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Achtsamkeit & Meditation

Um junge Erwachsene zur Meditation zu führen, braucht es einen neuen, besonderen Ansatz.

Kürzlich habe ich vor zwölf 17- bis 23-Jährigen über Meditation gesprochen. Es ging darum, ihre Bereitschaft zu testen, sich auf ein fünf Monate lang dauerndes Gemeinschaftsexperiment einzulassen: den „Bachelor of Being“, der in mancher Hinsicht einer buddhistischen Sangha ähnelt. Damit wollen wir sie auf ihr Leben als Erwachsene vorbereiten. Wie kann das gelingen? Wie erreiche ich die Generation der Smartphone-Junkies mit Weisheiten aus den Jahrtausenden weit vor dem Internet?

Die Welt ist heute eine ganz andere als zur Zeit meiner biografischen Prägung. Wir Menschen hingegen sind nicht so sehr anders. Unser Gehirn und auch der Körper sind noch immer weitgehend das, was die Jahrhunderttausende der Steinzeit daraus gemacht haben. Lob und Tadel, Scham und Anerkennung steuern unser Verhalten fremd. Das war schon immer so. Damals fand aber alles in anderen Dimensionen statt. Die sozialen Umgebungen hatten Stammesgröße. Heute sind es übergriffige Global Player, nationale Regierungen und zunehmend Algorithmen, die uns allmählich besser kennen als wir uns selbst, die versuchen, das Ruder in die Hand zu bekommen. 

Ich begann meinen Vortrag über Meditation mit der Aufforderung an die jungen Erwachsenen, den Fokus ihrer Wahrnehmung zu verfolgen. „Wo geht deine Aufmerksamkeit jetzt hin? Geht sie zu dem von mir Gesagten? Zu was anderem? Schau dem einfach mal zu. Beobachte es ohne Kommentar, ohne Wertung.“ Dann bat ich sie, ihre Augen auf einen Gegenstand vor ihnen zu richten und dort zu verweilen. Anschließend sagte ich: „Bleib mit deinen Augen dort, aber lass nun den Fokus deines Bewusstseins den Rand deines Gesichtsfeldes entlangspazieren.“ Einmal rum, vielleicht noch ein zweites Mal, dann rückwärts. Das ist gar nicht so leicht, wenn die Augen in der Mitte ruhen bleiben sollen. Wenn sie mitgehen, ist es leichter, doch auch so geht es. 

„Du merkst dabei, dass dein Bewusstsein wandern kann, beinahe wohin es will“, erklärte ich ihnen. Es kann sich auf etwas richten und dann wieder davon abschweifen. Meistens bemerken wir diese Bewegungen kaum. Wir werden von ihnen hin- und hergeworfen. Eher steuern sie uns als wir sie. Sie werden von Gefühlen begleitet, die wir ebenso kaum kontrollieren können. Das hinterlässt uns unruhig und verwirrt.“

Fokus

Ihre Aufmerksamkeit wird geraubt, ihr Geist, ihr Fokus auf das, was im Leben wertvoll ist.

Die jungen Leute konnten mir gut folgen. In der Schule fällt es fast allen schwer, sich zu konzentrieren; mal mehr, mal weniger. Die Angebote zur Ablenkung sind immens: TV, Internet und Smartphones lenken ab, nicht mehr nur unsere Mitmenschen und der Lärm der Umgebung. Fast jeder in dieser Generation hat Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was Schule oder Eltern von ihnen verlangen. Geschweige denn, dass sie sich auf ihre eigenen Lebensziele fokussieren und diese mit einer gewissen Konsequenz umsetzen könnten. 

Die Wahrnehmungsübungen sollten den jungen Leuten bewusst machen, wie sehr sie ablenkbar sind und wie flexibel der Geist ist. Dann übte ich mit den Anwesenden den Fokuswechsel zwischen außen und innen. Beides ist wichtig und darf nicht ignoriert werden! Die uns umgebende Außenwelt kann uns ebenso steuern wie unsere Innenwelt. Wir sind beides. Und beides könnten wir gestalten. Wenn wir uns dessen nur bewusst wären, wir Verwirrten, Getriebenen, Verängstigten! 

„Wen ängstigt’s nicht: wo ist ein Bleiben, wo ein endlich Sein in alledem?“, fragt Rainer Maria Rilke in einem Gedicht über die Zeit. Wo können wir Ruhe finden? Das ist, was Meditation einübt. Sie führt zu spontanen Aha-Erlebnissen. Das ist das Schöne daran. Sie braucht aber auch Disziplin. Nur mit Disziplin führt sie nachhaltig zu Ruhe und Gelassenheit. Deshalb: Mache dir Meditation zur Gewohnheit, denn die Gewohnheiten sind es, die den Charakter gestalten. Bist du ein liebender Mensch? „Die Gewohnheit ist langlebiger als die Liebe“, schrieb Marie von Ebner-Eschenbach in einem ihrer Gedichte mit einer gewissen Bitterkeit.

Ich schloss meine kurze Präsentation mit einer stillen Meditation, beginnend mit dem liebevollen Gewahrsein des Körpers, von den Füßen bis zum Schopf. Dann lenkte ich die Schüler auf den Wechsel zwischen Ein- und Ausatmen.

Unsere heutige Zeit ist anders. Getrieben von disruptiven Technologien, verändert sie sich schneller denn je. Meditation ist aber noch immer das, worin man sich verankern kann – und dies auch muss. Um Ruhe zu finden, nicht auszubrennen und nicht depressiv zu werden. Damals wie heute. 

„Fokus“ war das Wort, mit dem ich die jungen Leute gut erreichen konnte. Was ist schon Meditation? Aber was Fokus ist, das wussten alle. Man kann auf ein Objekt zoomen. Das ist Konzentration. Dann kann man den Weitwinkel ansetzen. So weit, dass er schließlich auch den Beobachter selbst mit umfängt. Das ist Selbstgewahrsein. 

Heutzutage geht es nicht mehr so sehr um Dinge. Von denen haben wir in dieser vom Wachstum besessenen, unablässig immer noch mehr Dinge produzierenden Wirtschaft schon genug. Heute geht es um Aufmerksamkeit. Die heutigen Diebe stehlen nicht mehr Dinge, die landen bei uns eh schon viel zu schnell auf dem Müll. Sie stehlen unsere Aufmerksamkeit! Die heute wie Süchtige über ihr Handy gebeugten Jugendlichen werden da gerade beraubt. Ihre Aufmerksamkeit wird geraubt, ihr Geist, ihr Fokus auf das, was im Leben wertvoll ist. Dieser Fokus muss wiedergewonnen werden. Nicht nur für die Jungen, sondern für alle, die das Internet und die neuen Medien nutzen. Heute vielleicht mehr denn je sind wir Menschen nach Fakten und Geschichten Gierende, die dabei die Prioritäten verlieren, den Blick aufs Wesentliche.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 117: „Meditation"

UW117 Cover


Was mir im Umgang mit den jungen Erwachsenen auch noch auffiel, ist ihre große Neugier, ihre Suche nach dem, was echt ist und bleibt. Was im Web ein Avatar ist, das wissen sie. Aber was echt ist, und wer sie wirklich sind, das wissen sie nicht. 

Außerdem haben sie eine gesunde Abneigung gegen verbrauchte Worte. Egal, ob die Verbrauchenden, ja Missbrauchenden, Werbetreibende sind oder Medienmacher, mit ihrer je ganz eigenen Agenda, die vielleicht nicht eine ist, die Menschen fördert. Wenn etwas zu oft gesagt und zu sehr benutzt wurde, dann wenden sie sich ab und erfinden neue Worte und neue Formen. Gut so! Was für ein Abenteuer für mich alten Hasen, mich dort bei den jungen Hasen nützlich machen zu können für die Gestaltung der neuen Welt!

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Wolf Schneider

Wolf Schneider

Wolf Sugata Schneider, ehemaliger Mönch in der buddhistischen TheravadaTradition, ist heute Autor und Humorist. www.connection.de www.bewusstseinserheiterung.info
Kommentare  
# Joe Taugwalder 2023-11-06 11:58
Vielen Dank für diesen schönen und doch sehr wertvollen Bericht, der Einsicht in die Denkweise der Jugendlichen gibt. Danke.
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