Tibetischer Buddhismus, Theravada, traditionsübergreifender Buddhismus und Zen - vier Praktizierende stellen ihren Buddhismus vor.
Nicola Hernádi – Tibetischer Buddhismus
Lange ohne richtige Anlaufstelle für meinen buddhistischen Wissensdurst, den ich als Teenie entwickelte, ließ ich mich an einem schwierigen Punkt meines Lebens nach Indien mitschleifen – wo ich zuvor nie hinwollte. Dort begegnete ich im Himalaja einem tibetischen Lama, meinem späteren Guru.
Ich kam als Debattiererin und wurde restlos überzeugt. Wodurch? Bereits als ich den Lehrer sah und unsere Blicke sich trafen, ergriff mich ein verblüffendes, ungekanntes Gefühl von Segen. Ich bekrittelte dennoch nassforsch Punkte des Lehrtextes. Der Lehrer stellte mir schmunzelnd eine Gegenfrage, wissend, dass ich wissen würde: Meine Antwort kann nicht erschöpfend sein. „Was ist Großzügigkeit?“ Er legte lächelnd die Finger auf die Lippen, und ein heftiges Gefühl von Dankbarkeit durchströmte mich. Die Freiheit seines Denkens, das klare, liebevolle Sehen des Geistes seiner Gegenüber, beeindruckten mich tief. Seinetwegen wandte ich mich dem tibetischen Buddhismus zu, S .H. dem Dalai Lama und anderen.
Mein Leben änderte sich komplett. Ich lernte den Lehrer meines Gurus kennen und diente in Deutschland vier Jahre lang seinem früheren Hausgenossen – Familie! Sie zeigten mir Weisheit, Liebe und wahre Heiligkeit. Der tibetische Buddhismus ist Mahayana aus dem Jahr 1000 in Indien, inklusive der Methoden des Tantra. Ich übersetzte didaktische Werke für Mönche, verfasst im 15. Jahrhundert, die indische Werke aus dem 4. Jahrhundert kommentieren, und in mir Staunen auslösten. Diese lebendigen Linienüberlieferungen samt dem großartigen Textkanon stellen ein bedeutendes Menschheitserbe dar, das die Welt und jeden Einzelnen ins Glück versetzen kann. Sie ermächtigen zur Freiheit. Meine Praxis besteht daher hauptsächlich darin, nicht über meine blöde Verstocktheit zu verzweifeln, sondern durch Studium, Geistesschulung und Meditation, durch bewährte buddhistische Methoden, Liebe zu kultivieren und Weite zu gewinnen.
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Nicola Hernádi ist Indologin, Übersetzerin und Chefredakteurin des Magazins „Tibet und Buddhismus“. Daneben leitet sie den Verein Kringellocken Kloster e. V. in Potsdam und hält als Referentin Vorträge und Seminare zu buddhistischen und indischen Themen bei diversen Organisationen.
Michael Schmidt – Theravada
Etwa zehn Jahre nach meiner Konfirmation zweifelte ich am christlichen Glauben. In einem Buch über die Funktion unseres Gehirns verwiesen die Autoren auf den Buddhismus. Da dachte ich mir, schau dir doch mal das Original an. Schon während des Lesens der ersten Bücher zum Buddhismus merkte ich, hier bin ich zu Hause. Vieles kam mir bekannt vor. Ich machte mich auf die Suche nach Menschen mit ähnlichen Erfahrungen und fand sie im „Buddhistischen Bund Hannover“ – und blieb dort bis zu seinem bedauerlichen Ende.
Bei meiner ersten tieferen Beschäftigung mit dem Buddhismus bin ich auf den Theravada gestoßen.
Nachdem ich mich auch mit den anderen Schulen beschäftigt habe, kam mir diese am meisten entgegen. Der Pali-Kanon beeindruckt mich wegen seiner Klarheit, seiner Stimmigkeit und bildet meiner Ansicht nach die gesamte Lehre ab. Mit der zentralen Lehre von den „Vier Edlen Wahrheiten“ und dem „Bedingten Entstehen“ gibt sie mir einen guten und praktikablen Weg zur spirituellen Entwicklung und zu Erkenntnissen, die bei der Bewältigung des Lebens hilfreich sind.
Das Hauptgewicht beim Theravada liegt auf den überlieferten Aussagen Buddhas. Sein zentrales Anliegen war die Überwindung des Leidens, die aus eigenem Bemühen erreicht werden kann. Buddha hat einzig den Dharma zu seinem Nachfolger empfohlen. Nach meiner Ansicht ist der Theravada gut in der westlichen Welt umzusetzen.
Tägliche Meditation und Einhaltung der fünf Silas sind Teil meiner Praxis. Meine Umgebung versuche ich auch positiv zu beeinflussen, durch Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Unterstützung und Erhaltung des Dharma leiste ich durch die Arbeit im Leitungsteam der Theravada-AG in der DBU. Im Landkreis Schaumburg leite ich eine Meditationsgruppe. Ich nahm an zahlreichen Retreats und Vorträgen, unter anderem bei Ayya Khema, Ayya Mudita und Ayya Aganyani, teil. Ich war Mitglied des Rates der „Deutschen Buddhistischen Union“, schrieb Artikel und hielt Vorträge zu buddhistischen Themen. In Myanmar und Sri Lanka unternahm ich buddhistische Studien.
Michael Schmidt wurde nach Beendigung seines Musikstudiums und Tätigkeiten in verschiedenen Orchestern Musikschullehrer und später Musikschulleiter. In dieser Zeit begann er, sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen. Heute ist er Rentner und widmet sich dem Dharma.
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Anna Karolina Brychcy – traditionsübergreifender Buddhismus
Während meines Psychologiestudiums fiel mir zufällig ein Buch in die Hand, das meine dringende Frage „Wie funktioniert der menschliche Geist?“ viel besser und eindrücklicher beantwortete als das Studium selbst. Das hat mich zum Buddhismus geführt. Zu Beginn meiner Suche habe ich in eine Zen-Sangha und eine tibetische Sangha hineingeschnuppert. In der einen war für mich zu wenig, in der anderen zu viel Gruppendynamik – in beiden Fällen fehlten mir die Erläuterung des Dharma und eine alltagstaugliche Anwendung der Praxis. Glücklicherweise habe ich dann schnell ein Vipassana-Retreat im Waldhaus am Laacher See entdeckt und konnte da sehr gut andocken. Die konkreten Anleitungen zur Einsichtsmeditation und die humorvollen Unterweisungen von Ursula Lyon haben mich genau da abgeholt, wo ich es brauchte. Das traditionsübergreifende Angebot des Waldhauses hat es mir über die folgenden Jahre ermöglicht, unterschiedliche Lehrende zu erleben und Hilfestellungen aus verschiedenen Traditionen zu erhalten, ohne mich einer einzelnen Sangha oder einem Guru zu verpflichten. Diese Freiheit und Diversität waren für mich genau das Richtige und erfüllen mich immer wieder mit tiefer Dankbarkeit
In meiner Alltagspraxis finden sich daher auch Elemente aus dem Zen-Buddhismus oder aus den tibetischen Überlieferungen. Trotz aller traditionsübergreifenden Inspirationen bildet die Vipasssana-Tradition meine Basis. Ich erlebe sie als strukturiert und nachvollziehbar in den Unterweisungen und unmittelbar umsetzbar, auch außerhalb der Meditationshalle. Sie ist für mich offener beziehungsweise flexibler mit anderen Ansichten zu kombinieren.
Ich übe mich regelmäßig in der Geistesbeobachtung und -sammlung, beispielsweise mithilfe der Anapanasati-Meditation, der Atembeobachtung. Wenn es um Gehmediation oder heilsame Kommunikation geht, übe ich mich in der Praxis von Thich Nhat Hanh. Sowohl mein Beruf als auch mein Ehrenamt in der DBU sind wunderbare Praxisfelder für meine Übung der vier Brahmaviharas: Freundschaft und liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude sowie Gleichmut und Gelassenheit. Bei überwältigenden Gefühlen, tiefer Trauer oder zur Vorbereitung auf das Sterben wende ich mich an die Tonglen-Meditation, Tara-Visualisierung und die Bardo-Lehren. Meinen Wissensdurst zu den Ursprüngen der Dharma-Lehren stille ich in einer Studiengruppe zu frühbuddhistischen Schriften.
Anna Karolina Brychcy ist Dipl.-Psychologin und arbeitet als Trainerin und Coachin in einer systemischen Beratung in Köln. Sie ist im Vorstand der DBU und als Meditationslehrende aktiv.
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Tatsudo Nicole Baden – Zen
Kurz vor meinem Abitur, mit 17 Jahren, stellte ich mir die Frage, welche Laufbahn ich einschlagen würde. Es war meine erste echte, eigene Lebensentscheidung. Zuerst fand ich es normal, dass ich als junger Mensch noch nicht wusste, was ich machen wollte. Doch je genauer ich in mich hineinschaute und nach Antworten suchte, desto verstörender fand ich die Frage. Ich bemerkte, dass ich nicht nur nicht wusste, was ich machen wollte, sondern, viel gravierender: Ich wusste nicht, wie oder wo ich diese Art von Wissen finden konnte! Ich bemerkte, dass viele meiner bisherigen Entscheidungen davon beeinflusst waren, was andere von mir erwarteten oder vermutlich über mich denken würden. Ich wollte, dass diese Entscheidung anders wird. Ich wollte herausfinden, was ich wollte. Doch dazu musste ich erst einmal herausfinden, wie dieses Ich eigentlich funktioniert und was von diesem Ich tatsächlich zu mir gehört. Wegen dieser Frage machte ich mich auf die Suche. Ich landete, mehr oder weniger zufällig, im Zen Buddhistischen Zentrum Schwarzwald (ZBZS).
Mir gefiel der Zen-Buddhismus sofort: Die wesentliche Praxis ist Zazen, eine stille Sitzmeditation. Ich bekam Zeit, Raum und Unterstützung, um mich selbst, meinen eigenen Geist und meine eigenen bewussten und unbewussten Muster kennenzulernen. Ich wurde inmitten einer Gemeinschaft zutiefst mir selbst überlassen und dabei einfühlsam, aber ohne Einflussnahme begleitet.
Heute lebe und lehre ich im ZBZS, einem klösterlichen Praxiszentrum der internationalen Organisation Dharma Sangha, unter der Leitung meines Lehrers Zentatsu Richard Baker Roshi. Im gewöhnlichen Alltag beginnt unser Tag morgens um 4:30 Uhr. Wir werden von einer Weckglocke geweckt, ziehen dann unsere Roben an und versammeln uns im Zendo, der Meditationshalle für die gemeinsame, stille Meditation. Den Tag über findet ein Rhythmus von Achtsamkeitspraxis, Gesprächen und Arbeitspraxis statt. Es gibt einige Rituale, die wir aus unserer japanischen Tradition übernommen haben. Abends wird wieder eine Stunde lang gemeinsam meditiert. Es gibt etwas intensivere Praxiszeiten, so wie die neunzigtägige Praxisperiode, und es gibt Gästezeiten, in denen wir Seminare oder Gäste im Alltag empfangen.
Tatsudo Nicole Baden Roshi ist Lehrnachfolgerin von Zentatsu Richard Baker Roshi in der Zen-Buddhistischen Soto-Tradition. Sie leitet die Dharma Sangha, eine internationale Gemeinschaft mit einem Zentrum in Deutschland und einem Zentrum in den USA.
Foto © Frank Respondek
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 120: „Lebendiger Buddhismus"
Hier finden Sie Beiträge, die das Ergebniss einer gemeinsamen Arbeit sind. Die Redaktion von Ursache\Wirkung hat hier zusammengearbeitet und diese Texte gemeinsam realisiert.
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