Momentan regnet es neue Begrifflichkeiten, was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich wieder mehr Zeit zum Lesen finde. Und interessanterweise lese ich immer das, was eine Entsprechung in meinem Leben findet. Es lebe die Krise!
Nachdem es mit den großen Reisen aktuell nur schleppend funktioniert, lasse ich mich langsam, aber positiv gestimmt auf kleinere ein. Zum Beispiel auf Besuche meiner Kinder. Und da ich ja alle als meine Kinder bezeichne, die länger als drei Tage in meinem Leben sind, habe ich inzwischen fast eine kleine Fußballmannschaft um mich geschart. Natürlich gibt es da ‚Stammspieler‘, aber auch jene, die aufgrund von Entfernungen selten in meine Richtung kommen, gehören dazu.
Einen davon habe ich – neben meinem Jüngsten und dessen Freundin – am vergangenen Wochenende besucht und viel Quality-Time mit ihm verbracht. Unser Verhältnis ist trotz des Altersunterschiedes sehr eng, weil uns das Forschen nach Ursachen für Wirkungen verbindet, das Lernenwollen über das Leben und selbstverständlich die Suche nach dem Sinn hinter den Dingen. Die Gespräche dauern Stunden und wir genießen das. Schließlich findet man das nicht hinter jeder Hecke. Was mich aber betrübt hat, war, dass sich dieser junge Mensch in einer Krise befindet. Weil er in seinem Alter den Sinn des Lebens nicht findet. Weil er sich wegsperrt vom Leben, das für ihn mehr oder weniger aus Arbeit und spärlichen, oberflächlichen Sozialkontakten besteht, deren Pflege er sich immer wieder aufs Neue überlegt. Weil er niemanden findet, der wie er eben nach dem Sinn sucht.
Einen Tag später besucht mich ein anderer junger Mensch, der mir erzählt, dass sein Leben gerade zusammenbricht. Da geht es um Grundsätzlichkeiten handfester Natur, Job und generelle Überforderung – solche Sachen. Und während ich nach der Unterbrechung meines Claudia-Tages zuerst einmal etwas esse, um meine Batterien aufzufüllen, stoße ich auf einen Begriff, der meine Erfahrungen zu subsumieren scheint: Quarterlife-Crisis. Offenbar gibt es das als Kategorie bereits seit den 1990er-Jahren, doch mich hat sie eben erst jetzt erreicht. Ja, in manchen Dingen bin ich langsam. Und nein, ich habe keinerlei Erinnerung daran, selbst da durchgegangen zu sein.
Jetzt sollte ich mich davor hüten, dieses Phänomen zu negieren, nur weil ich es nicht erlebt habe. In dieser Phase zwischen dem 21. und dem 29. Lebensjahr habe ich studiert und gearbeitet, das Leben genossen und viel erlebt. Vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass ich aus einem behüteten Haushalt stamme und erst nach der Matura richtig ins Leben springen konnte. Heutzutage machen junge Menschen diese Erfahrungen ja schon mit 16 und dann weiß man eventuell mit Mitte 20 nicht mehr, was noch kommen soll. Die einzige krisenhafte Erfahrung, an die ich mich erinnern kann, war mit einem Mann verbunden, doch das hat sich relativ schnell gelöst, weil ein neuer Mann auf der Matte stand.
Wie auch immer. Ernst nehmen will ich dieses Phänomen schon, denn ich bin überzeugt, dass uns die Generationen Y und Z in eine ganzheitlichere Zukunft führen werden. Und vielleicht ist es deshalb auch gut, wenn ihre Vertreter zweifeln. Denn Zweifel ist immer auch ein Aufbrechen von ‚alten‘ Strukturen, ein Überdenken von Glaubenssätzen der Ahnen. Meine Generation, die Generation X, hat ja noch vieles von den Eltern übernommen und wenig hinterfragt, solange alles funktioniert und Gültigkeit hatte. Durch meinen kreativen Beruf habe ich früh mit dem Infragestellen begonnen, denn da gelten andere Regeln als in handfesten Branchen wie dem Bankenwesen oder der Medizin. Und das habe ich auch versucht, an meine Kinder weiterzugeben. Für mich war es immer eine Herausforderung, ihnen achtsam beizubringen, was sie für ein Leben in einem neuen Zeitalter brauchen (könnten). Denn dass sich die Welt verjüngt und damit andere Qualitäten gefragt sein werden, war mir relativ schnell klar.
Das war und ist es immer, was mich im Umgang mit jungen Menschen fasziniert. Sie bringen einen dazu, die eigene Gedankenwelt zu überprüfen. Denn wer mit offenen Ohren zuhört, merkt sehr schnell, dass heutzutage wirklich vieles andersherum läuft. Dass sie in einer Umgebung aufwachsen, die einerseits ziemlich reglementiert, andererseits laut, schnell und überfrachtet ist. Und dass genau das dazu führen kann, dass man seinen roten Faden verliert. Viele wissen dann nicht einmal mehr, ob sie männlich, weiblich oder divers sind. Und das kann ich gut verstehen. Manchmal fühle ich mich auch divers, was aber weniger mit meiner sexuellen Orientierung, sondern vielmehr mit einem kurzzeitigen Verlust meines Kontaktes zu mir selbst zusammenhängt. #informationsoverkill.
Insofern bin ich geneigt, die Quarterlife-Crisis als ähnlich sinnvoll zu erachten wie die Midlife-Crisis. Denn beide bringen uns dazu, über den Status quo nachzudenken und das zu ändern, was aufgehört hat zu nähren. Das ist in jedem Fall zuerst einmal verwirrend, weil sich einem die Optionen auf den ersten Blick nicht gerade aufdrängen. Doch beschäftigt man sich damit, weil man sie als Möglichkeit zur Entwicklung begreift, entsteht daraus meist etwas Besseres. Oder zumindest etwas, das einem mehr entspricht. Ob man da schon Mitte 50 oder erst Mitte 20 ist, scheint mir nachrangig. Fortschritt in persönlichen Dingen finde ich immer gut. Dorthin zu gelangen tut weh, ja. Doch das Wesen der Krise ist, dass sie zeitlich begrenzt ist. Und dass es ein ‚Danach‘ gibt, das idealerweise voller Lehren ist, mit denen man arbeiten und – vor allem – erfüllter leben kann.
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