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Leben

‚Pock', ein kurzes Zischen, ‚Ffft', der Pfeil steckt im Ziel. Stille und Spannung – ein unglaubliches Gefühl in meinem Körper. Ich senke die Arme und drehe langsam den Kopf. Kornelius strahlt mich an.

„Und? Wie war dein erstes Mal?"

Bis zu diesem Moment hat sich zwei Stunden ein innerer Bogen gespannt. Vorspiel nennt es mein Bogenmeister, der lacht, als ich schon beim ersten Mal mit gespannter Sehne loslassen will. „Noch nicht!"

So ist der Moment, als ich endlich den Pfeil fliegen spüre, aufgeladen mit Magie und Bedeutung.

Es ist ein regennasser Morgen auf einem kleinen Schießplatz außerhalb Wiens. Neben uns rauscht der Verkehr über die Landstraße. Im Wald kreischt eine Motorsäge. Vor mir steht Kornelius Hentschel, ein großer, kräftiger Mann. Seine Weste ziert der Aufnäher einer mittelalterlichen Bogengilde. Kornelius ist gelernter Bogenschütze und lehrt intuitives, meditatives Bogenschießen – weniger streng und formal als die Zen-Bogenkunst Kyudo und doch ähnlich in der inneren Haltung. Der 55-jährige Islamwissenschaftler hat vor 15 Jahren die besondere Kunst von Meisterinnen und Meistern aus Japan und Europa gelernt.

Ich hatte seit meiner Kindheit keinen Bogen mehr in der Hand und werde heute eingeweiht ins meditative Schießen. Wir beginnen mit Trockenübungen, schwingen die Arme durch die regenfeuchte Luft. Kleine Kreise, große Schwünge, Hüften drehen, auf Zehenspitzen. Kornelius erzählt gerade, dass ich mit der Sehnenhand 20 Pfund ziehen muss. „Die Profis ziehen 40 bis 50 Pfund." Ich spüre meine verspannten Schultern und frage mich, ob das heute schmerzhaft wird.

BogenschießenNoch weiß ich nicht genau, was er meint mit Langbogen, Nocke oder Sehnenhand. Auf diesem Platz ist das Umgangssprache. Neben uns stehen drei Hobbyschützen, lassen die Pfeile fliegen, fachsimpeln und halten ein kleines Kind zurück, das über die Holzbalken aufs Schussfeld klettern will. Wie auf Kommando legen zwischendurch alle ihre Bogen ab und gehen über das Gras, um die Pfeile zu holen. Sie schwatzen, lachen, zielen, schießen.

Und wir?

„Wir machen jetzt erst mal eine Meditation. Das braucht es zu Beginn und am Schluss, um im Hier und Jetzt zu sein, in der absoluten Konzentration auf das, was du gerade tust. Mit der Meditation trainierst du auch deine Intuition, die dir hilft, automatisch den Bogenarm in die richtige Position zu bringen", sagt Kornelius, während er mir einen Platz auf dem nassen Waldboden zuweist.

Ich schließe die Augen und seine dunkle, warme Stimme führt mich in die Entspannung und auf eine Traumreise, an deren Ende mir ein kleines Männchen einen grünen Stein übergibt.

Mit diesem Geschenk in der Tasche stehe ich kurz darauf wieder vor Kornelius auf dem Platz und strecke die Arme zur Seite wie eine Fluglotsin. Schritt für Schritt bereitet mich mein Lehrer auf den Schuss vor, auf das Schießen, das ein Nicht-Schießen sei.

„Es schießt sich", erklärt er bedeutungsvoll. Ich merke, wie meine Nervosität wächst.

„Oh je. Was, wenn ich nicht locker genug bin, um nicht zu wollen?" Erinnerungen an vergebliche Übungen im Nicht-Tun tauchen auf. Ich will vor dem Meister nicht versagen! Doch der holt mich mit ruhigen Anweisungen aus meiner Angst-Schleife. „Wir üben den Standpunkt, damit fängt alles an!" Mit den Füßen suche ich einen festen Tritt, federe in den Knien und atme dreimal tief in den Bauch. „Da, in dein Zentrum, dort ist die Kraft", Kornelius deutet unter meinen Bauchnabel. Ich spüre das ruhige Kribbeln im Bauch, während mein Atem einströmt, dann hebe ich Kopf und Blick zum Horizont und wende beide zur Seite auf mein Ziel. Die ruhigen Bewegungen haben etwas Anmutiges, Majestätisches.

Noch ohne den Bogen in der Hand spüre ich, dass mein Körper einen vertrauten Ablauf vollzieht. Als ob Bewegungsmuster meiner Vorfahren in den Zellen gespeichert sind. „Deshalb schießen die Menschen so gern mit dem Bogen. Es ist ein archaischer Sport, der in uns uralte Erinnerungen abruft", sagt Kornelius. Er gibt mir einen leichten Bogen aus Holz in die Hand. Mit einer lockeren Schnur übe ich das Spannen. So gehen wir jeden Schritt des Schusses durch.

Neben uns bauen sich neue Schützen auf. Sie schrauben moderne Bogen zusammen und packen ihre Pfeile aus, die sie einen nach dem anderen – zack, zack, zack – abschießen, während ich immer noch stehe, atme, drehe, spanne, ziele und verstehe, was das meditative Bogenschießen ist. Jede Bewegung dieser Abfolge geschieht bewusst und achtsam. Es sind bald zwei Stunden vorbei und ich hatte noch keinen Pfeil in der Hand. Trotzdem bin ich erfüllt von dem Vorgang. Es geht um das Ganze, nicht nur um den Schluss, den Schuss. Wie ein Teaching höre ich meinen Lehrer, der über die Leere spricht, über das Nicht-Wollen, über den intuitiven Schuss. „Es zielt."

Ich höre ihn und lasse die Worte an mir vorbeiströmen. Nur nicht zu viel denken jetzt! Das tiefe Atmen bei jedem Durchgang macht mich herrlich ruhig und klar, auch meinen Oberarmen geht es gut. „Die Kraft beim Spannen der Sehne kommt aus dem Rücken, deshalb können Frauen diesen Sport genauso gut machen." Kornelius greift an mein Schulterblatt und erklärt mir, wie ich von hier aus die letzten Zentimeter Spannung erzeuge. „Bogenschießen ist ideal gegen Rückenschmerzen, weil es die Gleichzeitigkeit von Spannung und Entspannung trainiert."

Ich habe ein Thera-Band in den Händen und übe das Loslassen der gespannten Sehne. „Stell dir vor, wie Schnee, der auf Zedern fällt, so lange, bis er zu schwer ist und abfällt. Deshalb heißt es auch, der Pfeil fällt ab." Meine Finger der Rechten zu einer Kralle gekrümmt, die linke Hand am Kinn ‚geankert', stelle ich mir Schnee vor, der auf die Zeder fällt, und lasse los.

Kornelius grinst. „Das war gewollt." So üben wir weiter das ‚release', wie es im Bogendeutsch heißt, wenn die Hand den Pfeil loslässt. Ich sehe den verschneiten Garten aus der Schluss-Szene des Schwertfilms ‚Kill Bill' vor mir, den kleinen Brunnen, der sich mit Wasser füllt, bis der Überlauf einen Holzbalken kippt und das Wasser abfließt – und lasse los. Ich muss selbst grinsen – das war gewollt.

Es ist kalt und feucht auf dem Platz, meine Schuhe sind nass, trotz dreier Jacken friere ich und merke es nicht. Wie gebannt übe ich Schritt für Schritt der meditativen Kunst. Führungsfeder, Ankerpunkt, Pfeilauflage, so langsam sitzen auch die neuen Vokabeln. Mein erster Pfeil klickt in die Bogensehne – es wird ernst. Andächtig stehe ich da, atme, schaue, hebe die Arme, spanne die Sehne, die letzten Zentimeter im Schulterblatt, Schnee, der auf Zedern fällt. Pock – Zisch – Ffft!

Ich bin glücklich und sprachlos. „Und? Wie war dein erstes Mal?" Ich sage irgendwas zu Kornelius, während ich das warme Prickeln im ganzen Körper spüre und noch keine Worte habe. Langsam nehme ich den zweiten Pfeil und beginne wieder von vorn.

„Ein schönes Bild", sagt Kornelius später, als wir unsere Pfeile aus dem Zielstroh ziehen. „Du hast mich eingerahmt." Erst jetzt merke ich, dass ich beim Schießen kaum beachtet habe, wo genau meine Pfeile im Strohballen landen.

Das brauche es noch nicht zu Beginn, sagt mir mein Lehrer. „Das Zielen lernst du dann beim nächsten Mal. Da geht's darum, den Schuss vom Ego zu reinigen, zu treffen, ohne mit dem Ego treffen zu wollen. Geistige Präsenz, Ausrichtung auf das Jetzt, zielorientierte Ruhe, kein Zweifel, sondern Vertrauen – das führt zum absichtslosen Treffen." Kornelius grinst.

Zwölf Pfeile später sitze ich glücklich, fröstelnd, mit blauen Lippen wieder auf dem Waldboden zur Schluss-Meditation. Kornelius' tiefe Stimme führt mich auf die Traumreise in eine Wiesenlandschaft. Dort stehe ich jetzt als Bogenschützin. Noch ein Mal mache ich all die Bewegungen des Schusses in meiner Vorstellung durch. Auf meiner Traumwiese scheint die Sonne, ich sehe Schnee auf Zedern fallen. ‚Pock', ein kurzes Zischen, ‚Ffft', der Pfeil steckt im Ziel.

Für Interessierte: Dr. Kornelius Hentschel gibt Gruppen- und Einzelunterricht im intuitiven, meditativen Bogenschießen im Irenental bei Purkersdorf (Niederösterreich). An anderen Orten auf Anfrage. E-Mail: hentschel1@utanet.at , Telefon: +43 (0) 699 / 1178 1948

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Franziska Fink

Franziska Fink

Franziska Fink, ist systemische Organisationsberaterin (Beratergruppe Neuwaldegg) und beobachtet in ihrer Arbeit mit Unternehmen, welche Strömungen Wirtschaft und Gesellschaft kurzfristig und langfristig verändern.
Kommentare  
# Ernst Thomas 2018-01-25 20:45
Es ist faszinierend zu sehen wie entspannend bogenschießen sein kann. Ich, als Jäger (wobei sich meine Jagd eher darauf bezieht zu schauen, dass es den Tieren auf meinem Grund gut geht, und lediglich abzudrücken sollte es nicht anders gehen) machte mich über bogenschießen immer lustig. Doch mittlerweile will ich nicht mehr ohne!
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