Eine psychologogische Beraterin, ein Soziologe und eine buddhistische Lehrerin machen sich Gedanken zur Zufriedenheit.
Was ist Zufriedenheit?
Martina Hums-Winter: Zufriedenheit ist ein sehr tief gehendes und subjektives Gefühl, das stark mit psychologischer Stabilität einhergeht. Es ist das „Im-Frieden-Sein“ mit seinem Leben und dessen Herausforderungen.
Lama Rita: Für mich ist Zufriedenheit ein Gefühl, dass nichts fehlt. Die Angst vor der Zukunft fällt weg, und wir freuen uns an dem Guten im Moment.
Martin Schröder: Zufrieden ist man, wenn das eigene tatsächliche Leben den Ansprüchen entspricht, wie das eigene Leben aussehen sollte. So, wie ich Sie messe und wie es auch international akzeptiert ist, bittet man Menschen, auf einer Skala von 0 bis 10 einzuschätzen, wie zufrieden sie alles in allem mit ihrem Leben sind. Die Antworten scheinen wirklich zu zeigen, wie gut es Menschen geht.
Kann Zufriedenheit gelernt werden?
Hums-Winter: Ja. Es geht um das tägliche Bemühen zu reflektieren und zu relativieren. Das eigene Leben aus der Vogelperspektive zu betrachten, erhöht die Chance auf Heilung.
Lama Rita: Ja, ich denke schon. Wir können lernen, die Dinge, die wir schaffen, zu wertschätzen, und daraus Zufriedenheit schöpfen.
Schröder: Ganz vereinfacht gesagt, ist ein Drittel der eigenen Zufriedenheit genetisch, ein Drittel hängt von langfristigen Lebensumständen ab, die man auch nur langfristig ändern kann, und ein Drittel von kurzfristigen Umständen, die man eben auch kurzfristig ändern kann. Wenn sie wissen, wie, kann man insofern schon zufriedener werden.
Was macht unglücklich?
Hums-Winter: Unglücklich macht, wenn man nicht selbstverantwortlich im „Hier und Jetzt“ leben kann, wenn die Verbindung zu sich selbst unterbrochen ist oder man den Sinn seines eigenen Tuns nicht spürt.
Lama Rita: Das Gegenteil von Zufriedenheit. Ein Gefühl von „etwas fehlt“. Und wenn auf dieses „Fehlen“ mit Wut, Eifersucht, Gier, Stolz und Ignoranz reagiert wird, die Wurzel allen Unglücks.
Schröder: Einsamkeit, das Gefühl geringer Kontrolle über das eigene Leben, Verlust, eine Partnerschaft mit einem neurotischen Menschen und vor allem: Krankheit und wenig Schlaf.
Gibt es einen Unterschied zwischen Glück und Zufriedenheit?
Hums-Winter: Ich denke Glück als starke positive Emotion geht der Zufriedenheit voraus. Buddha sagt: „Entspringen reinem Geist dein Wort und deine Taten, so folgt das Glück dir nach, unfehlbar wie dein Schatten.“
Lama Rita: Ja. Zufriedenheit entsteht aus Glück. Nur weil wir glücklich sind, müssen wir nicht zufrieden sein. Aber wenn wir zufrieden sind, sind wir definitiv glücklich.
Schröder: Glück ist ein emotionaler Zustand, der sich auch entsprechend erratisch ändert. Fragt man Menschen, ob sie zufrieden sind, wägen sie eher ab, ob ihr Leben dem entspricht, wie sie es sich vorstellen. Je mehr ihr Leben so ist, wie sie es gerne hätten, desto zufriedener sind sie.
Wie bringen Sie Zufriedenheit in Ihr Leben?
Hums-Winter: Indem ich mein Leben aktiv gestalte und mich jeden Tag mit einem achtsamen Moment darin übe, etwas Demut, und somit Zufriedenheit mit dem mir Gegebenen in mein Bewusstsein zu bringen.
Lama Rita: Durch meine persönliche Praxis. Für jeden Menschen kann das jedes nutzbringende Ritual sein. Yoga, etwas, was wir jeden Tag tun, was einen Abschluss hat und woraus man am Ende eine gewisse Art der Befriedigung ziehen kann. Das kann etwas Alltägliches sein wie Zähne putzen. Aber es geht darum, die Zufriedenheit in diesen kleinen täglichen Ritualen zu finden. Dann werden wir generell ein glücklicheres Leben haben und zufriedener sein.
Schröder: Eine Beziehung hilft, eine Arbeit, die man als sinnvoll erachtet und die man sich relativ frei einteilen kann. So banal es sich auch anhört, aber genug Schlaf ist ganz wichtig. Letztes Jahr habe ich Neurofeedback gemacht. Ich denke, das hat mich zufriedener gemacht. Meditation hilft aber genauso.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 118: „Zufriedenheit"
Martina Hums-Winter ist psychologische Beraterin, Lebensberaterin, Yoga- und Meditationslehrerin in eigener Praxis in Wien. Nach einer Krebserkrankung wandte sie sich dem Buddhismus zu. www.beratung-hums.at, www.gesundmityoga.at
Bodhi Lama Rita traf ihren Lehrer Dzogchen Khenpo Choga Rinpoche im Jahr 1994. Von 2009 bis 2020 verbrachte sie mehr als fünf Jahre in Retreats und Internships, um als Lama und Praktizierende ausgebildet zu werden. Die letzten elf Jahre ihres Lebens widmete sie ausschließlich der Erhaltung und Verbreitung der Dzogchen-Buddha-Weg-Tradition und wurde 2018 zum Bodhi Lama ernannt.
Prof. Dr. Martin Schröder ist Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Er hat am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln promoviert und war danach Postdoc an der Harvard University. Er ist Autor des Buchs „Wann sind wir wirklich zufrieden?“, C. Bertelsmann Verlag 2020. www.martin-schroeder.de
Bild Teaser & Header © Pixabay