Der amerikanische Meditationslehrer, Wissenschaftler und Buchautor David Loy über seine Theorie des ‚erneuerten Buddhismus' im Westen und wie sich dadurch unser soziales System verändern kann.
Sie sprechen von einem ‚erneuerten Buddhismus' im Westen, was verstehen Sie darunter?
Wenn der Buddhismus von einer Kultur aufgenommen wird, passiert etwas sehr Spezielles: Der Buddhismus erobert nicht die bestehende vorherrschende Religion, sondern er interagiert mit ihr. In China zum Beispiel ist der Buddhismus mit dem Daoismus und dem Shan verschmolzen. Es ist spannend zu beobachten, was im Westen passiert, nämlich es gibt eine Interaktion mit der westlichen Psychologie. Der Buddhismus beeinflusst diese und umgekehrt. Viele Zen-Schüler und Zen-Lehrer in den USA sind ausgebildete Psychotherapeuten. Außerdem ist ein Vermischen zwischen dem Buddhismus und dem Wertesystem im Westen zu beobachten.
Gerade im Buddhismus geht es doch stark um die persönliche Veränderung?
Ja, sie passiert durch die Praxis, also durch Meditation. Im Westen allerdings liegt der Schwerpunkt eines religiösen Lebens im sozialen Engagement, was aus den abrahamitischen oder hebräischen Anliegen für soziale Gerechtigkeit resultiert. Uns wurde über viele Generationen hinweg erklärt, dass es an uns liegt, die Gesellschaft und deren soziale Strukturen zu verändern. Der Buddhismus im Westen wirkt mit dieser Grundeinstellung zusammen.
Sie beschäftigen sich vorwiegend mit dem ‚engagierten Buddhismus'. In Bezug auf soziale Fragen ist der Westen sehr weit fortgeschritten. Was kann der Buddhismus dazu beitragen oder davon lernen?
Im Westen herrscht die abrahamitische Einstellung zu Moral und Ethik, also die zugrunde liegende Dualität von Gut und Böse. Auch heute ist das noch unsere Perspektive, obwohl viele Menschen nicht mehr an Gott glauben. Die christliche Auslegung bezüglich Gut und Böse ist das, was unser Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit fördert. Im Buddhismus nennt man die fundamentale Dualität Ignoranz und Weisheit oder Illusion und Erwachen. Es geht um das Überwinden von Leid. Buddhismus entsprang und entwickelte sich in asiatischen, nicht-demokratischen Gesellschaften, weshalb der Fokus der ‚Religion' nicht auf sozialen Belangen lag, da man sich gegen das vorherrschende Regime nicht hätte durchsetzen können. Damit der Buddhismus aber überleben konnte, mussten die Menschen sich vorwiegend auf das Individuelle fokussieren. Erst heute, wo der Buddhismus im Westen und somit in demokratischen Gesellschaften angekommen ist, kann der buddhistische Schwerpunkt ‚Dukkah', also das Leiden zu überwinden, erweitert und institutionalisiert werden. Ein Beispiel: Buddha nennt die drei Wurzeln des Bösen: Gier, Hass und Illusion. Aus einer buddhistischen Perspektive haben wir diese drei Ursprünge im Westen institutionalisiert. Unser Wirtschaftssystem basiert auf Gier. In den USA ist Militarismus, Rassismus zum Beispiel im Umgang mit illegalen Einwanderern sogar schon institutionalisiert. Somit sind Bösartigkeit und Hass Teil unseres Systems.
In Afrika drohen Hunderttausende Menschen zu verhungern. Aufrufe der Caritas und vieler anderer christlicher Organisationen, in traditionell christlicher Manier Geld an Hilfsorganisationen zu spenden, gibt es seit jeher. Was könnte der Buddhismus in solchen Situationen beitragen?
Im Buddhismus ist das Anliegen ebenfalls, Verantwortung zu übernehmen. Die Motivation ist bloß eine andere: Nicht Gott und sein Wille, wie im Christentum, die zehn Gebote und unsere Pflicht, den Nächsten zu lieben, stehen im Vordergrund, sondern das Erkennen der Illusion, der Trennung der Menschen voneinander. Die Trennung zwischen mir und dir oder mir und den Menschen zum Beispiel am Horn von Afrika, das ist Illusion. Aufzuwachen bedeutet, von dieser Illusion der Dualität loszulassen und zu begreifen, dass wir Teil dieser Menschen sind.
Heutzutage wird mit dem Slogan ‚Geiz ist geil' geworben. Wie steht der Buddhismus dazu?
Im Buddhismus ist ‚das Böse' nichts Abstraktes. Geiz ist eine Form ‚des Bösen'. Wenn unser Verhalten durch Geiz motiviert ist, dann kann es zu schlechtem Karma und unangenehmen Situationen führen. Aus einer buddhistischen Perspektive könnte man unser Wirtschaftssystem als ‚böse' bezeichnen, da es uns in die Irre führt. Es lässt die Menschen denken, dass es sie glücklich macht, geizig zu sein. Der buddhistische Ansatz ist: So lange du versuchst, immer mehr und mehr zu bekommen, wirst du nicht glücklich werden.
Wie kann die Psychotherapie und -analyse mit dem Buddhismus in Verbindung gebracht werden?
Es gibt Menschen, die seit vielen Jahren den Buddhismus praktizieren, und es kann trotzdem sein, dass dies keine tiefe persönliche Veränderung bewirkt hat und sie noch immer ernsthafte Probleme haben. Wenn wir die Meditation mit bestimmten Formen der Psychotherapie kombinieren würden, könnte dies etwas bewirken.
Glauben Sie, dass wir im Westen andere Methoden und Ansätze brauchen als nur die Übung der Sitzmeditation und der Atembetrachtung? Es scheint vielen Menschen zu schwer und zu anstrengend zu sein, sie haben nicht genug Durchhaltevermögen.
Die Psychotherapie könnte auch hier hilfreich sein. Die buddhistische Übung verlangt Anstrengung im Sinne von Besinnlichkeit, Achtsamkeit und Meditation. Die Herausforderung ist also nicht, den Buddhismus zu vereinfachen, sondern Wege zu finden, damit die Menschen schonend und sanft die Vorteile der Übung erkennen können. Wer zu Beginn zu hart bei der Meditationsübung vorgeht, wird ziemlich sicher einen Rückschlag erleben. Es ist besser, jeden Tag fünf Minuten zu meditieren, als an einem Morgen eine Stunde und dann zwei Wochen nicht.
Wie stehen Sie zu dem Argument, dass der Buddhismus im Westen zu einer ‚Wellnessströmung' verkommen könnte?
In den USA gibt es diese Bedenken von mehreren Seiten. Der Buddhismus wird psychologisiert und Kritiker fürchten, dass er nur zu einer Wohlfühlbewegung werden könnte. Ich sehe die Gefahr darin, dass Menschen den Buddhismus als Methode interpretieren könnten, ihr Ego zu rechtfertigen. Aus einer buddhistischen Perspektive aber ist die Essenz der Lehre, vom Ego loszulassen.
Für Red Buddha (eine Arbeitsgruppe der Bildungsorganisation der Wiener SPÖ, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Politik und Religion aus buddhistischer und sozialdemokratischer Perspektive; Anm. d. Red.) haben Sie im Sommer 2011 eine Vorlesung über die globale Wirtschaftskrise gehalten. Können Sie Ihren Standpunkt erklären?
Es geht eben um die Wichtigkeit des Zusammenwirkens der westlichen und östlichen Weltanschauung. Wir müssen die unterschiedlichen Herangehensweisen verstehen, damit sie sich ergänzen und sogar von einander abhängig sind, um wirksam zu sein. Die Grundlage der Lehre Buddhas hat viel damit zu tun, die Illusion der Dualität zu überwinden. Unser Selbstgefühl ist ein psychologisches und soziales Konstrukt, das allerdings nichts mit der Realität zu tun hat. Solange ich dieses Selbstgefühl habe, habe ich Angst, ein unwohles Gefühl oder bin unsicher. Ich nenne es ein Gefühl von Mangel, das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass etwas fehlt. Vor tausend Jahren hätten die Menschen ein Mangelgefühl anders interpretiert, sie haben die Lösung durch Religionen gesucht. In der modernen Zeit versuchen wir, das Gefühl von Mangel mit Konsum zu bewältigen, wir gehen also los und kaufen uns etwas. Uns wird regelrecht eingeredet, dass uns die Dinge, die wir kaufen, glücklich machen. Buddhismus gibt uns eine andere Perspektive in Bezug auf Geiz und Konsum. Dabei geht es nicht um Gut und Böse, sondern um einen irreführenden Weg zu denken und eine trügerische Selbstwahrnehmung.
Heißt das, dass jeder Mensch nur seinen eigenen Geiz überwinden muss oder können und sollen wir darüber hinausgehen?
Institutionen ermutigen und konditionieren uns dazu, geizig zu sein. Es gibt ein altes soziologisches Paradoxon: Menschen schaffen die Gesellschaft, aber die Gesellschaft schafft auch Menschen. Wir müssen nicht nur beginnen, unseren eigenen Geiz zu zähmen und unseren eigenen Lebensstil zu vereinfachen, sondern uns auch ernsthafte politische, strukturelle und institutionelle Fragen stellen.
Die Menschen sollen sich also mehr auf einer politischen Ebene für die Gesellschaft engagieren?
Ja, damit meine ich aber nicht, dass es eine buddhistische politische Partei geben solle. So etwas brauchen wir nicht und es gibt schon viele solche Gruppen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit einsetzen. Es wäre allerdings wichtig, dass der Buddhismus hierbei eine größere Rolle spielen würde. Die Geschichte der Sozialdemokraten und Sozialisten ist ja eng mit dem Marxismus verbunden und steht sehr kritisch den Religionen gegenüber. Aus gutem Grund. Denn zu oft fördern religiöse Institutionen eine Politik der Unterdrückung, das war im Mittelalter so und auch in buddhistischen Ländern. Der Buddhismus könnte aber ein anderes Verständnis von Religion hervorrufen, bei dem es nicht um Autorität geht, sondern um einen Weg der Veränderung und Bewältigung unserer Illusionen.
Ist Ihrer Meinung nach Buddhismus eine Religion?
Was ist Religion? Jedenfalls passt Buddhismus nicht in die herkömmliche westliche Kategorie der Religionen. Ich unterrichte als Professor für vergleichende Religionswissenschaften und finde es interessant, dass es in der Wissenschaft keine allgemeingültige Definition von Religion gibt. Buddhismus vereint religiöse, psychologische, philosophische und spirituelle Elemente. Buddhismus lässt sich also nicht einer einzigen Kategorie zuordnen – und das ist eines der wunderbaren Elemente des Buddhismus, wie ich finde. Der Buddhismus stellt unsere Stereotype infrage und eröffnet uns dadurch neue Sichtweisen.
Viele Menschen verbinden den Buddhismus mit Religion und sind daher abgeschreckt. Es ist also schwierig, ihn in einen Kontext zu bringen.
Jon Kabat-Zinn entwickelte die Meditation als Praxis, losgelöst von Buddhismus als Religion. Er hat die Methode ‚Mindfulness-Based Stress Reduction' entwickelt – eine bedeutende Bewegung in den USA. Das Training vermittelt: Wer achtsam wird und seine Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung lenkt, wird davon profitieren. Erleuchtung oder Reglement sind keine Themen. Für manche Menschen ist das genau das Richtige.
Ich denke daher, dass es verschiedene Variationen des Buddhismus im Westen geben wird, so dass Menschen eine Auswahl haben können. Wir Menschen im Westen versuchen ja gerne ein bisschen von allem. Wenn das ein einfacher Weg in den Buddhismus ist, ist das o.k. Wer möchte, kann tiefer und intensiver eintauchen.
Der Titel eines Ihrer Seminare lautet ‚Buddhism and Society – What would the Buddha do?'. Was würde Buddha heute in unserer Gesellschaft tun?
Ich denke nicht, dass er eine neue soziale Bewegung fördern würde, aber ich denke, er würde erkennen, dass es im Westen schon viele Bewegungen gibt, und er würde diese unterstützen. Buddha lebte in einer Zeit ohne Klimawandel, nukleare Waffen oder Gesellschaftskapitalismus.
Wie hat der Buddhismus Sie persönlich geprägt?
Ich bin ein Kind der 60er Jahre. Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, habe ich den Wehrdienst für den Vietnamkrieg verweigert. Ich hatte Glück, dass ich nicht im Gefängnis gelandet bin, aber ich wollte auf keinen Fall in den Krieg. Später habe ich begriffen, dass mein Ärger über das politische System gewissermaßen unreif war und dass ich an mir selbst arbeiten müsse. Ich bin also ausgestiegen, ging nach Hawaii und führte dort für einige Jahre ein Hippie-Leben. Ich habe damals den Zen-Buddhismus kennengelernt und praktizierte mit Yamada Koun Roshi und Robert Aitken. Ich spürte eine Veränderung. Nicht nur wurde mein Hass weniger, ich habe gelernt, von meinem Narzissmus loszulassen. Das war eine dramatische Veränderung. Danach habe ich beschlossen, zurück an die Uni zu gehen. Robert Aitken hat mir dies empfohlen, um zu verstehen, was mit mir passiert. So bin ich zur asiatischen Philosophie gekommen und wurde schließlich Professor für buddhistische und vergleichende Philosophie.
Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie hier.
Klärung, Menschenrechte wie z.B. Gleichbe-
rechtigung von Frau und Mann ) im Westen gibt.
Das was wir hier haben, hat mit dem Buddhismus rein gar nichts zu tun, es ist eher eine bequeme Form von Verdrängung. Das hilft den Lehrern ihre Schüler auf Dauer zu behalten, denn die Wirkung der ersten Erleichterung nach einem buddhistischen Seminar lässt extrem schnell nach.
Verdrängen ist ja das Gegenteil von Achtsamkeit, ein buddhistischer Pfad, und daher zugehörig und elementar für die buddhistische Lehre (dharma). Ich kann mir einen Buddhismus mit Verdrängung nicht vorstellen und denke, dass es nur durch alle 4 (angefangen von der Wahrheit des Dukkha, vom Ursprung, erst dann von der Aufhebung und auch dann erst vom Weg zur Aufhebung) möglich ist, sich vom Leiden zu befreien.
Der Westen merkt, dass eine schnelle Pille nicht so wirksam ist. Man möge sich in Geduld (eines der 9 Grundhaltungen der Achtsamkeit) üben.