Eine kompartimentierte Frau also – eine alleinstehende, ja; eine mittelalterliche, geschenkt. Aber eine kompartimentierte? Den Begriff lese ich in einem Artikel über Wunsch und Wirklichkeit von Feminismus, der Autor Matthias Horx zitiert darin die amerikanische Schriftstellerin Rachel Cusk.
Sie meint damit eine Frau, die ihr Leben in verschiedene Bereiche unterteilt, weil sie alles haben möchte. Doch warum klingt kompartimentiert so erbarmungs-, so kompromiss-, so emotionslos? Ich lese nach, dass es bei Kompartiment tatsächlich um abgegrenzte Räume geht, die weitgehend unabhängig voneinander existieren. Verwendet wird dieser Begriff häufig im Gartenbau, aber auch in der Biologie, wo es Zellkompartimente gibt. Das sind dann Reaktionsräume innerhalb einer Zelle. Klingt schon besser, denn mich als gespaltene Frau zu fühlen, wie es Rachel Cusk für sich in Anspruch nimmt, hinterlässt in mir eine Gänsehaut.
Gerade jetzt, wo ich bald 50 werde, habe ich mehr denn je das Gefühl, ganz zu sein. Kein Sammelsurium aus willkürlich zusammen gewürfelten Erfahrungen, Eindrücken und Erlebnissen, sondern eher ein geordneter Dschungel, in dem vieles in friedlicher Ko-Existenz gedeihen kann. Manches ist abgestorben, manches hat sich wie ein Streuner angesiedelt und darf bleiben. Und einiges ist frisch eingepflanzt worden, weil plötzlich eine Lücke entstanden ist. Klar gibt es da auch Beete, die spektakulärer blühen als andere; die abgegrenzt sind von Moos, Rasen und Weg; die versteckter sind. Doch sie alle gehören zum Mikrokosmos „Ich“.
Je zufriedener ich in meinem Dschungel bin, umso eigenartigere Reaktionen ernte ich manchmal darauf. Über meine Heiterkeit freuen sich die meisten. Der Rest empfindet sie oft etwas – sagen wir mal freundlich – übermütig, aber das hat mehr mit diesen Menschen zu tun als mit mir. Und selbst wenn: Mit fast 50 übermütig sein zu können, wäre schließlich auch eine Errungenschaft. Kürzlich habe ich einen Mann kennengelernt, der sich genau von dieser Lebensfreude angezogen fühlte. Ich saß in einem Kaffeehaus, das meine zweite Wahl war, hab' mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und wollte schreiben. Er wollte lesen – und das an meinem Tisch, obwohl noch ausreichend andere freie Plätze bereit gestanden hätten. To make the long story short: Er hat nicht gelesen, ich habe nicht geschrieben. Das Besondere daran war, dass er sich von meinen unorthodoxen Ansichten anstecken ließ – trotz fortgeschrittenem Alter, trotz anständig viel Leben hinter sich. Eine Freundin meinte, dieser Mann sei ein Glücksfall, weil er zeige, dass es noch „normale“ Männer gebe. Was man hin und wieder bezweifeln könnte beim genaueren Hinsehen.
Doch die Gelegenheit, genauer hinzuschauen, bekomme ich selten. Ich stelle nämlich die falschen Fragen. „Was machen Sie beruflich?“ finde ich gähnend langweilig. „Sind Sie verheiratet?“ sollte ich vielleicht fragen, interessiert mich aber auch nicht wirklich. Ich will lieber wissen, wo jemand gerade war, was ihn zum Lachen bringt oder ihn begeistert. Und schwupps, sind sie weg, die kompartimentierten Männer, die mich in einem ihrer Beete als maximal Einjährige einpflanzen wollten. Wer diese Fragen jenseits von Schubladen oder Beeten aushält, legt seine Zeitung beiseite und genießt mit mir den Sonnenschein. Alles andere kann warten.