alten Mann mit Bart, der mir sagte, ich solle kommen. Dieser Traum hat sich zweimal wiederholt. Also habe ich mich auf die Suche begeben und von Freunden meiner Meditationsgruppe eine Telefonnummer bekommen. Der Mann lebte in Jerusalem. Dort habe ich angerufen und am anderen Ende der Leitung hörte ich ihn sagen: „Ich warte schon auf dich.“ Ich bin dann nach Jerusalem gefahren und wollte zwei Wochen bleiben, um mich zu vertiefen und den Lehrer kennenzulernen. Aus den zwei Wochen wurden zwölf Jahre.

Sie leiten das ‚Haus des Friedens‘ in Wien. Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Das Weibliche steht im Mittelpunkt. Männer sind natürlich auch herzlich willkommen. Es ist allerdings ganz klar ein Haus für Frauen. Hier soll die Möglichkeit bestehen, dass sich Frauen entfalten, sich einbringen, ihre Kreativität und ihre Sehnsüchte entdecken. Deswegen heißt es ‚weibliche Spiritualität‘, nicht weil es einen Unterschied in der Spiritualität gibt, sondern um zu betonen, dass hier das ‚heilige Weibliche‘ Raum finden soll.

Können auch Nicht-Muslime kommen?
Das Haus des Friedens ist offen für alle, die auf der Suche sind.

Welche traditionellen Sufi-Praktiken lehren Sie in Ihrem Zentrum?
Zweimal die Woche wird der sogenannte Dhikr – das ist eine aktive gemeinschaftliche Meditation – praktiziert. Darüber hinaus gibt es den Sufi-Drehtanz, Meditationsangebote und die eigene, ganz persönliche Begleitung und Praxis.

Was ist der Sufi-Drehtanz?
Das ist eine aktive Meditation. Im Sufismus wird die Verbundenheit von Körper und Seele besonders betont, um sich mit dem Körper, den Empfindungen und dem Herzen dem Ganzsein nähern zu können.
Wie wird er getanzt und was geschieht dabei auf physischer und psychischer Ebene?
Im Sufi-Drehtanz gibt es zwei Methoden. Bei der einen wird der Tanz selbst als Arbeit gesehen, indem man Hingabe und bedingungslose Liebe während des Drehens lernt und übt – das geht Hand in Hand. Dabei wiederholt man auch heilige Formeln. Bei der anderen Methode wird das Drehen nur als Qualität der Hingabe, fast im Sinne einer Entspannung zwischen den Arbeiten, verwendet. Das ist dann nicht rituell eingebettet, sondern mehr ein süßliches Genießen und sehnsuchtsvolles Nachgehen, bei dem man sich drehen kann, wie man möchte.


Was ist Dhikr?
Das kommt vom Wort ‚erinnern‘ und ‚rückerinnern‘. Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns ja die meiste Zeit mit einem sogenannten verletzten ‚Ich‘ identifizieren und vergessen, dass unser tiefes Sein auf göttlichem Licht beruht, so ist der Dhikr ein Erinnern an dieses göttliche Licht. Also jenseits der Formen in das formlose Licht einzutauchen und dann wieder mit diesem Licht in die Formen einzugehen.

Wie wird das praktisch durchgeführt?
Wenn ich mir das Göttliche zum Beispiel als Barmherzigkeit und Liebe vorstelle, dann verwende ich ganz bestimmte göttliche Namen und versuche mich mit den entsprechenden göttlichen Qualitäten zu färben, um der Essenz, die ich in mir trage, näher zu kommen. Das Wiederholen von göttlichen Qualitäten und göttlichen Namen ist eine Möglichkeit. Die andere ist, den Verstand loszulassen und in das Herz zu gehen. Denn der Verstand und das Denken sind die größten Barrieren, die wir haben, um diese Trennung des Ich aufzulösen – das wird durch Atemtechniken und Körperbewegungen gemacht. Und natürlich spielt die Gemeinschaft eine große Rolle: zu wissen, dass ich mit Menschen zusammen bin, die sich auch nach ihrem wahren Sein und nach Selbsterkenntnis sehnen, und gemeinsam mit ihnen im Kreis sitzen und auf diese Suche gehen, ‚gemeinsam‘ einerseits die eigene Individualität achten und gleichzeitig das Ganzsein erfahren. Es löst immer Liebe aus, wenn man erkennt, dass jeder Mensch nur eine Wahrscheinlichkeit ist. Man kann sich nur zusammen auf den Weg der Wahrheit machen, niemand aber kann von sich sagen, die alleinige Wahrheit zu besitzen.

Welche Rolle spielt der Islam in Ihrem Unterricht?
Der Sufismus ist die mystische Weisheitslehre des Islam. Es ist die Essenz, die mit dem Islam, aber gleichzeitig mit jeder Religion verbunden ist. Denn die Wahrheit jeder Religion ist in ihrer Essenz gleich. Deswegen findet der Sufismus eine ähnliche Sprache mit dem Judentum oder dem Christentum. Nur die äußere Form und das Hinkommen sind historisch bedingt verschieden. Die Essenz ist jenseits davon, und dort passiert dieselbe Wahrheit.

Unterrichten Sie islamische Glaubensinhalte?
Wenn ich zu einem Christen gehe, wird er mir höchstwahrscheinlich Beispiele und Geschichten von Jesus erzählen, um die bedingungslose Liebe zu vermitteln. Und manchmal vielleicht, wenn er offen ist, wird er auch von anderen Traditionen erzählen. Genauso werden die Geschichten und Vorbilder, die im Islam gezeigt werden, vom Propheten Mohammed ausgehen. Das heißt aber nicht, dass andere Propheten ausgeschlossen werden, denn der Islam erkennt alle Propheten an. So können wir gleichermaßen über Moses oder Abraham oder Maria reden.

Kann auch Musik zu meditativen Zwecken eingesetzt werden?
Musik ist der Klang, der Ton der Seele. Nichts kann Sehnsucht und Stimmungen und Räume so öffnen wie Musik. Sie ist ein Geschenk des Himmels und in dem Sinne sehr wesentlich, um sich über die eigenen Fesseln in höhere Sphären zu erheben.

Welche Rolle spielt Musiktherapie im Sufismus?
Musik ist immer Therapie. Die Musikheiltherapie hat eine lange Tradition im Orient und ist von Europa aufgegriffen worden. Dass Musik therapiert, wissen wir alle. Wenn ein Kind sich verletzt, ist das Erste, was die Mutter macht, es auf den Schoß zu nehmen, es hin und her zu schaukeln und zu singen. Die Heiltherapie stellt mit den speziellen Tonarten die Harmonie im eigenen Rhythmus wieder her. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch ein schwingendes Energiefeld ist, das durch einen Sturz, aber auch einen bösartigen Gedanken durcheinandergebracht werden kann, so kann Musik wieder den Rhythmus ausbalancieren. Der Sufismus verwendet Musik, um zu unterstützen, zu inspirieren und der Sehnsucht nach Glück nachzugehen. Und zum Glück gehört Musik.

Wie würden Sie das Ziel des Sufismus zusammenfassend beschreiben?
In den tiefsten Augenblicken des Kummers trotzdem Freude zu spüren – das hat Rumi so beschrieben. Das Verstehen, dass wir eins sind mit dem Leben und damit eins mit dem Göttlichen, und offen zu sein, für was auch immer im Moment kommt. Das macht uns Menschen glücklich. Das bringt Frieden in unser Herz und dafür gibt es nur einen Weg: die Liebe.

Dr. Rosina-Fawzia Al-Rifai-Al-Rawi, geboren in Bagdad, Irak, ist Sufi-Lehrerin im Haus des Friedens in Wien. Sie promovierte in Orientalistik und schrieb zahlreiche Bücher. https://www.fawzia-al-rawi.com/de/zur-person
 
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Katharina Kleinrath

Katharina Kleinrath

Katharina Kleinrath lebt in Wien und hat Religionswissenschaften mit Schwerpunkt Indologie an der Universität Wien absolviert und mehrere Jahre Seminare zu den Weltreligionen, zu Achtsamkeitsmeditation sowie den Masterlehrgang „Spirituelle Begleitung in der globalisierten Gesellschaft“ an der D...
Kommentare  
# Laura Stressnig 2018-08-07 11:13
Ich folge Frau Al-Rawi schon seit langer Zeit, tolle Frau. LG
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