Nah am Körper eines anderen Menschen zu arbeiten, ist für viele eine Erfüllung. Doch in Zeiten wie diesen kann das schon mal zur Plage werden.
Kürzlich habe ich Ihnen ja schon von meinem Physiotherapeuten erzählt, der sich mit den Gliedmaßen und sonstigen Befindlichkeiten von Verschwörungstheoretikern konfrontiert sieht. Und anfangs dachte ich, dass es mit seiner ruhigen Art zu tun hätte, dass manche Menschen mit ihren Konzepten einfach nicht hinter dem Berg halten wollen, sobald er die kuschelige Decke über sie breitet und seine stets bunten Socken unter dem Loch des Massagebettes platziert. Doch inzwischen weiß ich: Er ist nicht der Einzige.
Letzte Woche saß ich wegen meiner widerspenstigen Zehennagelspange bei der Fußpflegerin. Ursprünglich hatte ich mir selbst helfen wollen und versucht, dieses kurze Plastikband, das sich frühzeitig von meinem Nagel gelöst hatte, wieder anzukleben. Doch nachdem ich mich dann kurzfristig in der Situation befand, dass mein Daumen an meinem großen Zeh klebte und nur mehr mit einiger Anstrengung von demselben zu trennen war, beschloss ich, doch wieder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nach den anfänglichen Freundlichkeiten, die man eben mit Menschen austauscht, die manche Körperteile besser kennen als man selbst, trat eine kurze Pause ein. Meine Fußpflegerin brach sie mit der Frage: „Haben Sie schon mal ein Rauschen in den Ohren gehabt?“ Ich nickte, und das umso mehr, als sie mir erzählte, dass sie den ganzen Tag mit dem C-Scheißerchen-Thema berieselt werde und schon gar nicht mehr wisse, was sie antworten solle. Wenn sie nach Hause kommt, legt sie sich erst einmal in die Badewanne, bevor sie sich mit Tochter und Mann konfrontiert, weil sie einfach mal ihre Ruhe braucht. „Ich kanns nicht mehr hören“, sagte sie.
Ähnliches höre ich von meinem Friseur, der mich heute um zehn Zentimeter Keratinmasse erleichtert hat. Er ist normalerweise keiner, der jammert. Die erste Phase der Ausgangsbeschränkungen hatte er für Umbauarbeiten genutzt, zu Hause und im Geschäft. Und als wir uns danach trafen, schien er mir ziemlich ausbalanciert. „Es geht mir auf die Nerven“, sagte er heute. Und meinte, dass auch er den ganzen Tag dem ausgesetzt wäre, was die Leute an C-Sorgen in den Spiegel vor sich sprechen würden. Es schlage auf die Stimmung, meinte er – und mir wurde klar, wie privilegiert ich bin mit meiner körperfernen Dienstleistung. Manchmal verbringe ich ganze Tage ohne C-Scheißerchen, ganz einfach, weil ich bestimmen kann, was ich in meine Ohren hineinlasse. Hat man es aber mit Menschen zu tun, die es gar nicht abwarten können, mit jemandem außerhalb ihres Haushalts, wahlweise außerhalb ihres Kopfes über dieses Thema zu reden, hat man den Schwarzen Peter gezogen. Ist das jetzt rassistisch, dass ich dieses Kartenspiel erwähne? Heißt das jetzt womöglich schon anders? Werde das googeln.
Eines scheint mir klar zu sein: Sobald Menschen nicht mehr im Tun sind, beginnt der Kopf zu rattern. Und fast glaube ich: Früher unterhielt man sich über das Wetter, heute über die C-Scheißerchen. Und obwohl ich nie besonders gut in Small Talk war und da immer noch gewisse Defizite habe, ist mir dann doch das Wetter um Hausecken lieber. Gerade erlebe ich vorgezogenes Aprilwetter. Vor zehn Minuten schien die Sonne, dann kam ein Schneesturm, und jetzt fallen wieder Strahlen auf die schlafende Katze zu meinen Füßen. Bildet das Wetter das Leben ab? Absolut. Auch wenn es stürmt und schneit – die Sonne setzt sich immer wieder durch, schon alleine deshalb, weil sie jeden Tag wieder aufgeht und Licht auf das wirft, was ist. Natürlich stehen Märzenbecher im Schnee – doch sie überleben es. Natürlich ist es kalt – doch der nächste Sommer kommt bestimmt. Natürlich müssen wir mehr zu Hause sein – doch das ist schließlich unser Hafen. Es wird wieder die Zeit kommen, wo wir ablegen.
Meinen Physiotherapeuten habe ich zum Lachen gebracht, meine Fußpflegerin ermutigt, sich mehr Auszeiten zu nehmen und meinen Friseur abgelenkt. Wenn wir schon so froh sind, dass wir körpernahe Dienstleistungen in Anspruch nehmen dürfen, sollten wir daran denken, dass wir nicht die Einzigen sind, die ihre Probleme dort besprechen. Und glauben Sie mir: Es macht Freude, denen Freude zu schenken, die einem selbst Freude schenken. Ob Massage oder Kosmetik – diese Zeit kann man ebenso gut nutzen, um nicht nur den Körper, sondern auch den Geist zu entspannen. Danach kann wieder kommen, was sich nicht verhindern lässt. Ist dann immer noch früh genug.
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