In einer Meditationsgruppe habe ich gefragt: „Wohin führt dein innerer Weg – welche Qualitäten möchtest du in deinem Leben zur Blüte bringen?“ „Gelassenheit“, haben viele geantwortet, „Liebe, Humor und Gelassenheit, auch Zufriedenheit.“
Menschen, die Gelassenheit ausstrahlen, empfinden wir als zutiefst wohltuend, und wir mögen uns selbst, wenn wir gelassen bleiben können. Die innere Souveränität, die darin zum Ausdruck kommt, gibt uns ein gutes Selbstwertgefühl und lässt uns entspannt bleiben, auch wenn äußerlich die Wogen hoch schlagen.
In jungen Jahren ist Gelassenheit noch kein Thema. Da regt man sich auf. Da ist man überzeugt. Da möchte man die Welt verändern und sich mit seinen Ansichten durchsetzen. Wenn nichts Aufregendes passiert, ist es für junge Leute langweilig. In der zweiten Lebenshälfte werden gelassene Erfahrungsräume zunehmend interessant. Wir erfreuen uns daran, das Treiben in der Welt in aller Ruhe zu betrachten, statt ständig wechselnden Angeboten und Gelüsten hinterherzujagen.
In der Gelassenheit steckt kein Trotz, kein Widerstand, keinerlei Bemühen, das sich gegen etwas wendet. Gelassenheit wird jedoch oft verwechselt mit Gleichgültigkeit. „Ob sich orthodoxe Juden die Bärte schneiden oder nicht, ist mir doch egal.“ In der Gleichgültigkeit schwingt stets eine subtile Aversion mit, während die Gelassenheit keine ausgrenzenden Kräfte aktiviert und den Kontakt nicht verweigert. Stattdessen ist sie erfüllt von einem wachen Geschehenlassen, davon, einen Schritt zurückzutreten und vor weiterem Handeln erst einmal tief durchzuatmen. „Möge ich die Kraft haben, nicht zu schnell zu reagieren“ ist etwa ein Satz aus der Metta-Meditationspraxis, mit dem wir Gelassenheit einladen.
Wer möchte nicht den inneren Raum zur Verfügung haben, der uns gelassen bleiben lässt? Und dennoch: immer wieder dieses Aufbrausen in uns, diese blitzartige Reaktion auf ein falsches Wort, eine Unachtsamkeit oder die rote Ampel. Wie leicht haftet unser Denken am Für und Wider! Unsere Überzeugungen sind uns heilig. Unvorstellbar, dass jemand ganz anders denken könnte und dass das auch noch in Ordnung sein soll. Reaktivität, Parteilichkeit, von etwas stark eingenommen und überzeugt sein, in einer Weise, dass es für andere Ansichten keinen Raum gibt – das ist das Gegenteil von Gelassenheit.
Es braucht viel Übung, Gelassenheit – Pali: upekkha – zu kultivieren und sie klar zu unterscheiden von Gleichgültigkeit. Wir können diese wunderbare Geisteshaltung nicht erzwingen. „Sei gelassen!“ – das funktioniert nicht. Gelassenheit wird empfangen, sie ist das, was bleibt, wenn wir den Kampf loslassen, ohne unser Engagement zu verringern. Erinnern wir uns daran, innezuhalten und uns mit einem Lächeln im Herzen zu entspannen, dann kommt die Gelassenheit gerne zu Besuch und sie bleibt immer länger, wenn wir unser Dasein in Dankbarkeit kleiden und dem inneren Frieden einen höheren Wert beimessen als der aufflammenden Erregung.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 98: „Gelassenheit und wir wie sie erreichen"
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