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Leben

Der Bachelor of Being soll jungen Erwachsenen einen Raum geben, in dem sie sich entfalten und entdecken können. Ein Bericht.

Weihnachtspause! Die ersten sieben Wochen des „Bachelor of Being“, kurz „BoB“, liegen hinter uns. Es ist der erste Durchgang dieses fünfmonatigen Winterretreats mit 25 jungen Erwachsenen. Erschöpft, aber glücklich schauen wir nun zurück. Wir werden die jungen Leute vermissen. Und sie einander. „Das ist das Schönste, was ich bisher je erlebt habe“, so was hören wir nun beim Abschied.

Die heute Zwanzigjährigen suchen nach Freiheit von Zuordnungen, Klischees und Manipulation.

Gemäß der fünf Module: „1. Ich mit mir selbst“, „2. Ich im Kontakt“, „3. Wir in der Welt“, „4. Wir als Gestalter“ und „5. Ich und mein Weg“, waren die ersten beiden Module vor allem Selbsterfahrung. Wo komme ich her? Die Prägung durch die Herkunftsfamilie. Wer bin ich? Die Frage nach der Identität. Dann der Umgang mit Gefühlen, Konflikten, Selbstbehauptung, Liebe und Sexualität. Sieben Wochen mit 25 anderen jungen Menschen und wir drei Pädagogen im Vor-Ort-Team auf einer abgeschiedenen Halbinsel der Fulda bei Kassel, einem Biohof in einem Naturschutzgebiet. Ein Internat auf Zeit.

Das Team, das sind die Gründerin Imke-Marie Badur, der Theaterpädagoge Markus Hühn und ich, Wolf Schneider, der ehemalige Theravada-Mönch, sowie einige Gastreferentinnen und -referenten. Drei Tage pro Woche bieten wir ein Blockseminar gemäß den genannten fünf Modulen. Darauf folgen vier Tage „Flow“, weitgehend von den jungen Leuten selbst gestaltet, mit Kochen, Singen und Musizieren, Tanzen, Eisbaden im Fluss und Peer-Teachings – von Schnitzen über Fotografieren, Yoga, Philosophie und Aktivismus bis zu Poetry Slam.

Sechsmal die Woche leite ich morgens mit wechselnden Methoden eine halbe Stunde lang das Being an, die Meditation. Als Meditationslehrer und Ältester interessiert mich besonders, wie die jungen Leute bei sich sein können; im Alleinsein ebenso wie mit anderen. Einfach still zu sitzen fällt ihnen schwer. Erst mal Dehnen und Strecken, den Körper schütteln, hüpfen, tanzen oder intensiv atmen, dann erst still sitzen. Sonst sind sie beim Sitzen zu unruhig. Und in der Stille brauchen die meisten meine Stimme, die immer wieder an den Atem erinnert und an die Beheimatung im eigenen Körper.

Bachelor of Being

Beliebt ist die Meditation mit dem 1,5 Meter langen, am Ende gespaltenen Bambusstab. Wenn ich damit einen Kopf zart berühre, klatscht es für alle hörbar – so fallen sie nicht ins Grübeln oder Dösen. Beliebt ist auch die Augenmeditation, bei der sitzt ein Innenkreis einem Außenkreis gegenüber. Jede/r hat ein Gegenüber, dem sie oder er in die Augen schauen kann. Still sein, nur schauen! Dann wieder nach innen: Wie geht’s mir denn? Kann ich beim Hinschauen bei mir bleiben? Im Schauen sehe ich: Auch du bist ein Mensch, der Liebe sucht und nicht verletzt werden will. Worte führen zum Ich, zum Du, zum Thema. Auch Traum- und Entspannungsreisen kommen gut an, sie galten hier anfangs als Meditation.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'

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Die heute Zwanzigjährigen suchen nach Freiheit von Zuordnungen, Klischees und Manipulation. Das zeigte sich am meisten in der Weigerung, sich als Mann oder Frau zu verorten. Die große Sehnsucht nach dem, was ich manchmal „Transistan“ nenne, faszinierte mich anfangs sehr: das Land jenseits von Falsch und Richtig, ich und du, Grenzen und Konflikten, das Unendliche! Dann zeigte sich, dass die meisten der jungen Leute keineswegs so weit, offen und alle einbeziehend waren, wie es anfangs schien. Es gründete sich eine FLINTA-Gruppe (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nonbinäre, Transsexuelle und Asexuelle), zu der nur weiblich gelesene Menschen kommen durften. Wer jetzt noch von Frauen und Männern sprach, wurde belehrt, dass es weiblich gelesene und männlich gelesene Menschen heißt. Sie wollen sich nicht von den Cis-Heteros in eines der binären Lager stecken lassen.

Ein Großteil der Gruppe gab sich neue Namen. Sie heißen nun Mio, Zoe, Robin oder Lua, am Namen soll kein Geschlecht erkennbar sein. Zehn der 25 sind männlich Gelesene, sie machen bisher willig mit oder wurden still. Einer wehrte sich, tat das aber so machohaft, dass er damit mehr bedauert als ernst genommen wurde. Der revolutionäre Elan, diejenigen von Geschlecht, Gender oder sexueller Orientierung in traditionelle Normen Gezwängten nun endlich auch willkommen zu heißen, ist groß. Andererseits ist den hier so stark Bewegten nicht bewusst, wie sehr ihr Versuch, grenzenlos empathisch zu sein, neue Grenzen errichtet und die Mehrheiten brüskiert.

Bachelor of Being

Auch das Finden eines Konsenses wird hier auf eine Weise praktiziert, wie es schon zehn Jahre Ältere kaum ertragen können. Alle sollen gehört, gesehen und respektiert werden, soweit der Anspruch. Der führt allerdings dazu, dass jede Person ein Vetorecht hat. So verbringen wir viel Zeit mit Abstimmungen und Konsensbildung. Erst allmählich entsteht ein praktikables Miteinander von Hierarchie, Demokratie und Konsensieren.

Für das begleitende Team ist es nicht immer leicht, einen Input in die Gruppe zu bringen. Die jungen Menschen wollen ja von sich selbst aus gehen und eigene Erfahrungen machen. Erfahrung ist Kult. Und was, wenn diese „Erfahrungen“ von Narrativen gesteuerte, manipulierbare Gebilde sind? – Who cares.

Unsere Küche ist vegetarisch. Das haben wir als Initiatoren so entschieden. 17 der 25 essen sogar nur vegan. Offenbar haben wir auch hiermit nicht einen Querschnitt der Bevölkerung erreicht, sondern mehr das ökospirituelle Milieu.

Bericht

Kontaktscheu? Keineswegs. Es wird quer homo/hetero unendlich viel gekuschelt. Nacktheit und Sex? Da sind sie scheu. Beim Eisbaden und in der Sauna tragen die meisten Shorts und Bikini. Einige hatten noch keinen Sex. Wir wollen dieser für die jungen Menschen sensiblen Schwelle ins Erwachsenenleben in künftigen BoBs noch mehr Aufmerksamkeit geben.

Die uns Anvertrauten singen sehr gerne, auch im Chor und Kanon. Einige spielen hinreißend gut ein Instrument; fürs neue Jahr ist eine Band geplant. In den verbleibenden elf Wochen geht es mehr um Gesellschaft, Politik, Berufswahl und soziales Engagement, um Echokammern und Wahrnehmungsfilter und was wir angesichts der Krisen unserer Zeit tun können.

Spalten Corona und Impfung? Hier nicht. Die sechs Ungeimpften werden nicht ausgegrenzt oder beschuldigt. Durch die abgeschottete Insellage ist das Infektionsrisiko ohnehin minimal.

Es ist dies unser erster BoB, ein Prototyp. Wir wollen, dass bald noch viel mehr hierzulande mit staatlicher Unterstützung solch eine Orientierungszeit erleben können. Schon der Anfang dieses ersten BoB aber fühlt sich an wie reiche Ernte. Lua aus Hannover sagt, sie habe hier erfahren, „dass man in der Freiheit lernt, in sich selbst beheimatet zu sein“. Rosa aus Kassel ist stolz darauf, dass sie hier ihre Komfortzone verlassen hat und den Mut aufbrachte, sich verletzlich zu zeigen. Moritz aus Hamburg sagt sogar: „Ich habe eine neue Einstellung zu meinem Leben und meinem Weg erlangt.“

Auch das weitere Feedback berührt uns sehr und lässt uns den weiten und mühevollen Weg zu diesem ersten Winterretreat als überaus lohnend erscheinen: „Danke für die Funken, die ihr in uns entfacht habt!“ und „Ihr habt uns nicht nur viele Denkanstöße und tolle Inhalte geschenkt, sondern auch ein wundervolles Zuhause, Erfahrungen, die im Herzen bleiben, Liebe und Wärme, das Gefühl gesehen zu werden, geliebt zu sein und wertvoll zu sein.“

Der „Bachelor of Being”, „BoB”

Seit 2021 gibt es den BoB, das von Imke-Marie Badur und Team kreierte Orientierungssemester für junge Erwachsene mit gemeinschaftlichem Leben. Ganzheitlich orientiert, Selbsterfahrung und politische Bildung in einem, ohne Benotung und ohne formellen Abschluss. Nach skandinavischem Vorbild, „Folkehojskole“, und doch anders: transreligiös, weltoffen, nachhaltig, im 21. Jahrhundert angekommen und so „cool“, wie junge Leute das brauchen. Wolf Sugata Schneider hat im pädagogischen Vor-Ort-Team des BoB für Meditation und transkulturelle Identitätsfindung den Hut auf und berichtet von den ersten sieben Wochen dieser innovativen Bildungsinitiative.

 

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Wolf Schneider

Wolf Schneider

Wolf Sugata Schneider, ehemaliger Mönch in der buddhistischen TheravadaTradition, ist heute Autor und Humorist. www.connection.de www.bewusstseinserheiterung.info
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