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Leben

Genro Koudela, Osho, der mittlerweile verstorbene Zen-Priester und Doyen des österreichischen Buddhismus, sprach zu seinem 85. Geburtstag über sein Leben, Zen und die Entwicklung des Buddhismus im Westen.

Wie sind Sie zum Zen gekommen?
Durch Leidensdruck. Ich hatte 10 Jahre Psychoanalyse hinter mir und mein Grundproblem immer noch nicht gelöst. Eines Tages war ich bei einem Freund, der eine Buddha-Statue in der Wohnung stehen hatte. Ich sah sie, ging auf sie zu und es hat sich etwas in mir bewegt. Das war in den 60er Jahren und Zen hatte damals Aufwind. Dann lernte ich den Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast kennen. Er lebte in einem Kloster in New York und hatte mit Shunryu Suzuki Roshi Zen-Meditation praktiziert. In mir war der Wunsch, einen Zen-Meister kennenzulernen, immer stärker geworden. Am Ende einer langen Suche ist mir mein Lehrer, Joshu Sasaki Roshi, begegnet. Ich nahm Anfang 1973 in seinem Zentrum, dem Mount Baldy Zen-Center in den kalifornischen Bergen, an einem längeren Zen-Training teil. Kurz vor dem Ende bekam ich Gelbsucht und musste zwei Monate im Bett liegen bleiben. Danach fuhr ich zurück nach Philadelphia. Ich verkaufte mein Haus und alles andere, was ich besaß, und zwei Monate später kam ich mit zwei Koffern zurück nach Mount Baldy.Genro Koudela
Was hat Sie so sicher gemacht, diese weitreichende Entscheidung zu treffen?
Nichts. Die Frage stellte sich nicht. Es war der Weg, den ich gehen wollte. Es ging nicht um Erleuchtung, ich wollte einfach Zen. Ich hatte mein Haus gut verkauft und somit Geld. Dieser Schritt war kein großes Problem für mich. Geld auch nicht, das ist mein Karma. Mein Vater hat mich gezwungen, eine Pensionsversicherung abzuschließen, als ich nach Amerika ging, deswegen geht es mir heute in Wien gut.

Was ist Ihr erlernter Beruf?
Ich bin gelernter Lithograf. 1942 wurde ich zur deutschen Wehrmacht eingezogen und am Ende des Krieges in der Tschechei von den Russen gefangen genommen. Alle anderen Soldaten sind nach Russland transportiert worden, nur wenige von uns Österreichern haben sie zurück in die Heimat geschickt.

War der Nationalsozialismus für Sie ein Thema?
Und wie! Meine Eltern hatten Juden versteckt und waren Sozialisten. Später hat mir das geholfen, ich konnte auch in die USA, weil wir dort jüdische Freunde hatten. Ich bin zuerst nach Holland, danach nach England, von dort nach Kanada und dann habe ich sieben Jahre später die amerikanische Einbürgerung bekommen.

Wieso wollten Sie nach dem Krieg unbedingt weg aus Österreich?
Ich wollte so weit weg wie nur möglich! Ich musste mit 24 Jahren aufgrund der damaligen Wohnungsnot noch bei meinen Eltern wohnen und auch das Kriegstrauma saß tief. Wir hatten vor dem Krieg viele jüdische Freunde gehabt, die meisten waren jetzt tot oder verschwunden.

Wieso konnten Sie einfach weggehen?
Mit meinem Beruf war ich damals in vielen Ländern begehrt. Ich habe am grafischen Institut in Wien gelernt und dessen Absolventen waren im Ausland sehr willkommen. Ich hatte Job-Angebote aus China, Chile und Indonesien. Das erste, das dann wirklich geklappt hat, war Holland.

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Waren Sie jemals verheiratet?
Nein, deshalb konnte ich machen, was ich wollte. Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt, ohne das wäre es nicht gegangen. Wo ich hinkam, wurde ich gebraucht und gewollt. Dabei war ich eigentlich nur ein einfacher Arbeiter.

Sie konnten offensichtlich alles leichten Herzens aufgeben. War das Loslassen schwer?
Das war kein Problem, denn die Kriegserlebnisse waren diesbezüglich eine wichtige Lebenserfahrung für mich. Neben mir sind die Leute gefallen und ich hatte nicht einmal einen Kratzer. Wirklich unglaublich. Ich hatte Durchschüsse am Koppel, war im Kugelfeuer und nie ist mir etwas passiert. Ich hatte aber gar keine andere Wahl gehabt, als in den Krieg zu ziehen.

Sind Sie katholisch aufgewachsen?
Ich war katholisch auf dem Papier, aufgewachsen bin ich aber mit sozialistischer Gesinnung. Mit 12 Jahren habe ich nach der Kommunion die Hostie ausgespuckt, als Reaktion auf den damals herrschenden Druck der Kirche. Und später im Krieg habe ich Gott verflucht.

Sind Sie ein politischer Mensch geblieben?
Nein, Politik interessiert mich nicht, aber ich habe natürlich schon eine Gesinnung.

Wie sehen Sie die Entwicklung in Amerika?
Jetzt sehr erfreulich.

Und die Finanzkrise?
Die habe ich geahnt und schon lange erwartet. Das Spekulieren mit Geld habe ich immer abgelehnt. Auch aus spirituellen Gründen.

Wieso kamen Sie zurück nach Österreich?
Mein Vater hatte im Alter von 85 Jahren einen Herzschrittmacher bekommen. Er rief mich an und nach dem Gespräch ist es in mich eingefahren, wie die Stimme Gottes. Obwohl er nichts gesagt hatte, war mir klar, dass ich nach Hause fahren soll. Ich habe das mit meinem Lehrer besprochen und der sagte: „You go Vienna." Ich kam also zurück nach Wien – und auch noch in dieselbe Wohnung. Das hatte ich wirklich nie gewollt! Als mein Vater fünf Jahre später starb, hatte ich hier schon eine Zen-Gruppe und meine Green Card in den USA war auch abgelaufen.

Wie konnten Sie in Wien als buddhistischer Lehrer anschließen?
Ich kam 1979 in Wien an und ging in das damals kleine buddhistische Zentrum am Dannebergplatz. Dort gab es eine Zen-Gruppe, in der ich mitmachte. Bald habe ich die Gruppe geleitet und es entwickelte sich eine Art Schneeballeffekt. Es kamen mehr und mehr Leute und auf einmal war der Raum zu klein. Ich sagte leichtsinnig: „Wenn das so weitergeht, müssen wir ausziehen." Es wurden dann neue Lokalitäten gesucht und diese im Haus am Fleischmarkt 16 gefunden. Anfänglich fühlten wir uns etwas verloren, so riesig waren die Räume im Vergleich zu dem kleinen Zentrum davor.

Was ist Zen?
Ich weiß es nicht. Das ist schwer zu beantworten. Ist es eine Geisteshaltung? Ist es eine Bewusstseinsebene? Es ist eine Methode, eine Schule. Auf diese einfache Frage gibt es viele Antworten.

Hat sich der Begriff ‚Zen' im Westen gewandelt?
Es gibt einen Missbrauch des Begriffes. Zen hat sich nicht gewandelt, sondern der Begriff wurde missbraucht und ausgeschlachtet.

Ist das mittlerweile praktizierte ‚christliche Zen' auch so ein Missbrauch?
Das würde ich nicht sagen. Es ist nur eine Abart von Zen. Aber heute wird der Begriff ‚Zen' für alles Mögliche verwendet. Es gibt sogar einen Immobilienhändler hier in Mödling, der für seine Firma den Begriff benützt.

Wie sehr ist Zen buddhistisch?
Zen kommt aus dem Buddhismus. Aus chinesischem Ursprung, verbunden mit dem Taoismus. Zen ist und war also nie reiner Buddhismus.

Werden die ursprünglichen buddhistischen Methoden des achtfachen Pfades im Zen gelehrt?
Das wird im Zen nicht einmal erwähnt. Erst hier in Wien bin ich mit Buddhismus in Kontakt gekommen. Der Roshi in den USA hat nie Buddhismus gelehrt, immer nur Zen. Seit ich in Wien bin, hat er erstmals etwas über Buddhismus erwähnt. Zen ist nur in gewissem Sinne buddhistisch.

Was ist das ethische Fundament von Zen?
Es sind die Silas, die Übungsregeln. Im Zen gibt es insgesamt zehn Silas. Fünf buddhistische und noch weitere fünf: Freigebigkeit, Entschlossenheit, Geduld, Weisheit und Meditation.

Ist Zen ein Geistestraining?
Absolut. Es ist nur Geistestraining.

Was ist das Ziel?
Zen sollte den Übenden auf eine höhere Bewusstseinsebene katapultieren.

Das wird als Erleuchtung bezeichnet? Gehört die Erhellung des Unterbewussten auch dazu?
In meinem Verständnis ist Erleuchtung das Freiwerden von Illusionen. Alles andere ist Psychologie. Am wichtigsten sind das Erkennen der Leere und das Freiwerden von Anhaftungen. Erkennen, wo wir anhaften und dass Begriffe nichts anderes als Begriffe sind. Sie sind illusionär. Es geht also über die psychologische Ebene hinaus. Auch das Erkennen der Ich-Illusion und das Freiwerden vom Anhaften an die Illusion gehören dazu.

Wie geht man in der Zen-Tradition mit psychischen Problemen um?
Zuerst muss man das Sitzen lernen, das ist ganz wichtig. Geduld und Entschlossenheit aufbringen sowie den Mut, sich selbst zu konfrontieren. Ein gewisser Leidensdruck ist dabei sehr hilfreich. Wenn der Schüler keine Geduld hat und kein Leidensdruck da ist, kann er gleich zu Hause bleiben.

Kommen viele Menschen zu Ihnen, weil Zen modern ist?
Kann ich nicht mit Bestimmtheit beantworten, aber das wäre auch legitim.

Wodurch unterscheiden Sie, ob jemand Zen macht oder nicht?
Oft genügt es schon zu sehen, wie jemand die Tür auf- und zumacht oder im Zazen, wie er sich verbeugt. Da weiß ich oft schon alles. So einfach ist das. Oft werden auch Koans als intellektuelles Verständnis missverstanden. Es kommt aber nur auf das Manifestieren an. Nicht auf die verbale Antwort. Die lässt der Roshi gar nicht zu. Am Anfang ist das schwierig, weil man sehr befangen ist, solange das Ego da ist. Man muss lernen, das Ego zu überwinden.

Aber am Anfang kann man das nicht?!
Klar, aber manche haben Talent, andere weniger. Man braucht jedenfalls Geduld.

Finden Sie, dass im westlichen Buddhismus alles in die richtige Richtung läuft? Wie stehen Sie zu der Entwicklung, dass auch im Buddhismus der Glaube immer stärker im Vordergrund steht?
Es ist mir egal, woran die Leute glauben. Was gepredigt wird, ist mir allerdings nicht egal. Was Leute glauben wollen, sollen sie glauben. Aber wenn sie an der Nase herumgeführt werden, dann finde ich das bedenklich. Ich lese gerade ein tibetisches Buch und das ist für mich völlig fremd. Ich kann damit überhaupt nichts anfangen. Stören tut es mich aber nicht, solange ich in Ruhe gelassen werde.

Sind Sie mit der Entwicklung des Zen zufrieden?
Nein. Mit meinem persönlichen Zen bin ich nicht zufrieden. Es fehlt die nötige Tiefe für meinen Lebensweg, da ich nicht im Kloster lebe und das macht es schwierig. Ich bräuchte mehr Klarheit. Mein Zen ist schon etwas verwässert. Ich hoffe, dass ich keinen Blödsinn mit meinen Anleitungen mache, die Menschen nicht in die Irre führe. Die Leute sind sehr hörig und ich werde oft zitiert, aber meistens werde ich interpretiert. Mich stört diese Hörigkeit, obwohl sie zum Lehren dazugehört. Diese Hörigkeit wird immer wieder missbraucht.


UW67SCHW-Mann_muss_bereit_sein_zu_sterben3Wie?
Die Menschen lernen nicht, Zen zu erfassen, sondern eine Interpretation davon. Aber eine Interpretation ist nicht Zen. Interpretation ist Imitation, aber nie das Original. Ich bemühe mich, die richtigen Anleitungen zu geben, damit der Schüler und die Schülerin die eigenen Samen zum Reifen bringen. Jeder muss sich selbst erleuchten und es geht nur um die Förderung dieses Prozesses. Zen ist eine Methode dafür. Für mich die passende.

Aber diese Methode kann auch von anderen angewandt werden, Christen oder Psychologen?
Ja, wenn man sie aus dem Zen-Geist anwendet.

Worauf kommt es dabei an?
Man muss konzentriert sein und bereit sein zu sterben. Zen kann kein Massenprodukt sein, es ist nicht für jedermann. Man muss schon etwas mitbringen. Heute gibt es schon viele Roshis (Zen-Meister). Es gibt Koans, die man gelöst haben muss, um Roshi zu werden. Das hat nichts mit Erleuchtung zu tun, sondern mit Logik und rationalem Denken.

Wieso ist Zen nicht für jedermann?
Ich meine damit, dass nicht jeder dafür geeignet ist. Wie bei einer Wein- oder Obstsorte. Man muss eine bestimmte Qualität mitbringen und die ‚Auslese' ergibt sich ganz von selbst. Zen ist keine Praxis für die Masse, das war es nie.

Warum nicht?
Weil es sehr viel Einsatz und Bereitschaft erfordert.

Wie finden Sie die Tatsache, dass Menschen im Westen nicht im Kloster meditieren, sondern mitten im Leben stehen und Zen praktizieren?
Ich finde das erfreulich und eine schöne Entwicklung. Solange sie sitzen, können sie keinen anderen Blödsinn machen.

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Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Univ.-Prof. Dr. Peter Riedl

Peter Riedl ist Universitätsprofessor für Radiologie und seit über 30 Jahren Meditations- und Achtsamkeitslehrer. Er ist Gründer und war bis Juni 2019 Herausgeber der Ursache\Wirkung, hat W.I.S.D.O.M., die Wiener Schule der offenen Meditation und das spirituelle Wohnheim Mandalahof gegründet. S...
Kommentare  
# Annegret Hopf 2020-03-23 22:00
Das ist ein Interview, das mir gut gefallen hat. Es trifft mein Verständnis von Zen. Es kommt ohne elitäre Eitelkeiten daher.
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