In einem US-amerikanischen Blog, dessen Neuigkeiten mich via Facebook erreichen (keine Ahnung, warum ich den geliked habe!), lese ich zehn Punkte, die Frauen älter machen, als sie sind. Die gute Nachricht: Acht davon kann ich abhaken. Doch die restlichen erschüttern mich, eine eher unerwartet, die andere immer wieder.
Ärgernis 1: Strickjacken. Unnütz zu sagen, dass ich Westen liebe. Und viele habe. In allen Farben. Wollig, wuschig, auf jeden Fall wohlig. Sie betonen oder verhüllen wahlweise den Körper – je nach Bedarf, deuten an, ohne zu offensiv zu wirken, und sind in meinen Augen ein Zeichen von Flexibilität. Ich verwende sie nämlich zudem als Sitzunterlage, Schal oder Regenschutz. Und zur Not kann man sich damit auch aus dem Rapunzelturm abseilen, wenn sich die Nahrungsaufnahme in Form von Leben etwas zäh gestaltet. Doch diese Erfahrung habe ich glücklicherweise aus zweierlei Gründen noch nicht machen müssen. Erstens überholt mich das Leben permanent und beschenkt mich so reichhaltig, dass ich mich über die Maßen genährt fühle. Zweitens verfüge ich über langes Haar. Und damit komme ich zum zweiten Ärgernis.
Bei der Feier zu meinem 50. Geburtstag hörte ich eine brillante Rede eines meinem Herzen sehr nahen jungen Mannes, die sich ausschließlich um meine silberfädrige Mähne drehte. Er wollte mich davon überzeugen, mich meiner grauen Haare mittels Färben oder Kahlrasur zu entledigen. Nicht dass sein Wunsch mir fremd gewesen wäre; seit Jahren liegt er mir in den Ohren damit – genauso vergeblich, wie ich versuche, ihn davon zu überzeugen, dass Silberfäden im Haar nichts mit Alter zu tun haben. Also jenem im Herzen. Und seine Meinung ist ja kaum verwunderlich, denn wenn ich in einem Straßencafé sitze, zähle ich inzwischen die Frauen, die ihre Haare ungefärbt tragen. Und ich muss LANGE sitzen, um zwei Hände voll zu bekommen.
Interessanterweise finden Männer (Ausnahme: mein Festredner) Frauen mit Silberhaar, noch dazu lange getragen, attraktiv und faszinierend. Das erfahre ich immer wieder, auch wenn ich zwei Atemzüge später auf sechs Jahre älter geschätzt werde. Gut, dass man solche Fehleinschätzungen mit 50 souverän und mit Humor nehmen kann. Doch während auch an meinem Geburtstag die Komplimente der Herren überwiegen, flüstert mir doch die eine oder andere Frau „Färben“ ins Ohr. Warum?
Die Jugend malträtiert inzwischen trendmäßig ihre makellose Haarfarbe, um dem ‚Granny Style‘ gerecht zu werden, erzählt mir mein Friseur. Der mich natürlich auch schon seit Jahren mit Naturfarbe umwedelt und ebenfalls auf taube Ohren stößt. Doch er trägt es mit Fassung und ist verantwortlich für diese Frisur jenseits des Mainstreams. Er bewahrt mich davor, eine dieser Haartrachten zu tragen, die die Gesellschaft für Frauen meines Alters vorsieht, um munter mit der Schubladisierung fortfahren zu können. Weder er noch ich haben dazu Lust.
Doch die Frage bleibt, warum eine Haarfarbe darüber entscheidet, wie alt man geschätzt wird. Für mich persönlich sind Äußerlichkeiten eher sekundär. Ich mag an Männern und Frauen den Humor, das Geistreiche und die Aufmerksamkeit dem Leben gegenüber – egal, ob das in Größe 32 oder 52 stattfindet. Doch anscheinend macht der Jugendwahn gerade vor Frauen meiner Generation nicht halt, die sich aus irgendeinem Grund weigern, ihre Erfahrung und Persönlichkeit auch im Außen darzustellen. Denn man kann auf andere Art beweisen, dass man dem ‚alten Eisen‘ nie ferner war. Doch vielleicht bin ich wieder einmal meiner Zeit voraus und das, was man bei Jean-Paul Gaultier seit Jahren auf dem Laufsteg sieht, wird irgendwann einmal der Mainstream. Wir werden sehen. Und uns weiterhin graue Haare wachsen lassen.