Vier Personen erzählen, was sie zur Rettung der Welt beitragen – und wie Buddhismus und Nachhaltigkeit zusammenpassen.
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist seit einigen Jahren in aller Munde. Große Unternehmen, Politiker oder der Supermarkt ums Eck: Alle pochen auf „Nachhaltigkeit“. Doch was verbirgt sich eigentlich dahinter? Oft wird Nachhaltigkeit primär mit Konsum in Verbindung gebracht. Die klassische Nachhaltigkeitspyramide baut auf dem großen Block „Nutzen, was du hast“ auf. Darüber liegen die Blöcke Reparieren, Tauschen oder Selbermachen. Nur die oberste Spitze ist „Kaufen“. Aber Nachhaltigkeit muss sich nicht nur auf unser Konsumverhalten beziehen. Im „Nachhaltigkeitsdreieck“ ergeben die Bereiche Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft die Grundlage für ein nachhaltiges Leben.
Im Kern geht es darum, ein gesellschaftliches Miteinander zu etablieren, das – erstens – jedem Lebewesen seinen Platz einräumt und – zweitens – dies so tut, dass es auch langfristig aufrechterhalten werden kann – sprich weder Mensch noch Planet ausgebeutet werden. Und das ist ein Anspruch, der auch im Buddhismus anzutreffen ist. Vier Menschen erzählen, wie sich ihr Engagement in Sachen Nachhaltigkeit und Buddhismus ergänzen.
Umwelt
Daniel Gratzer, 22
Kämpft gegen Ignoranz in Sachen Klima
„Die Klimakrise ist DIE Herausforderung des Jahrhunderts“, ist Daniel Gratzer überzeugt. Der 22-jährige Tibetologie-Student engagiert sich in der Klimabewegung „Fridays for Future“. Dort ist er für Organisationsstruktur und -entwicklung sowie externe Vernetzung zuständig. „Ich wollte nie nur danebenstehen und zuschauen, wie Ungutes passiert.“ Natürlich kann man etwas mit dem eigenen Lebensstil bewirken, sagt er. Aber es ginge bei Fridays vor allem darum, die Politik und infolge auch Unternehmen zum Handeln zu bringen. Die Wissenschaft sei sich einig, dass wir die Klimakrise nur durch einen grundlegenden Wandel lösen können – und gerade dieses „den eigenen Lebensstil ändern“ würde oft als Ausrede benutzt, nichts an den gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern.
Die Natur würde oft als etwas betrachtet, das getrennt vom Menschen existiert – als etwas, das man nutzen kann, beschreibt Daniel. „Das ist ein Irrtum. Wir sind alle Teil eines riesigen Ökosystems.“ Und hier sieht er Parallelen zum Buddhismus, der ein Weltbild der Interdependenz lehrt. Durch seine Familie ist Daniel schon früh mit dem Buddhismus in Berührung gekommen. „Ich mochte den Versuch, den Geist zu verstehen.“
Verstehen, Erkennen – diese buddhistischen Ziele sieht der Buddhist auch in der Bekämpfung der Klimakrise als wesentlich an. Denn die Klimakrise wird von vielen Menschen ignoriert, so wie im Buddhismus die tatsächliche Beschaffenheit der Dinge. „Bei Fridays versuchen wir, genau das nicht zu tun. Wir wollen den Tatsachen ins Auge sehen.“
Oft würde der Klimabewegung vorgeworfen, zu negativ zu sein. Aber in der Krise sieht Daniel viele Chancen: „Wir haben nur mehr wenig Zeit, die schlimmsten Folgen verhindern zu können.“ Eine Grundvoraussetzung dafür ist das Bewusstsein für die Möglichkeiten zur Verbesserung. „Erst mit diesem Bewusstsein kann man sich es leisten, den negativen Dingen ins Auge zu blicken.“
Ernährung
Bärbl Delmestri, 47
Praktiziert achtsame Ernährung
Es war ein Grillabend im Sommer unter Freunden. „In gemütlicher Runde haben alle gequatscht, sich gut unterhalten“, erzählt Bärbl Delmestri. Wie nebenbei, so gar nicht achtsam, habe man da ein Steak nach dem anderen gegessen. „Man ist sehr im Gespräch, im ‚außen‘.“ Beim gefühlt dritten Steak oder fünften Würstel ist ihr erst aufgefallen, dass ihr eigentlich schlecht ist. Bärbl hatte schon vorher öfter bemerkt, dass ihr Fleisch gar nicht guttat. Sie hat sich die Frage gestellt: Wie kann sie sich so ernähren, dass sie sich leichter und gesünder fühlt? Sie entschied sich, auf Fleisch zu verzichten.
Es war der Beginn einer Wandlung. Heute ist Bärbl Trainerin für Achtsamkeitsmeditation, macht Yoga, lebt vegan und engagiert sich bei „Extinction Rebellion“. „Wenn man hinter die Kulissen schaut und sieht, wie die Dinge ablaufen, gibt es keinen Weg zurück mehr“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Mann will sie jede Form von tierischem Leid nicht mehr fördern. Schnell ergab eins das andere. Es kam ihr natürlich vor, das Auto zu verkaufen. Seit vier Jahren ist sie in kein Flugzeug mehr gestiegen. Vieles, auf das sie verzichtet, ist für sie vollkommen normal. Sie wollte aber etwas Radikaleres, also schloss sie sich der „Extinction Rebellion“ an.
„Ich wurde von dieser Welle getragen, und die Achtsamkeit war dann eine logische Schlussfolgerung.“ Aus dem „besser ernähren“ wurde ein „bewusster bewegen“. Es kamen Yoga, Body-Scan und schließlich Achtsamkeit hinzu. Gerade heute, in Krisen, helfen ihr 45 bis sechzig Minuten Sitzen in Stille oder Gehmediation sehr, erzählt die zweifache Mutter. „Bevor du vegan wirst, hat du viele Male erkannt, was alles mit Leid verbunden ist.“ Sie meint damit nicht nur Ernährung, sondern auch den Umgang mit unseren Mitmenschen und -wesen, mit unserer Umwelt. „Man bekommt eine andere, sensiblere Wahrnehmung.“ Man wird achtsamer.
Soziales
Ingrid Marth, 61
Begleitet Sterbende
Eine Astrologin hat Ingrid Marth einst prophezeit, dass sie einmal im Gefängnis landen würde. Ob als Insassin oder als Bedienstete, das läge in ihrem Ermessen. Ingrid lacht, wenn sie die Geschichte erzählt. „Ich kenne mich gar nicht gut mit Astrologie aus“, sagt sie, fügt aber hinzu: „Das fand ich irgendwie passend.“ Ingrid ist Sterbebegleiterin und hat die pflegerische Leitung des Mobilen Palliativteams der Caritas Socialis inne. Außerdem ist sie im Vorstand der Mobilen Hospiz der Österreichisch Buddhistischen Religionsgesellschaft (ÖBR). Sie war immer schon gern an Orten, vor denen sich andere Menschen fürchten, fühlt sich angezogen von Grenzbereichen, von Orten, an denen Not herrscht und wo sie hilfreich sein kann.
Als Zehnjährige beschloss sie nach einem Spitalsaufenthalt, Krankenschwester zu werden. In einer Zeit, in der die Hospizbewegung in Österreich noch in den Kinderschuhen steckte, hatte sie in der Krankenpflegeschule bereits Unterricht in Sterbebegleitung. Sie wusste bereits damals: „Das will ich machen.“
Auf einer ihrer vielen Reisen kam sie auch nach Tibet, in Zürich hat sie später durch den Kontakt mit Exil-Tibetern begonnen, sich mit Buddhismus zu beschäftigen. Für die als Katholikin erzogene Tirolerin war das ein Wendepunkt. Da hieß es plötzlich: „Du sollst nicht alles glauben, sondern: überprüfe alles.“ Jedes fühlende Wesen habe genau das gleiche Potenzial. „Es liegt nur an uns, was wir daraus machen“, meint Ingrid.
In Krisen verfallen manche Menschen in Angst. Andere wissen, dass zwar etwas anders wird, sehen darin aber eine Chance. Für Ingrid ist es wichtig, in schwierigen Zeiten nicht den Mut zu verlieren, sondern zu sehen, dass ein neues Miteinander möglich ist: „Mehr aufeinander achten.“ Aus ihrer Achtsamkeitspraxis schöpft sie viel Stärke für ihren Beruf. Wenn sie zum Beispiel eine Patientin zu Hause besucht, kann sie als Gast achtsam und zugewandt zuhören, aber auch eine gesunde Distanz bewahren. Das ist für sie der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid. „An den Rand gehe ich gerne“, sagt sie. „Aber mit hinunter gehe ich nicht.“
Gesundheit
Florian Ploberger, 46
Übt sich als Arzt in den sechs Vollkommenheiten
„Als Arzt hat man manchmal zu große Erwartungen an den Heilungsverlauf seiner Patienten“, meint Florian Ploberger. Wenn ein Patient einen Krankheitszustand beschreibt, will man ihn heilen. Was aber, wenn man die richtige Diagnose stellt, die richtige Therapie verordnet und sich der Zustand trotzdem nicht verbessert? Florian ist mit verschiedenen medizinischen Systemen vertraut. Neben der klassischen Medizin hat der 46-Jährige auch chinesische und tibetische Medizin studiert. Bei der klassischen Medizin habe ihm eigentlich nichts gefehlt, erzählt er. Er hat sich damals mit dem Thema Ernährung beschäftigt und ist über eine Massage-Ausbildung zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gekommen. Er war davon angetan.
Über seinen buddhistischen Lehrer lernte er auch die tibetische Medizin kennen. Und damit habe er einen „Schatz geborgen“, sagt er, der ihm Methoden an die Hand gibt, noch weitreichender zu unterstützen – auch wenn der Körper vergänglich ist. Tibetische Medizin stellt Fragen wie: Was sind die Ursprünge von Krankheit? Was ist mit unserer Vergänglichkeit? Was ist Leid? Heute integriert er buddhistische Konzepte in seine Arbeit, wie die Praxis der „sechs Vollkommenheiten“ oder die Vermeidung von den „zehn untugendhaften Aktivitäten“. Darin sieht er die Grundlagen von nachhaltigem Leben. „Diese Praktiken regen die Selbstverantwortung an und vermitteln: Man kann immer etwas tun“, sagt Florian Ploberger. Und das gilt nicht nur für Patienten, sondern auch für Ärzte.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 112: „Für eine bessere Welt"
Er versucht, die sechs Vollkommenheiten täglich zu üben: Großzügigkeit, ethisches Verhalten, freudvolle Anstrengung, Ausdauer, Meditation und Weisheit. Mal schafft er es besser, mal weniger, lacht er. Heute ist er viel großzügiger – und zwar in der Erwartungshaltung an den Patienten. „Man sollte nicht die eigene Glückseligkeit vom Zustand der Patienten abhängig machen. Manche Krankheitsbilder sind so schwerwiegend, dass man sie nicht behandeln kann.“
Dr. Anna Sawerthal ist Tibetologin und Journalistin. Sie studierte in Wien, Nepal, Lasha und Heidelberg. Sie lebt in Wien.
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